Abbild
Die Geschichte des Porträts ist auch eine Bildgeschichte des christlichen Abendlandes, und das wahre Bild von Jesus Christus, das vera icon, gilt als dessen erstes Porträt. Auf dem Weg nach Golgota reichte Veronika dem kreuztragenden Christus ein Tuch, um das verlorene Blut und den austretenden Schweiß aufzunehmen. Nach dieser Legende zeichnete sich der göttliche Abdruck in ihrem Tuch ab. Damit formulierte sich auch eine erste große Erwartung: das Porträt als wirklichkeitstreues, mimetisches Abbild, als das einzig wahre und echte Bild (Gottes). In der realistischen Darstellung soll die abgebildete Person in ihren typischen Wesenszügen über die Zeiten hinweg in ihrer Individualität erkennbar bleiben.
Biografie
Ein Porträt ist immer auch eine Momentaufnahme einer Lebensgeschichte – ein Ausschnitt, der sich durch Attribute, Symbole, Kulissen und Bekleidung zu verdichten vermag. Wer ist die dargestellte Person? Warum wurde sie porträtiert, zu welchem Zeitpunkt geschah dies und wieviel gibt sie in der Darstellung von sich preis? In der Ausstellung Wer bist du? begegnen wir vielen verschiedenen Persönlichkeiten. In ihrer Inszenierung auf Augenhöhe wird es möglich, ihnen näherzukommen. Außerdem kann man im Katalog Genaueres über die Geschichten dieser Menschen nachlesen.
Charakter
Im gewöhnlichen Sinn bezeichnet das Porträt die Darstellung einer Person, insbesondere ihres Gesichts. Sprachlich leitet sich das Wort aus dem Französischen von por (als Verstärkung) und trait, dem Charakterzug, ab und geht zurück auf das lateinische protrahere, protractum, was so viel wie „herausziehen“ bedeutet. Wenn man die äußere Erscheinung als visuelle Identität bezeichnet, so könnte man den Charakter als die soziale Identität benennen, also als das Wesen, das wir in uns tragen, das sich in Blick, Mimik und Gestik auch nach außen bemerkbar macht. Dadurch vermag das wahre Gesicht über die anatomische Wirklichkeit des Menschen hinauszugehen.
Daseinsbild
Der französische Schriftsteller Honoré de Balzac meinte im 19. Jahrhundert noch, dass man mit jeder Porträtfotografie eine Schicht seiner Haut einbüßen würde. Damals musste man auch noch einige Zeit in Ruhe verharren, um sein Antlitz auf der fotografischen Platte festhalten zu lassen. Still und ruhig zu sitzen war natürlich auch notwendig, wenn man sich von einem Porträtisten malen ließ. Vielleicht ist diese erforderliche Zeitspanne, um ein Bildnis entstehen zu lassen, mit ein Grund, warum Menschen im 19. Jahrhundert auf den Bildern selten lächeln und schon gar nicht lachen, vielmehr scheinen die Menschen gleichmütig in sich selbst zu ruhen. Die Grimasse eines lachenden Gesichts wird erst als Momentaufnahme zum Bildgegenstand, allerdings war sie zuvor auch nicht statthaft und diente in den vereinzelt existierenden Darstellungen eher der Typisierung von Gemütszuständen.
Erinnerung
Porträtfotos werden verschenkt, um bei anderen präsent zu bleiben. Das Bild der Person ersetzt die Person in ihrer physischen Erscheinung, täuscht ihre Präsenz im Augenblick vor, für längere Zeit oder für immer. Ein Gefühl von Nähe wird vorstellbar und bleibt dennoch eine Einbildung. Neben der privaten Erinnerung spielt auch die kollektive eine Rolle, wenn Porträts wichtiger Persönlichkeiten, wie etwa von Rektoren oder Bürgermeistern, in öffentlichen Gebäuden wie Universitäten oder Rathäusern zur Schau gestellt werden. Kaiserliche Herrscherporträts erinnern an die Zeit der Monarchie, in der diese Darstellungen auch sehr stark identitätsstiftende wie Macht demonstrierende Funktionen zu erfüllen hatten. Im 20. Jahrhundert wird auch anderen Berufsständen gehuldigt, Arbeiterinnen und Arbeiter werden zum authentischen Motiv einer industrialisierten Gesellschaft, deren Machtstrukturen gänzlich andere geworden sind.
