EU & YOU, Objekt anlässlich der Erweiterung der Europäischen Union 2004, 2004

Boris Podrecca, 2004

Diese Arbeit bewegt sich an der Schnittstelle von Architektur, Skulptur und Intervention im öffentlichen Raum. Als selbstreferenzielle Skulptur widerspiegelt sie ihren Sockel spiegelverkehrt in fünf Meter Höhe. Dargestellt ist der Grundriss von Österreich und den vier neuen EUNachbarländern 2004 – der Tschechischen Republik, der Slowakei, von Ungarn und Slowenien. Das Objekt kann und soll auch durch die betrachtende Person ein Ort der Kommunikation und des Dialogs werden.

Positioniert vor dem Eingang des Österreichischen Skulpturenpark, wirkt die freistehende in sich verdrehte Skulptur sehr imposant. Dargestellt ist der Grundriss von Österreich und den vier neuen Nachbarländern. Positioniert vor dem Eingang des Österreichischen Skulpturenpark, wirkt die freistehende in sich verdrehte Skulptur sehr imposant. Dargestellt ist der Grundriss von Österreich und den vier neuen Nachbarländern.

Bildinformationen

Autor*in

Elisabeth Fiedler, Kurztext adaptiert von Lisa Schantl und Lukas Sperlich  

Planübersicht

Besitzer*in

Universalmuseum Joanneum

Künstler*innenbiografie

Boris Podrecca

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Mit 1. Mai 2004 umfasste die Europäische Union 25 Mitgliedsstaaten. Mit diesem Datum traten ihr zehn neue Länder bei, darunter vier Nachbarländer Österreichs, die Tschechische Republik, die Slowakei, Ungarn und Slowenien.

Unter dem Titel EU & YOU, Kunst der guten Nachbarschaft, kuratierte Peter Weibel zu diesem Anlass eine Ausstellung mit 14 Künstlerinnen und Künstlern aus Österreich und den vier neuen Staaten, die schon lange vor diesem Datum als „Nomaden der Nachbarschaft“ (Peter Weibel) fungierten. In zahlreichen Projekten und Ausstellungen, explizit in derjenigen im Forum Stadtpark 1994 unter dem Titel „Die Festung Europa“, hatte Peter Weibel auf die koloniale Ausbeutung durch Europa und deren Folgen verwiesen.

Die genannte Ausstellung fand in unterschiedlicher Besetzung in den Bahnhöfen Bratislava, Brno, Graz, Ljubljana, Wien, Szombathely und Villach statt. Bahnhöfe wurden ganz bewusst als symbolische Orte des Ankommens und Abreisens, der Flüchtigkeit, der Kommunikation und gleichzeitigen Isolation gewählt. Bahnhöfe sind alltäglich und gleichzeitig fremd, sind voll von Geschichten der Reisenden, sowohl der entschwundenen, als auch der am Ort verbliebenen.

Boris Podrecca schuf eine an der Schnittstelle von Architektur, Skulptur und Intervention im öffentlichen Raum sich bewegende Arbeit unter dem Titel EU & YOU, Objekt anlässlich der Erweiterung der Europäischen Union, die auch unter Info-Pavillon firmiert. Nach Ablauf der Ausstellung wurde sie dem Österreichischen Skulpturenpark zum Geschenk gemacht, jedoch in Ermangelung eines entsprechenden Aufstellungsortes bis heute nicht präsentiert. Durch die großzügige Kooperationsbereitschaft der Firma Porr ist es nun möglich geworden, die Arbeit als öffentlich sichtbares Objekt unmittelbar vor dem Österreichischen Skulpturenpark zu positionieren.

Ausgeführt ist die Arbeit einerseits als in sich selbst kommunizierende, andererseits als interaktive Skulptur: Obwohl sie als Info-Pavillon ausgewiesen ist, erhält man hier weder mündliche, noch schriftliche Informationen, sondern die Arbeit besteht als selbstreferenzielle Skulptur, die sich in ihrer kartografischen Exaktheit selbst bezeichnet und außerdem spiegelverkehrt spiegelt. 

Dargestellt ist der Grundriss von Österreich und den vier neuen Nachbarländern, wobei deren Grenzen in den Nationalfarben eingraviert sind. Über eine sich windende und emporragende Stele wird ein, normalerweise nur zweidimensional wiedergegebener Landkartenausschnitt hoch geschraubt und fungiert als schutzgebender Plafond. Gleichzeitig wird das politische Konstrukt physisch erlebbar, fassbar und begreifbar.

