Der Dadaist Arthur Cravan forderte 1917 den schwarzen Boxweltmeister Jack Johnson zu einem Kampf heraus. Der Boxer und Poet Cravan, der den Ring bereits betrunken betrat, wurde schon in der ersten Runde k.o. geschlagen. Mitte der 80er Jahre bezogen sich Warhol und Basquiat auf einem Poster, welches eine Ausstellung von Gemeinschaftsarbeiten der zwei New Yorker Künstler ankündigte, darauf. Beide waren als Boxer mit Handschuhen und Shorts zu sehen und die Headline war: Andy Warhol vs. Jean Michel Basquiat.
Der Californier Billy Al Bengston war nicht nur ein bestimmender Maler der West - Coast Szene, sondern auch professioneller Motorradrennfahrer. Evel Knievel war in den 70er Jahren durch seine gewagten Motorrad - Stunts berühmt - berüchtigt. Seine immer verrückter werdenden Superlativen in diesem Metier dominierten damals die Sensationspresse. Mitte der 70er wurde es in New York City Mode Hauswände, U- Bahnzüge und andere öffentliche Einrichtungen mit sogenannten "Graffities" zu besprühen. Bereits in den 60er Jahren erkannte die Minimal - Art, daß das Verbinden der beiden Enden einer Linie die einfachste Form, den Kreis, ergibt. Letzten Sonntag (17.Juni 2001) war Valentino Rossi beim spanischen Motorrad Grand - Prix in Barcelona siegreich. Er führte nach dem Überfahren der Ziellinie dem begeistertem Publikum vor, wie man mit dem Motorrad durch Durchdrehen des Hinterrades einen Kreis ziehen kann. Der abgeriebene Reifengummi und die, wie ein Zirkel, sich drehende Maschine hinterließen auf der Rennbahn einen exakten Kreis.
Vor zwei Jahren trat in der Grazer "Herbstbar" ein DJ namens Evel Knievel auf. In den Jahren davor konnte man in Graz Graffities sehen, mit "Del" signiert. Außerdem existiert seit kurzem im Grazer Nachtleben das immer beliebter werdende "Knievel - Entertainment".
Langsam schließt sich der Kreis: wir treffen auf einen jungen Künstler namens Sebastian Sailer. Der in verschiedensten Rollen und unter verschiedensten Pseudonymen agierende Künstler scheint einem Comic entstiegen zu sein - und das im besten Sinne. Sehr genau beherrscht er das Vokabular der Populärkultur und entspricht nebenbei selbstverständlich der Kunstentwicklung der letzten Jahrzehnte. Das ständige oszillieren von einer Identität in die andere, als Verwirrtaktik, ist integraler Bestandteil der Kunst der letzten Jahre. Nicht nur "jeder ist Künstler", sondern "jeder ist alles"! Jeff Koons ist Pornostar, seine damalige Frau Ciccolina war nicht nur Politikerin sondern durch die Kollaboration mit ihrem Ehemann bildende Künstlerin, Bill Clinton ist Jazz - Saxofonist, Julian Schnabel ist Filmstar, Dennis Hopper ist bildender Künstler. Arthur Cravan hat seine Boxleidenschaft noch als dadaistische Subversivität empfunden und hat der Kunst als Teil einer bürgerlichen Gesellschaft, die immerhin den ersten Weltkrieg möglich gemacht hat, den Kampf angesagt. Er zog daraus die Konsequenz, verweigerte sich ganz, indem er in ein kleines Boot stieg und im haifischverseuchten Golf von Mexico verschwand und ‚ward nie wieder gesehen'. Später haben andere Künstler immer wieder Bezüge zu subkulturellen Bereichen hergestellt, wie der Minimalist Robert Irwin, der sich an der amerikanischen Autokultur orientierte und den Oberflächenglanz der ‚Californian Hot Rods' als einflußgebend für seine Kunst nannte - ebenso der bereits erwähnte Billy Al Bengston.
So zu sehen ist Sebastian Sailers "Motorrad - Performance" im Rahmen seiner Ausstellung "Staatsgewalt" in ein Herkunftssystem eingebunden, welche nur beim ersten Blick verwunderlich anmutet. Daß die "mißbräuchliche" Verwendung eines Verkehrsmittels und das Sprayen von Graffities in der Öffentlichkeit dem Auge des Gesetzes nicht lange verborgen bleibt, zeigt der zweite Teil von S. Sailers Ausstellung im Studio der Neuen Galerie.
