Tanzende Bäume

Timm Ulrichs, 1997/2010

Bäume stehen für Verwurzelung, natürliches Wachstum oder Alter. Diese vorgegebene Sichtweise wird im Werk durch die Bewegung der Birken auf ironische und subtile Art hinterfragt. Ulrichs involviert die betrachtenden Personen durch ihre Annäherung an die Bäume, welche die Rotationen erst auslöst. Die vermeintliche Verwurzelung Betrachtender vor Kunstwerken oder interessanten Phänomenen, ähnlich jener von Bäumen, wird als Konstrukt entlarvt und ironisch aus den Angeln gehoben.

Neben dem Eingang des Parkgeländes befinden sich 3 kleine Birken. Sie drehen sich in regelmäßigem Abstand und scheinen miteinander zu tanzen. Neben dem Eingang des Parkgeländes befinden sich 3 kleine Birken. Sie drehen sich in regelmäßigem Abstand und scheinen miteinander zu tanzen.

Bildinformationen

Autor*in

Elisabeth Fiedler, Kurztext adaptiert von Lisa Schantl und Lukas Sperlich  

Planübersicht

Besitzer*in

Land Steiermark

Künstler*innenbiografie

Timm Ulrichs

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Zum Werk

Beginnend mit der Absage an eine rein auf die Netzhaut bezogene Kunst, die Marcel Duchamp 1913 tätigt und als Folge daraus kein Bild mehr malt, setzt er die Forderung weniger an rein die Sinne ansprechende gestische Kunst und damit den Ausgangspunkt für die Konzeptkunst mit Schwerpunktsetzung auf die Herausforderung des Geistes.

Timm Ulrichs, 1940 in Berlin geboren, ist einer der wichtigsten Protagonisten dieser Tradition, der sich nicht nur mit Konzept, Sprache, Mathematik, Musik, Foto oder Film beschäftigt, sondern auch unter Einbeziehung der eigenen Person, des eigenen Körpers, als „lebendes Kunstwerk“ schließlich als „Totalkünstler“ zu verstehen ist.

Als Intellektueller beginnt er unter Berufung auf den Philosophen Georg Christoph Lichtenberg (1772–1799), der sich mit der Fragilität menschlichen Machwerks auseinandersetzt, oder auf Till Eulenspiegel (1300–1350), der die Unzulänglichkeiten des Menschen in der Verschränkung und Austauschbarkeit von bildlichen und wörtlichen Redewendungen thematisiert, und eingehender Beschäftigung mit der Sprachphilosophie Ludwig Wittgensteins sein mit Witz, Ironie und in präziser Auseinandersetzung mit historischen, gesellschaftlich konnotierten, formalästhetischen und gleichzeitig politischen Faktoren radikales Werk.

So fungiert er selbst 1977/79 ebenso als „menschlicher Blitzableiter“, wie er sich in sich selbst ausliefernder und unmittelbarer Nacktheit 1981 zehn Stunden lang in einem mit seinen Körperformen ausgehöhlten Stein, einem Findling, einschließt und dazu sagt: „Der Stein nimmt meine Wärme an; ich versteinere.“ (Timm Ulrichs, Landschaftsepiphanien, Kunstverein Ruhr, Essen 1993, S. 15) Oder er lässt 1969 einen Grabstein mit der Inschrift „Denken Sie immer daran, mich zu vergessen!“ versehen.

Diese Spannbreite von körperlich totalem Einsatz und gleichzeitiger Selbstironie, gepaart mit großem Wort- und Bildwitz, erreicht uns schließlich nicht nur in ihrer Konzeption, sondern berührt uns auch auf mythologischer, archaischer, philosophischer und ganz unmittelbarer Ebene.

Die Verbindung von Kunst und Leben, wie sie für Ulrichs existenziell ist, wird in seinen Arbeiten auch auf uns übertragen spürbar. Er, der sich 1966 in Rückblick auf Duchamps Idee des Readymades selbst als solches deklariert und als erstes lebendes Kunstwerk ausstellt, setzt sich nicht nur aus, sondern untersucht ähnlich einem Filter, aber auch gleich einem durchlässigen Spiegel äußere Grenzerfahrungen des Einzelnen sowie gesellschaftspolitische oder Massenphänomene.

Durchschnittswerte und Statistiken sind für Ulrichs insofern von großer Bedeutung, als sie, umgesetzt von ihm selbst im Jahr 1973, die Absurdität der Durchschnittswerte verdeutlichen, er selbst paradoxerweise Einzigartigkeit in der Erfüllung des Durchschnitts erfährt. Zwischen den Polen „Um populär zu sein, muss man Durchschnittsmensch sein“ (Oscar Wilde, Das Bildnis des Dorian Gray) und „Wir werden in einem Meer von Mittelmäßigkeit versinken“ (Marcel Duchamp) beschäftigt Ulrichs sich mit der künstlerisch-demokratischen Gleichsetzung ebenso wie mit menschenverachtender ignoranter Nivellierung.

