Palais Herberstein

Beitrag von Ulrich Becker

Nicht nur Bücher, sondern auch Häuser haben ihre Schicksale. Um das zu zeigen, ist man geneigt, für das Palais Herberstein in der Sackstraße 16 und seit 2017 „Museum für Geschichte“ am Joanneum erst einmal die Fülle höchst disparater Nutzungen zusammenzufassen: Wohnsitz einer bourbonischen Exilantin der Restaurationszeit, der unglücklichen Marie Caroline, Herzogin von Berry; später zieht das k. k. Landes- und Schwurgericht hier ein. In den verwaisten Räumen siedelt sich eine Indoor-Fahrradschule (!) und für lange Zeit eine Tanzschule an. Als die „Landesbildergalerie“ im Jahr 1941 in die Alte Galerie und Neue Galerie am Joanneum aufgeteilt wird, zieht Letztere in das Palais Herberstein ein – seitdem wird der weitläufige Gebäudekomplex als Museum genutzt.

2011 übersiedelt die Kulturhistorische Sammlung von ihrem Stammhaus in der Neutorgasse in das historische Gebäude in der Sackstraße 16 und wird dort heute gemeinsam mit den Multimedialen Sammlungen im „Museum für Geschichte“ präsentiert.

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Mehr als ein Haus

In Zeiten ständiger Invasionsgefahr – das expandierende Osmanische Reich ist Nachbar – stehen die Zeichen auf Distanz und Abwehr. Vom 16. bis ins 19. Jahrhundert ist Graz von Bastionen italienischer Bauart umgeben, hat also Festungsstatus, was für Stadt und Land eine erhebliche finanzielle Belastung ergibt. Und wie die Stadt selbst gibt sich auch das Haus in der Stadt nach südlichem Vorbild wehrhaft: Die beiden Zugänge zur Straße, deren Dominanz ursprünglich durch keine großen Erdgeschossfenster getrübt wird, erinnern mit ihrem mächtigen Quadermauerwerk bewusst an Festungsportale bzw. Stadttore, also Eingangstypen, deren äußere Gestaltung anzeigt, dass hier nicht ungehindert Zugang gewährt wird, im Gegenteil: Solche Botschaften sind nicht nur Ausdruck trutziger Abwehrbereitschaft, die nicht von ungefähr an die Selbstbehauptung der Eliten im Streit um die einzig wahre Konfession im Lande erinnert. 

„Das Haus“ ist freilich mehr als ein Haus. Es ist eine umfangreiche, vielgestaltige bauliche Einheit innerhalb der geschlossenen historischen Stadt, die – Glücksfall genug – keine Kriegsschäden davongetragen hat. Mit ihren zahlreichen Höfen, den säumenden Hofgalerien (den so fragil wirkenden sogenannten „Pawlatschen“), massiven Arkadengängen, Korridoren und Raumfolgen ist es eher eine Stadt in der Stadt, die alles vereinigt: Prunk- und Wohnräume, eine Vielzahl von Nutzräumen für die Güterverwaltung oder Wagenremisen. Sie rückt dicht an den ansteigenden Schlossberg heran, jeden verfügbaren Winkel des unregelmäßigen Terrains ausnutzend, denn Baugrund ist teuer.

Sie signalisieren auch Modernität, die Vertrautheit mit der „Welschen Manier“, wie die gerade im Norden eingeführte italienische Renaissance auch genannt wird. Eine streng abgeschlossene Welt also, über die ein adeliger Hausherr nach Belieben befinden konnte. An dessen Stelle sind heute die geregelten Öffnungszeiten des Museums getreten.

Portal, Foto: N. Lackner/UMJ

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Was ein Bau (nicht sofort) verrät

Heute präsentiert sich das Haus mit seiner breitgelagerten Fassade als weitgehend einheitliche Anlage. Aber der Eindruck täuscht. Ein Haus wie dieses wird nicht einfach „gebaut“, es ist vielmehr „gewachsen“, verdankt sich also ständigem Umbau und mehrfacher Erweiterung, was deutlich billiger kommt als Abbruch und Neubau.

 

Das gilt für viele Städte der Frühen Neuzeit mit ihren eng gebauten Quartieren. In das Grazer Weichbild greifen seit dem 16. Jahrhundert vermehrt italienische Spezialisten ein, die eine Rationalisierung des Baugeschehens bewirken. Wie eine möglichst kostengünstige Sanierung aussehen kann, die zugleich dem State of the Art entspricht, präsentiert ein vielbändiger Traktat, den der italienische Architekt Sebastiano Serlio mit seinen Tutte le opere d’architettura (Venedig 1584) vorgelegt hat und der zugleich ein regelrechtes Nachschlagewerk ist.