Was als Akt der Frustration innerhalb der Anonymität von Großstädten ausging, ist längst zum lustvollen, aber immer noch gesetzlich verfolgten Spiel, auch in Kleinstädten, geworden. "Es sagt (Graffities sagen): Ich bin, ich existiere, ich bin wirklich, ich habe hier gelebt. Das sagt: KIKI oder DUKE, oder MIKE, oder GINO ist lebendig, es geht ihm gut und er wohnt in New York".(1) DEL lebt in Graz, wie Evel Knievel der seine Stunts nicht mehr selbst durchführt, aber inzwischen eine Karriere als bildender Künstler begonnen hat.
Valentino Rossi ist "nur" angehender Motorrad-Champion, der von Minimal-Art keine Ahnung hat. Ähnlich hermetisch verschließt sich diese subkulturelle Sprache von der etablierten Hochkultur, wo sie wie umgekehrt im vertrauten Kreise der Eingeweihten existiert. Künstlerinnen und Künstler verlassen jedoch seit Jahrzehnten vermehrt diese strengen Zuordnungen, obwohl oft das Agieren im Bereich der Kunst Allüre oder Koketterie bedeutet. Subkulturelle Formen wie Graffiti oder Comic haben früh erkannt, daß man radikaler vorgehen muß.
"SUPERBEE SPIX COLA 136 KOOL GUY CRAZY CROSS 136 - das bedeutet nichts, ist nicht einmal Eigenname, sondern symbolische Matrikel. Gemacht, um das gewöhnliche Benennungssystem aus der Fassung zu bringen. Diese Terme haben keinerlei Originalität: sie stammen alle aus dem Comic- Strip, wo sie eingeschlossen waren in Fiktion, doch brechen sie explosiv aus dieser hervor, um in die Realität projiziert zu werden wie ein Schrei, als Einwurf, als Anti - Diskurs, als Absage an jede syntaktische, poetische und politische Elaboriertheit, als kleinstes, radikales, durch keinerlei organisierten Diskurs einnehmbares Element." (2) Sich dessen bedienend, hat nicht nur Sailer die Inkompartibilität mit der "Staatsgewalt" erkennen müssen. Für den Täter ist der Wächter des Gesetzes der Hauptfeind. Die Rollenverteilung ist klar. Der "dirty Cop" auf der einen Seite und der unbändige, jugendliche Täter auf der anderen Seite. Im Kino und in den Comics werden sie beschrieben als die "Bad Lieutenants" und "Dirty Harrys". Sie sind üblicherweise korrupt und folgen ihrer eigenen Auslegung des Gesetzes. Dabei sind sie in ihrer Rache unerbittlich - "To serve and to protect" (3). Vor allem aber sind sie von sadistischer Brutalität. Ihnen schmeckt der Doughnut erst so richtig, wenn sie ihrem Opfer die sprichwörtliche "Scheiße aus dem Leib geprügelt" haben. Diesem Monster, das mit der Realität nicht selten Parallelitäten aufweist, ist Sebastian "Del" Sailer auf der Spur - eigentlich ist er vor diesem auf der Flucht. Politische Zusammenhänge und Freiheitsmodelle werden und wurden innerhalb der Kunst immer wieder diskutiert. Gerade in letzter Zeit sind in Österreich Künstlerinnen und Künstler vermehrt demonstrativ auf den Straßen oder nehmen in ihrer Arbeit dazu Stellung. Plakativ, nihilistisch, subtil oder konstruktiv, das scheint individuell verschieden zu sein.
Sailers Kunst ist sicher kein direktes politisches Statement und bezieht sich auch ebensowenig konkret auf eine bestimmte politische Situation. Wohl aber ist sie als ein Statement innerhalb einer kritischen Auseinandersetzung mit der Gesellschaft, oder besser als Kommunikations- und Wertvorstellung innerhalb dieser zu sehen.
1. Jean Baudrillard, "Kool Killer - oder Der Aufstand der Zeichen", Aus dem Französischen übersetzt von Hans- Joachim Metzger, Berlin 1978, S. 38
2. Ders., ebda., S.26
3. Vergl. Chris Burdens Installation "L.A.P.D. Uniform", 1993 in der der Künstler übergroße Uniformen der Polizei von Los Angeles als Wandinstallation verwendete, um den martialischen und übermächtigen Charakter der Polizisten zu veranschaulichen. Dabei wir das Motto des L.A.P.D. "To serve and to protect" fragwürdig