Ein Stillleben ist ein wirkliches Leben
Die Videoportraits kann man im Sinne der drei traditionellen Methoden, wie Künstler Räume konstruieren, sehen. Halte ich meine Hand vor mein Gesicht, kann ich behaupten, sie sei ein Portrait. Sehe ich meine Hand aus einiger Entfernung, kann ich sagen, sie sei Teil eines Stilllebens, sehe ich sie vom gegenüberliegenden Straßenrand aus, kann ich sagen, sie sei Teil einer Landschaft.
Indem wir diese Räume konstruieren, sehen wir ein Bild, das wir als Portrait verstehen können. Wenn wir es genau betrachten, ist dieses Stillleben ein wirkliches Leben. Und wenn wir darüber nachdenken und lange genug hinschauen, werden die geistigen Räume in gewisser Weise zu geistigen Landschaften. Diese Portraits entwickelten sich aus einer Arbeit, die ich in den 1970er Jahren schuf. Ich gestaltete verschiedene Portraits, darunter waren der surrealistische Autor Louis Aragon, die Gesellschaftsdame Helene Rochas, eine Ente, ein Priester, den ich in einer Bar traf, Museumsdirektor Pontus Hulten, Sony CEO Akito Morita und der französische Kulturminister Michel Guy. Diese Portraits waren im Fernsehen, in Galerien, Museen, U-Bahnstationen, Hotellobbys, Flughäfen zu sehen, und sogar am Zifferblatt einer Armbanduhr.
Ich stelle mir vor, dass die VOOM Portraits im öffentlichen Raum genauso wie zuhause angesehen werden sollten. Zuhause sind sie quasi wie ein Fenster im Raum oder ein Feuer im Kamin.
Oft werde ich gefragt: „Welche Idee steckt hinter diesen Bildern?" Ich interpretiere meine Arbeit nicht. Das ist die Aufgabe der anderen. Wenn man einem Werk eine bestimmte Bedeutung zuschreibt, wird dessen Poesie eingeschränkt und es wird der Möglichkeit neuer Gedanken beraubt. Es handelt sich um subjektive, poetische Aussagen über verschiedene Persönlichkeiten. Ein Mann von der Straße, ein Kind, Superstars, die Götter unserer Zeit. (Robert Wilson)
VOOM Portraits:
Commissioned and produced by VOOM HD
In den 1970er Jahren schuf Robert Wilson seine ersten Portraits bedeutender Persönlichkeiten, wie Louis Aragon, Pontus Hultén, Helene Rochas, aber auch unbekannter Passanten und Tiere. Obwohl Wilson selbst sich weigert, seine Werke zu interpretieren, übernimmt er offensichtlich gerne die Aufgabe der Interpretation, wenn es sich um Persönlichkeiten handelt. Seine Portraits sind nämlich theatralische Inszenierungen und somit Interpretationen. Robert Wilsons Künstlertum konstruiert sich aus einer Reihe singulärer persönlicher Erfahrungen abweichendem Verhaltens (wie Sprachbehinderung, Gehörlosigkeit), wie auch aus den entscheidenden künstlerischen Impulsen der 1960er Jahre (von Performance bis zur Minimal Art), die in seine epochemachenden und legendären Inszenierungen ab den 1970er Jahren einflossen: 1976 Einstein on the Beach mit Musik von Philip Glass. 1979 Death Destruction & Detroit mit Musik von Alan Lloyd. 1981-1984 The CIVIL warS, Theaterprojekt mit Produktionen aus 5 Nationen, geplant für die „Cultural Olympics" Los Angeles 1984 (unvollendet). Er kooperierte mit William Burroughs und Tom Waits (The Black Rider, 1990), mit Laurie Anderson, David Byrne, Lou Reed (Time Rocker, 1996) und anderen. Später inszenierte er neben zeitgenössischen Autoren wie Heiner Müller und Susan Sontag, mit denen er befreundet war, auch Klassiker. Aus seiner Inszenierungskunst heraus wurde er auch Bühnenbildner und Bildhauer, Maler und Zeichner. Seine Bildkunst beschränkte sich aber nicht nur auf die Fläche, sondern er schuf auch dreidimensionale Objekte, Installationen und Environments von höchsten poetischen Graden, zum Teil absurd und surrealistisch, zum Teil extrem minimalistisch, aber immer überraschend. In der zeitbasierten Bildform Video und Film erreichte er eine innovative Bildsprache, die eine Welt kreiert, zwischen chaplinesque und kafkaesk, aber immer absolutely Wilson. In jüngster Zeit hat er den Reichtum seiner Bühnensprache auch auf Museen übertragen und als überragender Kurator neue Ausstellungstypen und Präsentationsformen für Objekte geschaffen. All diese Erfahrungen als Bild- und Objektkünstler, als Bühnenbildner und Regisseur, als Choreograf und Kurator hat er in seinen Videoportraits seit 2004 konzentriert, da es ihm die technischen Möglichkeiten des High Definition Fernsehens erlauben, den Reichtum seiner Bild- und Bühnensprache auszudifferenzieren: Bewegung, Gestik, Make-up, Kostüm, Kulisse, ebenso wie die Stile der Hoch- und Popkultur und die klassischen wie Neuen Medien: Malerei, Design, Musik, Oper, Tanz, Theater, Fotografie, Fernsehen, Film, etc. Die porträtierten Persönlichkeiten verweisen dabei nicht nur auf eigene biografische Details, sondern auch auf kulturgeschichtliche Quellen. Die Subjekte sind dadurch sowohl konstruiert wie authentisch, biografisch wie soziografisch, Portraits ihres Lebens wie eines Mediums oder einer Epoche. Die Portraits sind visuelle Geschichte aber auch Teil der Geschichte bzw. selbst Geschichte. Robert Wilson porträtiert nicht nur berühmte Persönlichkeiten, sondern auch unbekannte Menschen und Tiere, die bisher nicht künstlerisch repräsentiert wurden. Gerade in deren Inszenierungen erreicht Wilsons komplexe Bild- und Tonsprache ihre Höhepunkte, nämlich eine Zelebrierung der Empathie. Anonyma werden zur Diva, Neutra erhalten Kultstatus. Wilsons VOOM Portraits haben also eine kognitive Funktion. In der Geschichte der Portraitmalerei und des fotografischen Portraits, insbesondere der inszenierten Fotografie, stellen seine inszenierten Portraits nicht nur einen Höhepunkt der Vollendung, sondern auch vor allem eine Klimax, die wegweisend ist. (Peter Weibel)