Fiktion
Legenden, Geschichten und Mythen bewirken die Fiktionalisierung von Porträts. Gewählte Posen sowie die richtige Inszenierung ermöglichen es, vor der Kamera sehr schnell jemand anderes zu sein. Durch Masken und Kostüme gelingt es schließlich, sich vollständig vom eigenen Ich zu distanzieren und zur pluralen Persönlichkeit zu werden. Aufnahmen von Schauspielern, Künstlerinnen, die sich durch die Wahl anderer Rollen in Szene setzen, aber auch die zahlreichen Menschen, die sich gegenwärtig für die sozialen Medien fotografisch reproduzieren, verweisen auf die Bandbreite der fiktionalen Menschendarstellung. Sein und Schein liegen dabei oft ganz nah beieinander.
Gesellschaft
Zwischen dem 5. und dem 15. Jahrhundert waren autonome Porträts von Einzelpersonen eine Seltenheit. Danach war die Porträtdarstellung jahrhundertelang wie zuvor schon in der Antike das Privileg einer kleinen, bevorzugten Gesellschaftsschicht. Die Miniaturmalerei ermöglichte es ab 1750 dem aufsteigenden Bürgertum, sich erstmals wie der Adel darzustellen. Miniaturisten waren angesehene Kunsthandwerker und verstanden es, zu moderaten Preisen einen ersten Kult um die Selbstdarstellung der eigenen Persönlichkeit zu befriedigen. Erst mit der Erfindung der Fotografie zur Mitte des 19. Jahrhunderts erfuhr das Genre allmählich eine breitere Demokratisierung.
Herrscher
Durch das Porträt eines Herrschers wird dessen Stärke dargestellt, evoziert und auch ausgeübt. Es dient als Stellvertreter des Regenten und vereint bedeutungsvolle Insignien der Macht wie die Krone, das Zepter, eine Weltkugel, ein Zeremonialschwert, das Ornat, den Thron, den Ehrenbaldachin oder einen roten Ehrenvorhang, vor dem Könige und Machthaber posieren. Dargestellte Säulen können Stärke symbolisieren, Tempelteile verweisen auf das antike Rom und dargestellte idyllische Landschaften auf das Blühen und Gedeihen des regierten Landes. Tritt der Kaiser in Uniform auf, unterstreicht er seine Rolle als militärischer Befehlshaber, was besonders in Kriegszeiten von Bedeutung ist.
Innenschau
Für das Porträt ist die Darstellung des Gesichtes essenziell, im 20. Jahrhundert werden die Abstraktionstendenzen allerdings auch auf dieses Genre übertragen. Die Innenschau, die Darstellung von Empfindungen und Körperzuständen wird zum Bildthema und überlagert zusehends mimetische Darstellungsformen. Gleichzeitig kann man in der Nachkriegszeit auch eine Auflösung des menschlichen Körpers in der Skulptur beobachten. Die äußerlich erkennbare Individualität tritt hinter das Körperliche zurück. Gesichtslose Bildnisse könnte man als Antiporträts bezeichnen. Allerdings führen sie vor Augen, dass Typen auch allein durch Kleidung und Accessoires erkennbar sind. Wie uniform werden Gesichter durch Schönheitsideale?
Johann
Erzherzog Johann gilt als ein beliebtes Mitglied der Familie Habsburg-Lothringen, er wird auch als der grüne Rebell bezeichnet. Nachdem er eine wichtige Rolle im Tiroler Freiheitskampf von 1810 spielte, wandte er sich der Steiermark zu, wo er bald große Beliebtheit in der Bevölkerung erlangte, vor allem auch, weil er mit Anna Plochl eine Postmeistertochter ehelichte. Die Bürgernähe und sein großer Einsatz für das Land, der sich in der Gründung zahlreicher noch immer wichtiger Institutionen manifestiert (z. B. auch des Joanneums im Jahr 1811), sind für die Geschichte des Landes von großer Bedeutung. In der Kleidung gab sich der jüngere Bruder von Kaiser Franz I. betont einfach. Die steirische Tracht war für ihn der schlichte graue Rock mit grünem Revers, wie er ihn auf nahezu allen Porträts trägt. Aufgrund politischer Meinungsverschiedenheiten wurde der von ihm initiierte Steireranzug zu dieser Zeit in Wien als Provokation verstanden und deshalb auch verboten.
