Sophia Gatzkan und Moritz Führer

Everyone can lace on space-age shoes

24.06. - 01.10.2023

Bildinformationen

Laufzeit

24.06. - 01.10.2023

Ort

Neue Galerie Graz, Tonstudio JV

Kuratiert von

Roman Grabner

Kosten

Eintritt frei!

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Über die
Ausstellung

Im Zentrum der Ausstellung steht der Körper, der durch gesellschaftliche Konventionen einer steten „Verbesserung“ unterzogen und geformt, trainiert, operiert und technisch erweitert wird.


Sophia Gatzkan und Moritz Führer gehen in ihrer Ausstellung Everyone can lace on space-age shoes der Frage nach, wo die Grenzen, die Mensch und Maschine bzw. Mensch und Tier voneinander trennen, verlaufen, und reflektieren, ob diese Grenzen überhaupt noch aufrechtzuerhalten sind.

Nach der postmodernen, postkolonialen, postindustriellen, postkommunistischen, postdemokratischen und postfeministischen Phase - und die Liste ließe sich fortsetzen - scheinen wir nun im posthumanen Zeitabschnitt angekommen zu sein. Der Posthumanismus markiert einen grundlegenden Wandel in unserer Vorstellung, was der Mensch eigentlich ist und in welchem Verhältnis er zu seiner Umwelt und den übrigen Bewohner*innen des Planeten steht. Es geht dabei nicht nur um eine Auseinandersetzung mit Wissenschaftsfeldern wie Robotik, Prothesentechnik, Neurowissenschaften, Biogenetik bis hin zu Vorstellungen von Transhumanismus und Technotranszendenz, sondern im Kern um das Wesen des Menschen und seine Weiterentwicklung.

Nach Immanuel Kant laufen die großen Fragen „Was kann ich wissen?“, „Was soll ich tun?“ und „Was darf ich hoffen?“ in der einen Frage zusammen: „Was ist der Mensch?“ Was der Mensch ist, können wir in einem ontologischen oder anthropologischen Sinn heute weniger denn je beantworten. Doch „der Mensch, der nicht weiß, wer er ist, legt fest, wer er ist“ (Konrad Paul Liessmann), und dies zeigt sich paradigmatisch in den Bildern, die er von sich selbst konstruiert. Der Mensch gefällt sich vor allem seit den letzten Jahrzehnten zunehmend darin, seine Evolution programmatisch in die eigenen Hände zu nehmen, zum Schöpfer seiner selbst zu werden. Peter Sloterdijk spricht von der „Anthropotechnik“, durch die sich der Mensch selbst zum Gegenstand von Veränderungsprogrammen macht, von der Erziehung über die Züchtung bis zur genetischen Manipulation.

Günther Anders hatte schon in den 1950er-Jahren vermutet, dass es der Mensch auf Dauer nicht aushalten werde, nicht in einer ähnlichen Weise gemacht zu werden wie seine erfolgreichen Produkte. Unter dem Stichwort „Human Engineering“ hatte Anders, wenn auch mit großer Abwehr, die Tendenz der Entwicklung vorausgesehen: „Wir schaffen uns selbst nach dem Bild der Maschinen, die wir selbst geschaffen haben.“ Man kann diese Entwicklung jedoch auch anders sehen. Die Erfindung und Entwicklung von technischen Hilfsmitteln sollten den menschlichen Körper einerseits leistungsstärker machen und ihm anderseits auch Schutz bieten. Ernst Kapp, der Begründer der Technikphilosophie, hat in seiner Theorie der Organprojektion angenommen, dass jede technische Errungenschaft das Ergebnis einer Projektion des eigenen Körpers ist. Unter Projizieren versteht er „das Vor- oder Hervorwerfen, Hervorstellen, Hinausversetzen und Verlegen eines Innerlichen in das Äußere.“ Doch geht es dem deutschen Philosophen nicht nur um das „Zustandekommen von Mechanismen nach organischem Vorbilde“, sondern er vertritt die Auffassung, dass sich der Mensch erst durch die von ihm zunächst unbewusst geschaffenen Artefakte seiner selbst bewusst wird. In seiner Theorie der Organprojektion arbeitet er heraus, dass jedwede technischen Artefakte nicht nur den Ausgangspunkt der menschlichen Kultur darstellen, sondern auch und noch viel wesentlicher die historische Bedingung für die Produktion von Erkenntnis sind.

Das Verhältnis zwischen Körper und Maschine

Die Verschmelzung von technischen Artefakten und anthropomorphen Formen, wie sie Sophia Gatzkan und Moritz Führer in ihren skulpturalen Arbeiten betreiben, sind daher nicht als Visualisierungen einer dystopischen Zukunft zu verstehen, sondern als Verdichtungen von Entwicklungen, die uns zum Status quo geführt haben, und als metaphorische Momentaufnahmen, die Fragen nach der Relation von Körper und Maschine evozieren.

