Die Gegenwart ist genau betrachtet zu kurz, um sie tatsächlich wahrnehmen zu können. Letztendlich ist nahezu alles „noch nicht“ oder „nicht mehr“. Somit erscheint es konsequent, wenn der Künstler gar kein Kunstwerk anbietet, sondern nur die Mutmaßung anstellt, dass es da gewesen ist oder erst da sein wird. Seine Absenz ist somit der realistischste Zustand.
Ein Text hilft uns, mit dieser Tatsache umzugehen und sie letztlich auch zu ertragen. Die Illusion, in der wir leben, ist die Unvollständigkeit, mit der wir es zu tun haben. Das Bild, das wir uns von der Realität machen, ist, ähnlich wie die Sprache, Teil einer Tatsächlichkeit, die wir nicht bis zur Vollständigkeit zu erfassen imstande sind. Wir nähern uns ihr nur an – immer müssen wir erkennen, dass ein Stück fehlt.
Heinz Gappmayr, der seit den frühen 1960er-Jahren zwischen Konkreter Poesie und Konzeptkunst und Aspekten der Minimal Art künstlerisch tätig ist, zeigt uns in seiner Arbeit ständig das Dilemma, in dem wir uns befinden. Bild und Text sind dabei gleichwertig eingesetzt, denn im Text liegt grundsätzlich Visuelles und im Bild existiert eine sprachliche bzw. textliche Ebene.
Auch in seiner Arbeit NOCH NICHT SICHTBAR – NICHT MEHR SICHTBAR ist die Sprache Ausdrucksmittel und Basis des Kunstwerks. Sie wird dabei letztlich zum Medium – phänomenologisch gesehen zum Material. Die beiden Textpassagen sind durch ihre formale Qualität (schwarze Blöcke) physikalisch existent – gleichsam „schon sichtbar“. Sie beziehen sich aber auf etwas Unbestimmtes, nicht Vorhandenes. Letztendlich appellieren sie an die Vorstellungskraft jedes Einzelnen, der sich mit diesem Kunstwerk konfrontiert, denn jeder erwartet sich etwas anderes, das hier sichtbar sein könnte.