Konzept
Die Konzeptkunst rückt ab den 1960er-Jahren den Gedanken bzw. die Idee eines Kunstwerks ins Zentrum der Darstellung, der jedes nur erdenkliche Material dienlich sein kann. Wenn man diese Überlegung auf das Genre des Porträts überträgt, dann verschiebt sich das Interesse vom äußeren Abbild des Menschen zu wissenschaftlichen Erkenntnissen aus dem Bereich der Medizin und deren Visualisierungen. Welchen genetischen Code tragen wir in uns? Wie misst man das eigene Ich in Zahlen, Tabellen und Diagrammen? Auseinandersetzungen wie diese spiegeln ein Dasein als Teil einer wissenschaftlich-technischen Zivilisation. Die Übersetzung der körperlichen Individualität in Ziffern und Buchstaben macht allerdings auch einen poetischen Raum auf – wer ist Ich?
Lithografie
Die Lithografie wurde wie der Kupferstich, die beide die Handzeichnung als Ausgangspunkt haben, Mitte des 19. Jahrhunderts von der Fotografie als Lichtbild abgelöst, gerade auch was das Genre des Porträts betrifft. Immer mehr Fotoateliers wurden eröffnet, die Technologie verfeinerte sich und die Nachfrage an Bildern von Prominenten aus Politik, Literatur und Kunst wuchs (durch Sammelleidenschaft) so an, dass das Menschenbild zum Gros der Arbeit der aufkommenden Fotoateliers wurde. Zudem wurde die Fotografie als Carte de Visite in einem kleineren Format ab 1860 auch kostengünstiger, weshalb diese Bilder auch sehr bald in sehr großer Zahl hergestellt wurden, um – wie heute – unter Freunden und Verwandten verteilt zu werden.
Medienbild
Fotografie und Video sorgen für eine mediale Allgegenwart des Gesichtes, im analogen wie auch im virtuellen Raum. Erfahrungsgemäß setzen sich Menschen vor der Kamera anders in Szene als im Alltagsleben, sie nehmen eine Pose ein, wollen unverändert jung und schön dem gängigen Schönheitsbild entsprechen, das von Superstars vorgelebt wird. In der Pop-Art – wie etwa bei Andy Warhol – werden diese medialen Bilder verdichtet. Gewählte Ausschnitte fokussieren auf das Gesicht, sodass jegliche Distanz zu den Dargestellten aufgehoben scheint. Zeitungsfotos berichten mitten aus dem Leben, Berühmtheiten und VIPs werden wie nahestehende Personen abgedruckt und dadurch beinahe zum öffentlichen Eigentum. Solche Bilder werden auch zum Fundus für die Kunst.
Narziss
Narziss, eine Gestalt aus der griechischen Mythologie, wies die Liebe anderer zurück und verliebte sich, in das Wasser einer Quelle blickend, in sein eigenes Spiegelbild. Heute sagt man, dass Menschen, die häufig Bilder von sich in sozialen Netzwerken posten, selbstverliebt sind. Untersuchungen haben das ebenso bestätigt wie angeblich damit einhergehende antisoziale Eigenschaften. Zentral ist dabei jedenfalls die Selbstoptimierung in der Darstellung, die Bearbeitung der Bilder und die als gelungen empfundene eigene Erscheinung. Die künstlerische Selbstinszenierung ermöglicht es, in andere Rollen zu schlüpfen, Stereotype aufzudecken und auch Menschenbilder zu hinterfragen.
Öffentlichkeit
Zum Gedenken an für eine Gemeinschaft als relevant erachtete Persönlichkeiten wurden in Europa seit jeher Denkmäler errichtet. Bildnisse von Kaisern oder Feldherren, Reiterstandbilder oder Büsten von als genial empfundenen Künstlern fanden dafür Aufstellung im öffentlichen Raum, um ihre Leistungen unvergesslich zu würdigen. Es galt, Rang, Macht und Status öffentlich sichtbar zu machen. Auch Profilansichten auf Münzen erfüllten diesen Zweck. Sie gingen durch viele Hände und hielten das Bild des Herrschers präsent. Heute arbeitet man mit anderen Methoden. Selbstinszenierungen in Tweets und Posts, mit Fotodienstanbietern wie Instagram oder in eigenen Videoblogs, schaffen völlig neue Orte von Öffentlichkeit, die ihren eigenen Regeln folgen. Die Porträts dieser öffentlichen Personen werden nicht mehr in Bronze gegossen, sondern vielmehr jeden Tag aufs Neue generiert. Das Ich ist multipel geworden und hat viele Facetten, von denen nicht alle auch von öffentlichem Interesse sind.
