pour féliciter
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plamen
2015
Versalien leiteten zu Beginn des 5. Jahrhunderts Verse ein und erhielten in ihrer Prägnanz besondere Bedeutung. Als signifikante Abkürzungen für politische Gruppierungen, als Firmenlogos, Monogramme oder künstlerische Signaturen werden sie bis heute eingesetzt.
Zwei Großbuchstaben markieren das Flachdach des Berggartencafés im Österreichischen Skulpturenpark. P und F sind in ausgeprägter Typografie Rücken an Rücken gestellt, im F findet sich das Wort plamen. Je 140 x 70 x 6 cm messend erscheinen sie im Bronzeguss als klassische Skulptur. Die Zweiteilung der Arbeit ist nicht zufällig. Dem Vorbild entnommen war es vor einem Jahr das P, das Eingang in den Skulpturenpark nahm und dem nun der zweite Buchstabe als Zeichen von Geschichte als Genese, aber auch als Vervollständigung der Arbeit bei gleichzeitigem Wissen um die Latenz und Flüchtigkeit des Wortes folgt.
Schrift ist, wie Sigmund Freud gesagt hat, die Sprache der Absenz. In ihrer Verkörperlichung gerät sie in der Kunst seit Minimal- und Concept-Art zu einer veränderten Präsenz, deren Verweis-Charakter aber erhalten bleibt. Plamen Dejanoff verweist mit den beiden Buchstaben nicht nur, er übernimmt, appropriiert, d. h. eignet sich den Schriftzug des Titelblattes der ehemals tschechoslowakischen Zeitschrift plamen (deutsch: Flamme) vom Dezember 1965 an und überträgt ihn aus der Zwei- in die Dreidimensionalität.
Plamen, die Zeitschrift für Literatur, Kunst und Leben, war das tschechoslowakische Organ der gleichnamigen Plattform für und von Intellektuelle/n, die 1959 gegründet wurde und von 1960 bis 1969 erschien. Geprägt von einem außerordentlichen Grafikdesign des Typografen Odřich Hlavsa, tauschten sich hier Künstler, Architekten, Schriftsteller, Philosophen, Soziologen und Wissenschafter wie Michel Foucault, Jean-Paul Sartre, Erich Fromm oder Václav Havel aus und publizierten in diesem Medium mit einer Auflage von 25.000 Stück. Politische Systeme kritisch hinterfragend kommunizierte die Intelligenzia, obwohl vom Staat zensiert, über diese Zeitschrift. Erkannt als wesentliches Ausgangszentrum für den Prager Frühling wurde es schließlich endgültig verboten. So war die Zeitschrift auch in Prager Bibliotheken nicht mehr vorhanden, es war versucht worden, diesen Teil der eigenen Geschichte auszulöschen. Bezeichnenderweise fand Dejanoff Ausgaben der Zeitschrift im kapitalistischen Westen, in amerikanischen Antiquariaten.
Die Buchstaben P und F der Ausgabe plamen 12/1965, die damals anlässlich des Jahreswechsels für Pour Féliciter standen, mutieren in Größe, Material sowie Standort, erweitern ihr Terrain, werden Skulpturen und sind hier Glückwünsche, die alle Besucherinnen und Besucher begrüßen, verabschieden und begleiten sollen.
Nicht nur die Umsetzung von einem Medium in ein anderes, von scheinbar flüchtigen Buchstaben zu einer Skulptur, die trotz ihres Volumens zu schweben scheint, interessiert Plamen Dejanoff. Wissen um die gefürchtete Bedeutung von Schrift und Geschriebenem bei Machthabern ist dabei ebenso wichtig wie der Einsatz unterschiedlicher Kommunikationsmittel und -strukturen. Die wechselseitige Beeinflussung politischer Strukturen, deren Auswirkungen und das Aufeinandertreffen von Kontexten des Ostblocks mit der westlichen Gesellschaft ist von ebenso großer Bedeutung wie jenes der intellektuellen Welt und des Kunstmarkts. Dejanoffs spezifische Umsetzung in Kunst, die immer Verweise enthält, oszilliert in ständigen Mehrdeutigkeiten, die sowohl Marktmechanismen und kunstinhärente Fragen als auch persönliche Recherchen beinhalten.