„Ihre gesellschaftliche Relevanz“, sagt Ulrichs über Kunst, „besteht nachgerade in ihrer unaussöhnlichen Betonung und Verschärfung der Unähnlichkeiten und Ungleichheiten und Gegensätze, in ihrer Kriegserklärung an die Mächte der Gewohnheit und die Trägheit der Massen, an die Ansprüche des Kollektivs gegenüber dem Einzelnen, der Quantität und Quantifizierbarkeit gegenüber der Qualitä t… sie hat zu sein Sand im Getriebe der gesellschaftlichen Ordnungen, Konventionen und Konformismen.“ (Timm Ulrichs in: Timm Ulrichs, statistisch, VGH Galerie Hannover 2009, S. 19)

Es gilt, eingeprägte, konditionierte Vorstellungen zu irritieren, deren Systematiken zu dechiffrieren und dadurch einer neuen Sichtweise auszusetzen. So imaginiert Ulrichs in seinen Foto-Arbeiten Landschafts-Epiphanien (1972/87) Sonnenauf- oder -untergänge, ruft Erinnerungen in uns wach, die aber nicht er abbildet, sondern die von der Kamera selbst beim Einlegen eines Dia-Films im Übergang von einem belichteten zu einem unbelichteten Filmstück generiert werden. Es gibt also kein Vor-Bild, sondern nur die vom Betrachter assoziierte und evozierte Projektion.

Nicht Repräsentation im Sinne einer Deckungsgleichheit von Vorbild und Abbild, nicht Enttäuschung durch den Einsatz von klar erkennbarer idealer Landschaft strebt er an, sondern er forciert das Ende der Täuschung mittels der Bildproduktion der Kamera selbst und der dadurch evident werdenden Tatsache von Realitätskonstruktion im Kopf.

Natur, künstliche Natur ebenso wie Wirklichkeitskonstruktion anhand von Bäumen reflektiert Ulrichs bereits 1968/72, als er drei Bäume nach Auffassung Cézannes, der gemäß sich alles in der Natur wie Kugel, Kegel und Zylinder modelliert, in eben diese Formen bringt und als Triptychon realisiert. War es damals die Erkenntnis der äußeren Natur als „global parzelliert-umzäunter Schrebergarten“ (Timm Ulrichs in: Natur, natürlich künstlich – Kunst, künstlich natürlich. Beilage in: Kunstforum International, 1. Jg., Nr. 1, 1973), positioniert er seine Tanzenden Bäume nun als dem umgebenden Gebiet angemessene Teile der Natur in Form von ausgewählten Baumarten, drei junge Birken, inmitten einer ausgewiesenen Landschaftsarchitektur.

Es ist hier nicht mehr das im Betrachter geweckte Bewusstsein, dass der Eindruck in Bild oder Fotografie eine autopoetische Projektion darstellt, sondern es ist die veritable Konfrontation und vor allem Interaktion von und zwischen Mensch und künstlerisch gesetztem Naturobjekt. Die Idee Ulrichs‘ zu beweglichen Bäumen stammt aus dem Jahr 1969, die Tanzenden Bäume konnten 2009 unter anderem während des Kunstprojektes „Blickachsen 7 Rhein-Main“ temporär gezeigt werden. Nun findet diese einzigartige Skulptur ihren endgültigen Aufstellungsort im Österreichischen Skulpturenpark.

Seinem Konzept stellt Ulrichs einen Satz von Franz Kafka voran: „Denn wir sind wie Baumstämme im Schnee. Scheinbar liegen sie glatt auf und mit kleinem Anstoß sollte man sie wegschieben können. Nein, das kann man nicht, denn sie sind fest mit dem Boden verbunden.“ (Franz Kafka, „Die Bäume“, 1904/05)

In dieser, von Ulrichs intendierten Verbindung von Kunst und Natur wird also auch der Besucher als irritierter und gleichzeitig selbst das Tanzen der Bäume durch Annäherung auslösender Faktor integriert bzw. involviert. Nicht mehr als andächtiger Betrachter, als Ausgesetzter, als romantisch Verklärter steht er der Natur gegenüber, sondern seine ebenso vermeintliche Verwurzelung wie die von Bäumen als angenommenes Naturgesetz wird als Konstrukt entlarvt und ironisch aus den Angeln gehoben.

Diese Bäume setzen nicht nur ein markantes Zeichen des Dialogs zwischen Natur und Kunst, es ist auch der Archetypus des Baumes, der für Verwurzelung, natürliches Wachstum oder Alter steht, der einer vorgegebenen Sichtweise ironisch und subtil enthoben wird. Ohne die genannten Parameter aufzuheben, treten die Bäume mit uns bei näherer Betrachtung in Interaktion und verunsichern gewohnte Realitätswahrnehmung, um spielerisch und lustvoll neue Perspektiven im Hinblick auf unser Leben, örtliche Vernetzung, Mobilität oder gedankliche Flexibilität zu eröffnen. 

So schreibt Timm Ulrichs auch in seinem Erläuterungsbericht zur Version von 2008: „Das Natur-Schauspiel des seine feste Verwurzelung aufgebenden, rotierenden und ,tanzenden‘ Baumes führt vor Augen – ähnlich dem wandernden Wald in Shakespeares „Macbeth“ –, dass auch als stets feststehend empfundene Verhältnisse im (künstlerischen) Zugriff zum Tanzen gebracht werden können. Es ist dies gemeint als ein Bild des ständigen – körperlichen, mentalen, geistigen – Aufbruchs.“