Pendant
Im Biedermeier werden die Porträtbilder kleiner, sodass sie in den Wohnzimmern des aufsteigenden Bürgertums Platz finden. Sehr beliebt sind zu dieser Zeit die sogenannten Pendantbilder, die Mann und Frau als passende Gegenstücke zeigen. Die Ehegatten werden ihren Rollen entsprechend, jedoch in ähnlichem Stil dargestellt und in Mode und Haltung in repräsentativem Rahmen festgehalten. Männerporträts verweisen im 19. Jahrhundert auch oft auf den beruflichen Erfolg und den damit verbundenen Statusgewinn, der sich durch Symbole des Berufsstandes oder wertvolle Attribute ausdrücken lässt. Die Damen der Gesellschaft zeigen sich modisch sattelfest und in vornehmer Distanziertheit.
Qual
Das lange Stillsitzen kann zur Qual werden, wenn man sich zeichnen oder malen lassen will. Zumindest machen sich Karikaturen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts darüber lustig, dass Menschen einige Zeit regungslos verharren mussten, um scharf auf das Bild zu kommen. Kopfstützen und andere Elemente sollten das Einfrieren der Haltung erleichtern, Geräte, die an Foltermaschinen erinnerten. Es verwundert nicht, dass just zu dieser Zeit die fotografische Aufnahme von Toten als letztes Porträt zu einem besonderen Geschäftsfeld mutierte.
Requisiten
In der Porträtfotografie dienen seit ihrem Aufkommen Requisiten als ideale Möglichkeit der Inszenierung. Ganze Kulissen wurden aufgebaut, um zuweilen auch durchaus skurrile Bühnensituationen für die Aufnahmen zu schaffen. Auch heute noch werden Hintergründe ganz gezielt eingesetzt, um eine Atmosphäre zu schaffen. Durch die zunehmend verbesserte technische Qualität ist auch der Einsatz von Licht und Schatten, die Qualität des Lichts an sich, aber auch der Einsatz von Nähe und Distanz wesentlich. Während die erste Haltung vor der Kamera meist eine ist, bei der Schultern und Hände schlicht nach unten hängen, geht es bei der Wahl der Pose schließlich darum, die richtige Haltung zu finden. Auch in den gemalten Porträts ist die Haltung des Körpers, insbesondere von Kopf und Händen, zentral.
Selbstbildnis
Lange Zeit war der Spiegel das zentrale Hilfsmittel für Künstlerinnen und Künstler, wenn sie sich selbst darstellen wollten. Der Blick wechselt beim Malakt zwischen Spiegel und Leinwand hin und her. Die Wahrnehmung des eigenen Ich wird zur Selbst-Reflexion und ermöglicht eine Selbstwahrnehmung, die sich mit dem Spiegelbild nicht decken muss. Wie stellen sich Künstlerinnen und Künstler dar? Inszenieren sie sich im Arbeitsgewand, mit Pinsel und Palette inmitten ihres Ateliers, als elegante Persönlichkeit der Gesellschaft, als leidender Existenzialist oder gar als Christus? Was prägt das Künstlerbild, und stellen sich Künstlerinnen anders dar als ihre männlichen Kollegen?
Tracht
Als Tracht bezeichnet man eine traditionelle Kleidung einer bestimmten Region, einer bestimmten Bevölkerungs- oder auch Berufsgruppe. Durch die modische Globalisierung wurden lokale Bekleidungstraditionen zurückgedrängt und finden nur mehr zu bestimmten Anlässen ihren Platz. Ganz bewusst tragen manche als identitätsstiftendes Element und als Zeichen ihrer Heimatverbundenheit Trachten. Erzherzog Johann hat es sich zum Auftrag gemacht, die Trachten der Steiermark – wie die Landschaft selbst – zu erfassen. Eine Tätigkeit, die Viktor Geramb als erster Vertreter der Volkskunde in der Steiermark akribisch fortsetzte.
Unkenntlichkeit
Nach 1945 kommt es durch die informelle Gestik auch zur Auflösung des Menschenbildes. In der Zeit nach den großen Weltkriegen und ihren verheerenden Folgen erscheint diese Entwicklung als konsequenter Schritt. Während im nationalsozialistischen Regime durch das Bild von gesunden, trainierten, „deutschen“ Körpern Stärke propagiert wurde, kehrte man danach zum fragmentierten, sich auflösenden Körper der beginnenden Moderne zurück. Die Innenschau wurde wieder wichtiger, der expressive Ausdruck zur Möglichkeit. In weiterer Folge setzt sich die Fragmentierung des Individuums in Collagen, Montagen, mit Übermalungen oder als malerische Geste bis zur Unkenntlichkeit fort.
