Die Fotografie hat auf mehrfache Weise die Identität des menschlichen Körpers verändert. Unter Identität ist dabei das historisch vertraute Körperbild zu verstehen. Die bürgerliche Ideologie hat auf diese Transformation des Körperbildes durch die technischen Abbildungsmedien (von der Fotografie über den Film bis zum Computer) mit einer Reinigungsorgie reagiert, die in der faschistischen Ästhetik des gesunden Körpers als einzig wertvolles Gut ihren Höhepunkt fand. Insofern sind die fotografischen Körperobjekte Holler-Schusters ungesunde Körper. Aber die von der Installation ausgehende, etwas verunsichernde seduktive Faszination stellt gerade jene Transformation dar und aus, welche der Körper durch seine Abbildung in den technischen Medien erfahren hat. Insofern hat der Körper seine historische Identität, seine Einheit, seine Aura, seine Echtheit, seine Originalität, seine Authentizität verloren. Alles, was das Bild durch die Fotografie verloren hat, hat auch der Körper im Zeitalter seiner technischen Mediatisierung, womit das Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit anhebt, verloren. Aber er hat auch alles gewonnen, was wir durch die Fotografie gewonnen haben: Nichtlokalität, Fernkorrelation, Ausschnitthaftigkeit, Organlosigkeit, Schwerelosigkeit, Multiplikation (auch der Organe), perfekte Simulation, Transgression von Raum und Zeit, Fetischisierung, Fragmentisierung etc., eine neue Verfügbarkeit.
Der Körper ist nicht mehr nur ein Ding, sondern zugleich auch sein eigenes Zeichen geworden. Der Körper ist nicht mehr nur ein Double des Realen, ein Agent im Dienste anderer, sondern der Körper ist sein eigenes Double geworden, sein eigenes Bild, sein eigener Sinn, nicht mehr ein Sinnbild von etwas anderem. Er taugt nicht mehr für Allegorie. Er ist sein eigenes Instrument. Mit der Autonomie des Bildes stieg auch die Autonomie des Körpers. Das zeigt sich im Sport am deutlichsten und davon nährt sich die Macht der Pornographie. Daher stammen die künstlerischen Elemente der Fotoinstallation von Holler-Schuster zum Teil aus der Sphäre des Sports und der Pornographie. Der Körper als Instrument der Lust, als Vehikel durch die Tabuzonen, bedeutet immer eine Verwandlung, zugleich Vergeudung und Verhütung, Entblößung und Verkleidung. Der Lederfetischismus, das Spiel der Signifikanten zwischen weicher Haut und harten Nieten, zwischen dem Körper und seinen Kleidern, ist der populärste Ausdruck jener Emanzipation der Partialtriebe, jener Aufwertung der Fragmente des Körpers, wie z.B. Faust, Brust, welche die Fotografie insgesamt eingeleitet hat und von der die gesamte Werbung seit Jahrzehnten lebt. Die fotografischen Motive sind daher künstlerisch korrekt in ein fetischiertes Ambiente eingebettet und stammen aus der visuellen Massenkultur (Ausschnitte von Zeitschriftenfotos) und sind mit dem Laserkopierer im «Shirt-Shop« eines Warenhauses hergestellt worden.
In der Fotografie vollendet der Körper erstmals seinen Traum, nicht nur er selbst zu sein, ein Organismus, sondern auch sein eigenes Bild zu sein, Bild und Objekt, Hülle und Objekt zugleich. Er genießt den Prozess der Übertragung der Eigenschaften des fotografischen Bildes auf sich selbst. Er fragmentarisiert sich, er multipliziert sich, er verteilt sich über den Raum, er besetzt alle Gegenstände libidinös. Als Bild wird der Körper ubiquitär, seine libidonale Energie grenzenlos. Alles kann zum Körper werden. Er dehnt sich im Raum aus. Dieser Verführung erliegt er nicht allein, sondern auch der Andere. Dem Fetisch korrespondiert der Voyeur. Der Blick auf den Körper wird ebenfalls «ungesund«, ‘unrein«; der Blick verfällt fasziniert dem Bild des Körpers wie einst der Körper dem Körper. Insofern ist das Bild oft stärker als der reale Körper. Insofern ist ein Film- bzw. Bildstar im Film und als Bild stets schöner und verführerischer als in Wirklichkeit. Denn ihre Faszination und Verführung stammt allein aus der Mediatisierung, aus der Simulation und nicht aus der Realität. Die präzise Verwendung der Materialien (Nieten, Kunstledergurt, Skaileder, Kunststoffseil, Laserkopie) ermöglicht der Fotografie eine präzise Objektbesetzung und mittels dieser Objekte eine höchst affine Raumbesetzung, die präzise zum Ausdruck bringt, was mit den modernen Körpern im heutigen Bildraum passiert. Indem Holler-Schuster eben die übliche Ausstellungs-und Hängefläche als Orte des Bildes auslässt, und gerade dort Fotos montiert, wo es normalerweise nicht möglich ist, an den Kanten und Ecken des Raumes, zeigt er die Entleerung und Entkernung des historischen Körpers. Sexuelle Panik, zwanghafte Fetischisierung, geheimnisvolle Verführung, die ganze Klaviatur, mit der die Massenmedien aus dem künstlichen Bildkörper, dem mediatisierten Körper, Kapital schlagen, diese traumatische Melodie des «body obsolete« wird in dieser objektualen fotografischen Installation dem Zuschauer vorgespielt.
Die Absicht diktiert die Wahl des Materials. Sie ermöglicht eine «nahtlose« Kopplung von Foto und Objekt. Die Form passt sich an das Material an und das Material unterwirft sich der Form. Das Bild (die Form) der Brust z.B. fügt sich der Form des Schlagpolsters, die wiederum vom Material abhängig ist. Form und Material, Bild und Objekt, als neue flexiblere, dynamischere Isomorphie ermöglichen eine neue flexiblere, dynamischere Raumbesetzung, die mit der hibidonalen Ökonomie des Körpers korrespondiert. So setzt erst das depersonalisierte, dislozierte Bild des Körpers den Körper ins Recht. Das mediale Double des Körpers erfüllt die geheimsten Wünsche des realen Körpers selbst.
Peter Weibel