Diese Ausstellung überrascht mit einem bisher unbekannten Brus. Nicht der Künstler der visionären Erfahrung steht im Vordergrund, sondern ein bisher geheimer Block seines Oeuvres, der aus circa 5000 Werken besteht und in einer Auswahl erstmals der Öffentlichkeit präsentiert wird. Dieser Block verdankt sich einer „Parallelinnovation“ (GB.), an welcher der Künstler seit etwa 20 Jahren im Verborgenen arbeitet. In gemeinsamen Sitzungen wurden Günter Brus von Arnulf Meifert ausgewählte Text-und Bildvorgaben vorgelegt, auf die Brus blitzschnell mit zeichnerischen oder literarischen Einfällen und Eintragungen reagierte. Die Schnelligkeit der spontanen Reaktion half, Blockaden abzubauen und unzensurierte automatische Interventionen zu ermöglichen. Die lmprimaturen in Büchern akzentuieren ein Element der Vorlage auf ironische, erhöhende oder enthüllende Weise. Die ‚Trivialeums Überzeichnungen‘ (nach dem 1973 mit Arnulf Meifert gegründeten „1 .Deutschen Trivialeum“) sind Überarbeitungen von Reproduktionen jeglicher Art, vom Werbeprospekt bis zur Druckgrafik. Brus operiert gleichsam als Hacker im Netz der Kultur. In den von der Zivilisation in Büchern und Bildern vorgegebenen Code inseriert Brus seinen eigenen Code, er überlagert und übersetzt den Code anderer. Die grafische und literarische Transcodierung setzt verdeckte und verdrängte Wahrheiten frei. Brus geht dabei nicht von sich selbst aus, sondern von den Kreationen anderer. Nicht die eigene innere Vision, sondern primär die Reaktion auf externe Kulturprodukte ist der Ursprung der eigenen künstlerischen Produktion. Die lmprimaturen ereignen sich in einer Visualität und Literarität im mediatisierten Kontext der Kultur. Die Botschaft der blitzartigen Einfälle zwischen Witz und Wahn: Worte und Bilder haben schon Beziehungen zu anderen Worten und Bildern, bevor sie geschrieben oder gezeichnet werden. Bedeutung entsteht im Verweis auf andere Bedeutungen. Bilder erzeugt nur das sprechende Subjekt (wovon die sogenannte Doppelbegabung Zeugnis ablegt). Erst durch die individuelle Transcodierung von Kultur entsteht wieder Kultur.
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit Texten von G. Brus, A. Meifert, F Meifert und R Weibel, 208 5., ca. 100 Farb-, ca. 200 s/w-Abb. im Cantz Verlag/Stuttgart.