Vergegenwärtigung
Die Vergegenwärtigung unterstellt die Notwendigkeit, nicht Anwesendes gegenwärtig zu machen, um Erinnerungen aktivieren zu können. Man betrachtet das Bild eines geliebten Menschen und sieht darin jenes, das man sich von ihm zu diesem Zeitpunkt machte. Nicht immer ist es möglich, das wahre Gesicht zu zeigen. Masken, Schminke und Schleier ermöglichen ein Verbergen der authentischen Erscheinung. Die Motivation dafür ist vermutlich so vielfältig wie die Menschen selbst. Bilderstreit und Bildtabu sind Zeugnisse von Bestrebungen, dem Göttlichen oder auch den Menschen kein Abbild zu geben. Das Gesicht wird auch hier der Vergegenwärtigung entzogen, während die (spirituelle) Vorstellungskraft gefordert wird.
Wachs
Die Wachsbilder, die um 1800 entstanden sind, zeigen Menschenbilder als dreidimensionale Reliefs modelliert, die manchmal auch in ihre Alltagsumgebung eingebettet sein können. Sie waren relativ günstig und gelten deshalb als Vorläufer der Fotografie im privaten Gebrauch. Zur selben Zeit waren auch Silhouetten oder Scherenschnitte sehr beliebt, die recht schnell und einfach gefertigt werden konnten und dem wachsenden Interesse an der menschlichen Physiognomie entgegenkamen, indem man schlicht das Schattenbild der betreffenden Person nachzeichnete. Es war bis zur Entdeckung der Fotografie die billige und rasch herstellbare Alternative zum aufwendig gefertigten Miniaturbildnis.
X-fach
Selbstbildnisse sind als „Selfies“ so häufig geworden, dass man sie nicht mehr zählen kann. Die Selbstdarstellung erlebt durch die digitalen Medien und immer kleiner werdende Kameras in allen nur erdenklichen technischen Geräten einen noch nie dagewesenen Boom. Eigene Stützen verhelfen zu besseren Perspektiven und spektakulären Blickwinkeln. Der Inszenierung der eigenen Person am Urlaubsort, als Teil von gesellschaftlich bedeutsam erscheinenden Runden oder Ereignissen sowie an spektakulären Orten sind keine Grenzen mehr gesetzt.
You
Wenn man eine Person porträtiert, lernt man sie auf einer Ebene kennen, die vielen anderen verborgen bleibt. Man nimmt sich Zeit und stellt sich aufeinander ein. Ein gutes realistisches Porträt schafft es, das äußere Abbild in einem starken Moment innerer Ausstrahlung einzufangen, die in höchstem Maße authentisch ist. In solchen Momenten ist man ganz bei sich, gleichzeitig gänzlich offen und damit auch verwundbar. Wie muss die Situation sein, damit man sein Wesen vor der Linse so preisgeben kann und nicht unweigerlich in eine Rolle schlüpft? Wieviel Pose, wieviel Lächeln, welche Handhaltung erwartet sich das Gegenüber? Jedes Porträt schafft eine Beziehung zu einem Du – sei es die Fotografin oder der Betrachter.
Zeit
In Oscar Wildes berühmter Geschichte altert das Bildnis des Dorian Gray, während er selbst zeitlose, jugendliche Ausstrahlungskraft behält. Der Wunsch, sich der Vergänglichkeit zu entziehen, scheint sich durch alle Zeiten zu ziehen, das Altern an sich ist hingegen kein erstrebenswerter Zustand. Doch in welcher Geschwindigkeit und in welcher Form verwandelt sich das eigene Äußere im Lauf der Zeit? Erst in der seriellen Aufnahme der gezeigten Person wird deren Veränderung sichtbar. Der zeitliche Abstand und die gewählte Regelmäßigkeit sind dabei von Bedeutung. Eine Momentaufnahme vermag einen Augenblick für die Ewigkeit zu bannen, in der zeitlichen Distanz schließlich erinnert man sich durch das aufgenommene Bild zurück, das in weiterer Folge auch wieder die eigene Erinnerung zu prägen vermag.