Die Aura eines Kunstwerks hinterfragend untersucht er Autonomieansprüche durch Übernahme einer Form bei gleichzeitiger Überhöhung in wertvolle Materialien. Pour Féliciter befragt nicht nur materielle Werte, die Arbeit ist auch eine Hommage an geistiges Gut, das nicht verloren geht. Bronzeskulpturen entwickelte Dejanoff aus Hochachtung vor dem Mut der kritischen Plamen-Bewegung, er setzt ihr ein Denkmal mit historischen, gesellschaftspolitischen, machthinterfragenden und persönlichen Verweisen. Neu akzentuiert gerät die Bewegung plamen damit wieder in unser Bewusstsein. Gleich einem archäologischen Fund setzt Dejanoff sie ein, um Geschichte zu heben und neu zu vernetzen. Parallel dazu legt er anlässlich seiner Ausstellung im 21er Haus in Wien eine neue Ausgabe der Zeitschrift plamen, 01/15 auf. Dies ist sowohl achtungsvoller Verweis wie Katalog als auch eigenständiges Kunstwerk, das zur freien Entnahme für alle aufgelegt werden sollte. Die Adelung des Materials Papier in gebundener Form ist integraler Faktor der vielschichtigen Arbeitsweise Plamen Dejanoffs.
Aufnahme, Einvernahme und Weitergabe als Impulse ermöglichen ideelle ebenso wie monumentale Formulierungen, forschende Erkenntnisse ebenso wie utopistische Wagnisse. Dass Sprache mit Formgebung korreliert, geistige, verbale und konkrete Umsetzung jeweils aufeinander verweisen, bedingt Dejanoffs sensible und präzise Auslotung von Zusammenhängen, die er in Form seines Denkens und seiner Umsetzung der Öffentlichkeit zurückgibt und damit neue Fragen und Herausforderungen aufwirft.
Selbst 1970 in Veliko Tarnovo, Bulgarien, geboren und aufgewachsen, erforscht er die Geschichte seiner Familie, deren mittlerweile verkommene und vernachlässigte Besitzungen in den ehemaligen Zentren Veliko Tarnovo und Arbanassi restituiert wurden. Dejanoff gründete eine Stiftung zur allgemeinen und künstlerischen Auseinandersetzung mit dieser Thematik.
Auch sein eigener Name und damit die Frage nach dem Selbst ist Bestandteil der Forschung und Arbeit von Plamen Dejanoff. Angestoßen durch die merkwürdige Gleichheit seines Vornamens, der erst seit Beginn der 1960er-Jahre als solcher existiert, mit jenem der widerständigen Zeitschrift und Gruppe aus den 1960er-Jahren, versteht und setzt er Plamen als nicht selbst gewählten Parameter. Eine Pendelsetzung der eigenen Person im Hintergrund und zurück in den Vordergrund wird zum Spiel, das Dejanoff bewusst einsetzt.
Seinen Nachnamen, dessen Schreibung er nach Beendigung seiner Zusammenarbeit mit Svetlana Heger von Dejanov auf die latinische Form Dejanoff änderte, hatte bereits sein Großvater gewählt.
Historische Zusammenhänge werden so einer inszenierten Identität gegenübergestellt, grafisches Design der Kunst, Retrospektion der zeitgenössischen Inszenierung, Fetischismen werden hinterfragt. Vielschichtigkeit und Überhöhung thematisieren nicht nur den Stellenwert von Kunst, sondern provozieren auch Überlegungen zu Identitätsverschiebung und Markttauglichkeit. So erinnert die Endung seines Namens an Marken wie Davidoff oder Smirnoff und verweist auf die Absurdität kapitalistischer Systeme, gleichzeitig erinnert man sich an Romanoff und erfährt auf der Suche nach der Bedeutung der Endungen von Familiennamen, dass -off eine besitzanzeigende Endung slawischen Ursprungs ist bzw. Bezüge zu einem Ort oder einem Ortsgründer hergestellt werden können.
Weniger scheint es also gesellschaftlicher Gestaltungsanspruch zu sein, der Plamen Dejanoff antreibt, vielmehr sind es Untersuchungen der eigenen und allgemeinen Geschichte, um neue gesellschaftliche Möglichkeitsbezüge anzustoßen. Aus Dejanoffs Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Bedingungen und dem Einbezug bzw. Aussetzen seiner eigenen Person und Geschichte hinterfragt er Wertigkeiten, positioniert sie neu und schärft damit unser Bewusstsein für Geschichte, Sprache und Orte. Er lüftet Vernetzungen und wünscht uns dazu alles Gute. Pour féliciter plamen!
Elisabeth Fiedler