Im Gegensatz zu Michelangelo und anderen Zeitgenossen hat Serlio keine berühmten Bauten hinterlassen, dafür aber umso mehr praktische, zur Lösung von Problemen nützliche Tipps gegeben. Architektur muss man eben nicht immer neu erfinden. Im 7. Buch (S. 170 ff.) heißt es sogar, dass es hier um viel Unvorhergesehenes gehe, das einem Architekten passieren könne („molti accidenti chi possono occorrer al Architetto“), vor allem wenn er vor die heikle Aufgabe gestellt ist, Altes wiederherzustellen („ristorar cose vecchie“).

Vor genau dieses Problem sehen sich die Eggenberger gestellt, als sie 1602 zwei Häuser des 16. Jahrhunderts zusammenlegen und mit Unregelmäßigkeiten aller Art zu kämpfen haben. Ähnlich ergeht es ihren Erben, den Grafen von Herberstein, die zwischen 1754 und 1761 einen durchgreifenden, die heutige Erscheinung wesentlich prägenden Umbau vornehmen. Verantwortlicher Architekt ist der in Wien ausgebildete Joseph Hueber, im Graz jener Zeit der meistbeschäftigte Fachmann. Er steht nicht nur im Dienst von Privatiers – mit dem Hammerherrn von Thinnfeld plant er das gleichnamige Landschloss in Deutschfeistritz nördlich von Graz –, sondern muss auch den Ansprüchen respektgewohnter „Häuser“ entsprechen.

„Häuser“, das sind die ebenso macht- wie prestigebewussten Familien des Landes, in deren Händen die wichtigsten (und einträglichsten) Ämter verbleiben, die fortdauernden Elitestatus beanspruchen und wie selbstverständlich die Spitze der sozialen Pyramide einnehmen. Ein Zustand, den auch ein sich „absolut“ verstehender Fürstenstaat nicht übergehen kann. Zu frisch ist die Erinnerung daran, dass jene Eliten nicht allzu lange zuvor, in Zeiten des Glaubenskonflikts, dem Landesherrn die Stirn geboten haben.

Und so finden sich die prominenten Namen wie ihre Wappen vielerorts wieder. Über dem Individuum und seinem Anspruch steht der Ruhm der Familie, der das verbürgen soll, was aus der Sicht der Zeit den Zusammenhalt dieser Art von Gesellschaft garantiert: Legitimität und Kontinuität. Konsequenterweise treten die Familien als Bauherrn auf und bringen ihre Wappen an prominenter Stelle an. Wer den ersten großen Hof des Anwesens betritt, hat dies sofort vor Augen: Am Giebel des Mitteltraktes prangt, absichtsvoll als point de vue angelegt, das Allianzwappen jener beiden Geschlechter, die auf nachhaltige Weise Landesgeschichte geschrieben haben und denen das Haus sein definitives Aussehen verdankt: das Haus Herberstein als legitimer Erbe des Hauses Eggenberg.

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Der Bau als soziale Bühne – Inszenierung ist alles

Barocke Architektur ist nicht nur planvolle Raumerschließung und -nutzung, sie ist in wesentlichem Maße Inszenierung, die systematisch angelegt wird, um im Stiegenhaus ihren ersten Höhepunkt zu finden, der zugleich über den Status des Eigentümers Auskunft gibt. Nicht zuletzt erlaubt das Stiegenhaus dem Hausherrn, eine spürbare Abstufung der Wertschätzung vorzunehmen, wie es eine gleichermaßen auf Privilegien versessene wie titelsüchtige Zeit verlangt: Ist der Gast hohen Ranges, wird er unten am Fuße der Treppe empfangen, Gäste bescheidenerer Herkunft müssen sich ohne Begleitung weiter nach oben bequemen.

Mit dem neuen Stiegenhaus erfüllte der Architekt ein wichtiges soziales Erfordernis und setzte darüber hinaus einen ersten entscheidenden Akzent, den es im hinterlassenen eggenbergischen Bau nicht gab und daher in das vorhandene enge Gefüge integriert werden musste. Damit wurden die beiden Etagen erschlossen, die heute die Ausstellungsebenen des Museums für Geschichte sind – wobei hier die zweite Ebene die repräsentativste ist, die Beletage, wie es in der Modesprache der galanten Zeit heißt, zuvor hätte man es piano nobile genannt.

