Der von Richard Sennett attestierte Verfall des öffentlichen Lebens und der damit verbundene Aufstieg des Privaten hat die historische Gleichung zwischen Körper, Kleidung, Architektur, also zwischen Innen-und Außenleben durcheinander gebracht. Was öffentlich erscheint, ist in Wirklichkeit Intimität, Privates wird Massenmediales, was von außen eng erscheint, ist von innen weit. Der Raum kann zu einem beweglichen Stoffsack werden, das Kleid zu einem unbeweglichen Raum. Uli Aigner gehört zu jenen sensiblen Künstlerinnen der Gegenwart wie z. B. auch Andrea Zittel, Elke Krystufek oder Dorit Margreiter, welche diese Verschiebungen des Kontextes von öffentlich und privat, von Gebrauchsgegenstand und Kunstwerk, von Kleidung und Wohnung als Ausdruck von radikalen Veränderungen der sozialen Systeme artikulieren, Ihre skulpturalen Inszenierungen sind nicht Kunstsoziologie, sind nicht Synonyme für Skulptur, sondern künstlerische Signale und Symptome für soziologische Analysen, das was man früher mit Bruce Nauman Visualisierungen des Denkens genannt hat. Wenn der Wäschekorb nicht mehr ein kleiner Teil der Wohnung ist, sondern die Wohnung selbst durch Auskleidung mit zusammengenähten Bahnen aus buntem Kleiderstoft zu einem Wäschesack wird, dann wird durch diese funktionale und räumliche Verzerrung auch eine soziale Verzerrung spürbar. Die ungewöhnliche Skalierung und Verkehrung der Funktionalität verweist auf Verkehrungen innerhalb der Gesellschaft. Die Durchsetzung des vorliegenden Folders mit Werbeanzeigen von Körpern in Bekeidungsprodukten verschiedener Herstellungsfirmen wiederholt diese Verkehrung von vertrauten Skalen, Maßstäben und Werten im Kontext des Katalogs selbst. Durch diese Arbeit von Uli Aigner hat sich der Skulpturenbegriff in Osterreich wiederum ein Stück weiter mediatisiert und konzeptualisiert. In Österreich war der Skulpturenbegriff stets (von Wotruba über Gironcoli bis Petzold) belastet von seiner allzu großen Nähe zur menschlichen Figur. Nur wenigen gelang es über die Abstraktion der Anthropomorphologie hin aus zu gelangen (wie Bechtold, Caramelle, Export, Gappmayr, Kriesche, Weibel). In den 80er Jahren hat international die Möbelskulptur versucht die Ambiente-Ansätze der 60er Jahre als skulpturale Objekte und objektuale Installationen tragfähig zu machen, z. B. Franz West, Ludger Gerdes. Der Einfluss der Massenmedien als Verstören des Vertrauten, als Einbruch der Fremde in das Wohnzimmer, ist allerdings nur peripher behandelt worden. Der neue Zusammenhang von Warenhauskatalog, Universalversand und Wohnzimmer bzw. Architektur und Bekleidung im Zeitalter der Massenmedien und der gestörten Öffentlichkeit, wo Architektur längst selbst ein Massenmedium geworden ist, ebenso wie die Bekleidung, ist bisher kaum beachtet worden. Dort setzt die Arbeit von UIi Aigner ein und dort führt sie Tendenzen der 80er Jahre fort. In dieser Zone der von den telematischen Medien induzierten Veränderungen des sozialen Lebens, in diesem aufgerissenen und zerrissenen öffentlichen Leben — denn vor lauter aufgeblähter Intimität können nur noch selten soziale Standards der Gesellschaft abgerungen werden —‚ in dieser schwammigen Landschaft der Akzentverlagerungen und –verschiebungen innerhalb des sozialen Gefüges (Körper — Kleidung — Wohnung), errichtet UIi Aigner ihre hellsichtige Kunst. Die traditionellen Grenzen zwischen dem physischen und psychischen Selbst wie sie von innen, vom Selbst empfunden werden und wie sie von außen, vom Rest der Welt gesehen werden, verschieben sich. Dadurch verschieben sich auch Schutzzonen. Die bürgerlichen Rechte sind nicht mehr garantiert und können so schnell verloren werden wie die Kleidung. Als reales Beispiel für diese These sei angeführt: Am Wiener Flughafen verhinderte eine afrikanische Frau ihre Abschiebung zurück in ihr Heimatland, wo sie Folter und Tod erwartet hätten, dadurch, dass sie sich nackt auszog und ihre Kleider in der Halle verstreute. Die sozialen Identifikationsmuster des Subjekts, die mit der Kleidung beginnen und mit dem Pass enden, und die kartesianische Verankerung des Körpers im Raum, werden in dieser medialorchestrierten Installation Uli Aigners - im Raum als Wäschesack gibt es das Foto einer nackten Frau, ein kurzes Gedicht der Künstlerin und ein Video, in dem Personen ihr Verhältnis zu Körper und Kleidung darlegen - aufbereitet und in ihrem Zustand der Deregulation gezeigt. Dieser Deregulation des Öffentlichen kann man selbst während einer Reise durch einen fremden Kulturkreis, abseits der Tourismuszentren, erfahren, wenn man aufgrund der eigenen, andersartig erscheinenden Kleidung Aufsehen und Verwirrung stiftet, und diese Situation oftmals auch als eine Form der persönlichen Entfremdung, als eine Art Identitäskrise empfindet, da die Schutzfunktion der gewohnten Garderobe nicht mehr gegeben ist. Erst mit einer neuen, den gesellschaftlichen und kulturellen Codes des jeweiligen Ortes angepassten Kleidung, erlangt man wieder das Gefühl der Sicherheit in der äußerlichen Erscheinung. Das skulpturale Denken, so zeigt Uli Aigner, nähert sich heute einer multimedialen Zone zwischen Design, Mode, Kunst, Architektur und Werbung, die sich gegenseitig beeinflussen, wo ein Zustand objektualer Deregulation herrscht, der als Symptom sozialer Deskalierung interpretiert werden kann.
Christa Steinle