Die technische Erweiterung und Verstärkung des menschlichen Körpers als Ersatz bzw. Ausgleich eines leiblichen Organs ist jedoch immer auch als Ausweitung bzw. neuer Bestandteil eben jenes Körpers zu sehen. Es handelt sich dabei nicht nur um Prothesen, sondern auch um Epithesen wie Brillen, Hörgeräte oder auch Füllfederhalter, wie der Medienphilosoph Vilém Flusser festhielt. In den Arbeiten von Gatzkan und Führer verlagert sich sinnbildlich nicht nur ein Inneres in das Äußere, sondern die als äußerlich wahrgenommenen technischen Hilfsmittel verlagern sich auch umgekehrt in das Innere des Menschen. Das, was menschengegeben erschien, erweist sich unter dem Einfluss der technischen Erweiterungen als ein Hybrid-Akteur aus Natur und Technik, der nicht nur Werkzeuge, Maschinen und Medien herstellt, sondern von diesen auch hergestellt wird. Es sind nicht erst die medizinischen Forschungen, die technischen Innovationen, die Computer- und Internettechnologie, die Errungenschaften der künstlichen Intelligenz, die den Menschen zu einem Hybrid-Wesen machten. Der Mensch hat sich von Anfang an Werkzeuge, Maschinen und technische Systeme zu eigen gemacht und wurde durch sie verändert. Nicht umsonst hat Sigmund Freud den Menschen in seiner Schrift über „Das Unbehagen in der Kultur“ zum „Prothesengott“ erklärt. Wann immer Natürliches und Technisches aneinandergekoppelt sind, wie etwa bei Körper und Prothesen, dann entsteht etwas Anderes, etwas Neues.

Ein verändertes Menschenbild

Es geht Gatzkan und Führer in diesem Sinne also um ein verändertes Menschenbild, um die Erkenntnis, dass sich der Mensch durch die die technischen Neuerungen verändert hat, und die Frage, wie sich dieses Hybridwesen metaphorisch fassen lässt.

Die Faszination und Irritation, die aus den Arbeiten erwächst, liegt in ihrem ambivalenten Verhältnis zwischen Fremdem und Eigenem, das eine klare Trennung mitunter nicht erlaubt. Sie inkorporieren den Übergang vom manifest Fremden zum Eigenen ebenso wie das Fremdwerden des Eigenen. Gatzkan transformiert Motorradsitze, an denen sich der Körper im Geschwindigkeitsrausch anschmiegt, in Torsi, die als Fragmente aus der Wand ragen: Körper und Maschine verschmelzen zu einem neuen Amalgam. Ihre Knieprothesen aus Glasfasern und Kunstharz hat sie mit Stoßdämpfern kombiniert und wie archäologische Fundstücke inszeniert. Führer gießt anthropomorphe Formen aus Beton, denen er mit Armierungseisen eine skelettgleiche Struktur einschreibt. Diese Körperarchitekturen hängen fragmentarisch von der Decke oder stehen auf prothesenähnlichen Stahlprofilen. In einer zweiten Werkserie formt er aus Stahlumreifungsbändern, mit denen üblicherweise Transportpaletten im globalisierten Kapitalismus verschweißt werden, menschliche Körper, die ineinander übergehen oder sich zu neuen Wesen transformieren. Führer verquickt den Warenverkehr mit der Ressource Mensch, indem er Hüllen formt, die in ihrer netzwerkartigen Struktur an das Face-Gridding gemahnen und auch Fragen der Überwachung und Durchleuchtung aufwerfen.

Der Körper ist Medium und Mittel der Erfahrung von Welt. Durch ihn nehmen wir nicht nur unsere Umwelt wahr, sondern auch uns selbst, und die Verfasstheit des Körpers beeinflusst ganz wesentlich, wie wir uns als Subjekt begreifen. Was geschieht, wenn nun dieser Körper symbiotische Beziehungen mit Maschinen oder Tieren eingeht? Wie verändert sich nicht nur unser Körper, sondern auch unsere Wahrnehmung von uns selbst?

Die düster-poetischen Plastiken von Gatzkan und Führer lenken unsere Aufmerksamkeit in das Zentrum des derzeitigen Diskurses über den Menschen und schärfen unser Bewusstsein dafür, dass wir neue soziale, ethische und diskursive Formen der Subjektbildung benötigen, damit wir die tiefgreifenden Veränderungen, die wir derzeit erleben, bewältigen können. Wir müssen uns selbst anders und neu denken, denn jede*r kann sich, symbolisch gesprochen, Weltraumschuhe anziehen.

Einblicke

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