Dabei kam dem Architekten Hueber die Kenntnis Wiener (und wohl auch Prager) Vorbilder sehr gelegen, während der Maler des Deckenfreskos, vermutlich Philipp Carl Laubmann, eine schon bejahrte Quelle nutzte: Perspectivae pictorum atque architectorum / Der Mahler und Baumeister Perspectiv (Augsburg 1709), verfasst von dem Jesuitenpater Andrea Pozzo und über lange Zeit verlässliches tool barocker Illusionsregie.

Erdgeschoss mit Arkadengang zum Stiegenhaus, Foto: N. Lackner/UMJ

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Stiegenhaus, Foto: N. Lackner/UMJ

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Das diskrete Gesetz der Angemessenheit – bienséance

Architektur ist rationale Organisation ebenso wie Ausdruck sozialen Ranges, was sich nicht nur in Fassaden und Zugangsbereichen, sondern auch in der Raumgestaltung sowie -folge niederschlägt, die als Ort zeremonieller Begehung, des Durchschreitens, wie eine Bühne funktioniert. Wenn der Status der Besitzer ausgedrückt werden soll, gilt es auch Grenzen der Repräsentation einzuhalten, die Regeln der Angemessenheit zu beachten, der bienséance.

Nun ist das 18. Jahrhundert unter dem beherrschenden Einfluss der Pariser Luxuswelt ohnehin mindestens so sehr an Eleganz und Raffinesse wie an üppiger Prunkentfaltung gelegen. Als die Herbersteiner die Umgestaltung ihres innerstädtischen Wohnsitzes (wie übrigens auch von Schloss Eggenberg) in Angriff nehmen, steht die Ornamentmode im Zeichen des style rocaille. Der Rokoko-Geschmack hat nun auch in Österreich seinen Zenit erreicht, wo Maria Theresias Hofarchitekt Nicolaus Pacassi eine eigene Variante des style rocaille mehrfach realisiert, v. a. in Schönbrunn oder im „Leopoldinischen Trakt“ der Hofburg mit den heutigen Amtsräumen des Bundespräsidenten. Indem die Herbersteiner dem Wiener Hofstil nacheifern, erweisen sie sich ihrem aristokratischen Publikum als kaisertreue Gefolgsleute.

Wie lange zuvor Serlios Musterlösungen zu Gebote standen, bieten sich unter geänderten Geschmacksvorzeichen gestochene Vorlagen à la française für die Umsetzung in Holz bzw. Stuck an, ohne dass das Pariser Paradigma 1 : 1 wiederholt wird. All das verlangt hohes handwerkliches Geschick, wobei aufs Neue ein ökonomisches Moment zum Zuge kommt. Geschnitzte Vertäfelungen kommen teuer, wirtschaftlicher hingegen eine zur Gänze in reproduktionsfähigem Stuck ausgeführte Ausstattung.

Sie liegt in den Händen von Johann Heinrich Formentini, Angehöriger einer aus dem benachbarten Oberitalien stammenden Künstlerfamilie. Als sich jedoch wenige Jahre später die Mode ändert und der style rocaille unmodern wird, zumal in Zeiten josephinischer Strenge die Aufträge ausbleiben, sattelt der vielseitige Formentini um: Er wird ständischer Zeugwart und im Zeichen neu aufkommender, von Rousseau befeuerter Naturliebe Initiator der ersten städtischen Grünanlage im nun aufgelassenen, weil nutzlos gewordenen Festungsgelände der Stadt – ein urbanes Kapitel der Aufklärung im Lande.

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Obergeschoss, Beletage, Deckendetail mit Rocaillen, Foto: N. Lackner/UMJ

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2. Obergeschoss, Beletage, Deckendetail mit Rocaillen, Foto: N. Lackner/UMJ

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2. Obergeschoss, Beletage, Deckendetails mit Rocaillen, Foto: N. Lackner/UMJ

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2. Obergeschoss, Beletage, Veranstaltungsraum, Foto: N. Lackner/UMJ

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Porträt Hans Ulrich v. Eggenberg (Anton Jantl), Foto: N. Lackner/UMJ

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Österreichs schönste Rokoko-Etage?

