"Nach einem neunmonatigen unfreiwilligen Aufenthalt in einer Militärkaserne geriet ich in eine schöpferische Krise, die von Resignation und Depression geprägt war. Ein Glück, dass ich in dieser Zeit der Entmutigung Anni, meine Frau, kennenlernte. Ein Glück auch, dass ich, gelähmt von schlimmster materieller Not, vom „Institut zur Förderung der Künste“, namentlich durch Herrn Ati von Auer einen Geldbetrag von 5.000,00 Schilling erhielt, um einen großangelegten Bilderzyklus in einem Keller herzustellen. (Diese Unterstützung sollte dann auch die einzig nennenswerte bis zu meiner Flucht nach Berlin im Jahre 1969 bleiben.)
Ich bespannte die Wände der beiden Kellerräume mit Molino, einem billigen Leinwandersatz, spannte Schnüre kreuz und quer durch die Räume, daran befestigte ich Packpapierbahnen, die bis zum Boden und bis an die Malflächen reichte. Meine Absicht war, ein Labyrinth herzustellen, welches helfen sollte, einer allzu schnell sich festigenden Kompositionsidee irgendwie auszuweichen. Mir schwebte vor, alle Wände als ein „Rundumbild“ gewissermaßen gleichzeitig zu bearbeiten, durch ein ständiges Wandern im Labyrinth eine angestrebte „Dekomposition“ zu verwirklichen.
Nach einem sechsmonatigen, unfreiwilligen Aufenthalt in einem Hotel in St. Moritz – meine Frau und ich arbeiteten dort als Tellerwäscher – kehrte ich nach Wien zurück und fand die Kellerräume leer vor. Die bemalten Molinobahnen lagen wild zusammengepfercht in einer finsteren Nische. Der Besitzer des Kellers, ein Psychologe und Journalist, hatte in der Zeit meiner Abwesenheit die Räume an einen Studentenclub vermietet.
In dieser Zeit rationalisierte ich meine Verstörtheit, meine Unsicherheit, indem ich mich mehr und mehr in eine „Kunst-ist-tot-Stimmung“ treiben ließ, diese zeitweise mit einem arroganten „Rimbaudduchampismus“ umkleidend. Zahlreiche Diskussionen mit Otto Muehl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler trugen sehr viel dazu bei, meine Selbstabkapselung wenigstens hier und da ein wenig aufbrechen zu lassen. Muehl gelang es denn, den Riegel, welchen ich mir vorgeschoben, zu knacken. Er machte mich mit dem Experimentalfilmer Kurt Kren bekannt und dieser begeisterte sich sofort für meinen ihm im „Cafe Sport“ vorgetragenen Plan, eine Film-Aktion zu verwirklichen.
Die Aktion fand in Muehls Wohnung in der Oberen Augartenstraße statt. Mit großem Eifer machte ich mich an die Ausarbeitung der „Szenerie“ und der „Handlung“. Mit den dürftigen Mitteln, die mir zur Verfügung standen, versuchte ich das Zimmer samt etlichen zusammengesuchten Gegenständen in ein Weißinweiß zu tauchen. Ein Interieur, dem jedwede spezifische Sinnlichkeit, die die Gegenstände ausstrahlen, entzogen werden sollte. Letzten Endes handelte es sich um die klassische weiße Leinwand, ins Dreidimensionale erweitert.
In dieser Umgebung rollte ich meinen Körper, von weißen Tüchern gleich einem Paketklumpen umfangen, quer durch den Raum. Die Tücher lösten sich von meinem angespannten Leib, welcher in katatonischer Stellung, mit beiden Fußsohlen an der Wand wie festgeklebt, für lange Zeit verharrte.
Die in dieser Mappe versammelten Fotos zeigen diesen Ablauf in einigen Ausschnitten. (Die Aufnahmen stammen von Muehl. Der Film lag jahrelang unentwickelt irgendwo herum, darob die Qualität der Fotos wohl gelitten.)
Als zweiten Punkt der „Handlung“ hatte ich eine Körperbemalung vorgesehen. Mindestens hier mußte eine selbstkritische Betrachtung von ANA einsetzen. Ich verschüttete zunächst schwarze Farbe auf die weißen Gegenstände, bemalte Anni in der Absicht, ein „lebendes Gemälde“ zu verfertigen. Doch nach und nach schlich sich eine gewisse Unsicherheit ein, verstärkt durch einen eifersüchtelnden Streit zweier Fotografen, worauf einer zorngeladen die Stätte verließ.
Kurt Kren war mit seiner 16 mm-Kamera ungeachtet aller Störungen mit allergrößtem Einsatz bei der Sache. Die Missstimmung nämlich nahm auch noch zu, als ich die Mängel in meiner „Partitur“ bemerkte – und, so diese vielleicht keine hatte, die Mängel an der Umsetzung in das bare Geschehen. Dies erkennend, erlag ich einem triebdurchbruchartigen Malanfall, verklemmte mich in eine umgestürzte Stehleiter, auf welcher ich vorher die entsetzlichsten Turnübungen zur Schau stellte, beschmierte in rasender Verzweiflung die Wände – bis zur Erschöpfung. Ein Informel der allerletzten Stunde! Muehl bespöttelte mit bösen Worten meinen Rückfall in eine zu überwindende „Technik“. Er geriet mit Kren, welcher meinem Abortus der Zielvorstellung beipflichtete, in einen unsanften Streit.
Im Rückblick auf diese Ereignisse kann gesagt werden, dass Muehls Kritik weitgehendst berechtigt war – und notwendig wie alle anderen Auseinandersetzungen innerhalb unserer „Aktionsgruppe“. Meine erste Aktion war zum Teil eine intellektuelle Panne. Sie war aber auch ein Durchbruch, welcher direkt auf die später so genannte „Körperkunst“ hinzielte. Freilich, ich schaffte es nicht, den zeitlichen Ablauf eines Ereignisses in einem gegebenen Raume mit meinen inneren Bedürfnissen zu koordinieren. Aber ich strampelte mich irgendwie frei, stieß Räume auf und Hoffnungen.
Eine Phase der Bewußtmachung wurde durch ANA eingeleitet. Und nicht nur eine Phase der Selbstbewußtmachung. Sie endete, bezieht man sich auf die künstlerische Technik „Aktion“, mit der „Zerreißprobe“ (München 1970) in der Öffentlichkeit und mit der „Körperanalyse“ (Berlin 1970) im Atelier."
- Günter Brus, 1984