Innerhalb des künstlerischen Oeuvres von Martin Gostner, das sowohl skulpturale Zugangsweisen als auch die Auslotung verschiedenster Sprach- und Kommunikationsformen umfasst, fungiert ab 1987 die Auseinandersetzung mit Geschichte und Erinnerung als zentraler Dreh- und Angelpunkt. Sein Interesse an der Geschichte der Dinge ist dabei keineswegs gegenwartsvergessen, sondern fokussiert die Spuren, die die jüngere Vergangenheit – durch kurze traumatische Ereignisse ebenso wie lang andauernde Entwicklungen – in der Welt hinterlassen hat. Gostners Werke sprechen auf ihre spezifische Weise von der inneren Notwendigkeit, diese Spuren, die sich in das individuelle wie kollektive Gedächtnis eingeprägt haben, zu beleuchten.
Gostner arbeitet im Unterschied zu den Geschichtswissenschaften jedoch nicht an einer Geschichte der Fakten, die darauf abzielt, den Verlauf der Vergangenheit anhand von Ereignisketten zu enträtseln und zu erklären. Mit seiner Zugangsweise scheint er vielmehr darauf zu reagieren, wie das Terrain des Gedächtnisses strukturiert ist – als ein gleichsam unermesslicher Fundus an persönlichen und gesellschaftlichen Erinnerungen, die in ihrer Überlagerung chaotisch und fragmentiert erscheinen, die aus neurowissenschaftlicher Sicht im Gedächtnis des Einzelnen jedoch in vielteiligen Netzen rund um besonders eingeprägte Knotenpunkte organisiert sind und die als solche immer irgendwie vorhanden, aber oftmals doch verschüttet sind.
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Auszug aus: Jürgen Tabor, Erkerkultur und Knotenpunkte der Geschichte. Zum Werk von Martin Gostner, 2014.