Angelegt als Skulptur ohne Sockel – seit der Skulptur „Die Bürger von Calais“ von Auguste Rodin wissen wir um den Demokratieanspruch durch das Weglassen des Sockels – schreibt Podrecca dieser noch zusätzlich Stufen ein, um den Besucher zum Betreten einzuladen. Dem gefürchteten Autismus der Gesellschaft entgegenwirkend, bietet er uns die Arbeit als Plattform, als Gesprächsforum. Als Kommunikationsort gestalten erst wir diese Skulptur in ihrer Interaktivität.

Damit kann sie als eindeutige Stellungnahme zum europäischen Verständnis und zur zentralen und verbindenden Position Österreichs gelesen werden. Als verbindendes Element konzipiert, steht sie für kulturelle, wirtschaftliche, aber auch gesellschaftspolitische Vernetzung zwischen dem sich öffnenden Europa und ehemaligen „Oppositionsländern“ (Peter Weibel) auf dem Weg gegenseitigen Verständnisses als Freundschaftsnationen. Durch die Verdrehung im Aufbau wird darüber hinaus ein Umdenkprozess eingeleitet: Es tauschen Ost und West den Platz, Wertigkeiten wie die Frage nach Gewinner und Verlierer beginnen sich zu relativieren.

Boris Podrecca, 1940 in Belgrad geboren, lebte als Kind in Mostar und wuchs in Triest auf. „Noch heute“, sagt er, „reichen die Bindungen der Psyche dorthin, in eine damals polyzentrische Stadt, ein Surrogat Europas … mit vielen simultanen Gerüchen. Aber schon davor, als Kind sah ich zuerst Mostar, durchwebt von Minaretten, katholischen und orthodoxen Vertikalen. Daraus resultiert, dass meine Kultur keineswegs monotheistisch ist. Ich war immer dazwischen, wie der klassische Emigrant … Es ist wahrscheinlich auch die Reflexion und die Ratlosigkeit des Flüchtlings, die eine allzu plateale, eingegrenzte Zugehörigkeit verhindert. Wie du weißt, ist das Zurückkommen nach Wien für mich, der in der Reise lebt, eher befriedigend als die kontinuierliche Existenz in dieser Stadt.“

Und weiter: „Architektur ist zugleich Ethnologie. Sie verklärt, hinterfragt und verdichtet Orte. In diesem Europa der Zukunft habe ich schon gelebt. Mostar, Triest, Wien – es sind Inseln in diesem europäischen Archipel …“ (Boris Podrecca im Gespräch mit Otto Kapfinger, in: Boris Podrecca, Poetik der Unterschiede, Ausst.-Kat. anlässlich der 254. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, 14. Oktober–28. November 1999, Wien 1999, S. 10). Heute hat Boris Podrecca Ateliers in Wien, Venedig und Stuttgart.

Als weltoffener Europäer, der die Individualität der einzelnen Teile nicht nur dieses Kontinents ebenso ernst nimmt, wie er sich der Parallelität und Simultanität globaler Vorgänge sowie der Vernetzung der Weltgeschehnisse bewusst ist, belässt er in der Arbeit EU & YOU einerseits die politisch gezogenen Landesgrenzen und zeichnet sie in den Nationalfarben, andererseits öffnet er unsere Fantasie für Erinnerungen, Erfahrungen und Visionen, die mit den markierten Ländern und anderen, die nicht abgebildet sind, angeregt werden. Dabei ist er nicht erzählerisch, nicht gesellschaftskritisch und distanziert sich bewusst von eigenen Gefühlen.

So bemerkt man auch in dieser Arbeit die von Podrecca eingesetzte Technik der Dichotomie, dass alle Dinge, die er aufstellt, ein Doppelleben haben. In wach haltender Ambivalenz schafft er nicht nur einen funktionalen Nutzen, in diesem Fall der klassischen Information und des Schutzdaches, sondern er öffnet innerhalb eines polyvalenten Systems auch eine spielerische Ästhetik. Interessiert an der Verräumlichung von Texturen enthebt er ganze Länder der Festigkeit des Bodens und lässt sie über uns schweben, wodurch auch das Changieren zwischen Geschichte, Gegenwart und Zukunft reale Formen annimmt.