Auch wenn ein Teil der Beletage seine Rocaille-Dekoration weitgehend verloren hat – die vorübergehend dort logierende Herzogin von Berry ließ Teile des Stucks entfernen –, ist man versucht, diese Frage zu bejahen: So zahlreich sind die Raumfolgen aus theresianischer Zeit nicht, eines der vergleichsweise wenigen Zeugnisse dieser Art, die Interieurs des Wiener Palais Parr, sind mit dem Abbruch des Gebäudes in den 1930er-Jahren bis auf Reste (heute im MAK) verschwunden. Selbst die in vielem vergleichbare Umgestaltung der Eggenberger Beletage musste viele Rücksichten auf den älteren Bestand, v. a. die Decken, nehmen.

In der Grazer Sackstraße hingegen gestatten außer den Wandpaneelen die Decken eine nahezu unbegrenzte Entfaltung des style rocaille, wie sie selbst in Wien ohne Parallele ist. Aus Paris wird der Weiß-Gold-Grundton übernommen, der noch bis in die Schlussphase der Monarchie als offiziöser Hofstil der Habsburger firmiert. Die Bezeichnung „Blondel’scher Styl“ erinnert an den Architekten Jacques-François Blondel, der in der époque Louis XV mit seiner Kunst raffinierter Raumverteilung, der distribution, einem Lieblingsbautypus der Epoche, der maison de plaisance, die angemessene Form gegeben hat. Er entsprach damit einem Hauptinteresse eines nur oberflächlich „galanten Zeitalters“, in dem Stand und Privileg alles waren, einer Welt, die nach 1789 endgültig versunken ist.

So sehr die Epoche à la mode sein wollte, so wenig vergaß sie auf das, was man „Lob des Herkommens“ nennt, galant gesprochen die ancienneté: Mit einem großen Porträt im ehemaligen Speisesaal (dem heutigen Veranstaltungsraum) erweist das Haus Herberstein dem profiliertesten Vertreter der Voreigentümer und Begründer der zu neuem Glanz gebrachten Stadtresidenz, Hans Ulrich von Eggenberg, gebührende Reverenz, auch wenn diesem die so geschätzte ancienneté abgehen mag. Der Porträtierte war genau das, was die Römer einen homo novus nannten, ein verschlagener, um keinen dirty trick verlegener Sozialaufsteiger.

Doch dies ist längst Geschichte. Was bleibt, ist in den Augen der Nachwelt Verdienst. Um dieses ins Bild zu setzen, bediente sich der Grazer Lokalporträtist Anton Jantl ziemlich ungeniert bei der gleichzeitigen Wiener Bildnismalerei, bei Franz Xaver Palko. Nur wenige Jahre hatte dieser zuvor in den posthumen Porträts der Kaiser Matthias I. und Ferdinand I. (heute im Belvedere) eine schon weit zurückliegende habsburgische Vergangenheit noch einmal mit all dem theatralischen Pomp einer längst vergangenen Zeit auf eine fiktive Bühne gerufen – kurz bevor sich die wirkliche, die weltgeschichtliche Bühne drehen und an die Stelle der anciennité die neue égalité treten wird.

Von der Vergangenheit in die Gegenwart:

Die museale Nutzung hat sich im Umgang mit dem Bau weitgehend zurückgehalten und den Bestand möglichst zu schonen versucht. Als 2011 die Kulturhistorische Sammlung aus der Neutorgasse in die Sackstraße zog, wurden die Wände lediglich verschalt, dafür aber die Geschichte des Hauses streckenweise buchstäblich ausgeblendet. Wenn auch eine eingehende Restaurierung nie unternommen werden konnte, bedeutet diese Maßnahme im wesentlichen Substanzschonung.

An diesem Grundsatz hat auch das Grazer Architekturbüro INNOCAD festgehalten, als es 2017 die alte Beletage neu gestaltete: Für die Kulturhistorische Sammlung sowie die Multimedialen Sammlungen wurde in den schlichteren Räumen je ein neues Schaudepot eingerichtet. Die auf kompromisslose Abschottung setzende Verkleidung von 2011 machte einer transparenten Lösung Platz, während der Spiegelsaal für die Geschichtsschau 100 x Steiermark adaptiert wurde: ein glänzendes Schaubuffet – passenderweise mit Spiegeln. Das unvermittelt wirkende Nebeneinander von Alt und Neu wurde nicht gescheut, so wie im gesamten Haus Vergangenheit und Gegenwart gleichzeitig zu finden sind.

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