Mit Giuseppe Uncini (1929–2008) zeigt die Neue Galerie einen der innovativsten italienischen Künstler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Ausstellung, eine Hommage an das Lebenswerk des Künstlers, wurde noch in Zusammenarbeit mit dem Künstler selbst vom ZKM in Karlsruhe, dem Mart in Rovereto und der Neuen Galerie Graz am Landesmuseum Joanneum konzipiert und wird als Ausstellungstournée in diesen drei Institutionen gezeigt.
In Graz nimmt die Schau den Themenschwerpunkt italienische Kunst des Jahres 2008 nochmals auf, um ihn durch einen weiteren Aspekt zu vertiefen und zu erweitern. Giuseppe Uncini ist dieser Stadt durch seine Teilnahme an der von der Neuen Galerie veranstalteten internationalen Drei-Länder-Biennale trigon 67 „Ambiente" besonders verbunden. Die Skulptur, die er damals zeigte („Unità Cellulare"), wurde 2008 im Österreichischen Skulpturenpark bei Graz rekonstruiert und ist dort nach der Saisoneröffnung ab 26. April 2009 wieder zugänglich.
Uncinis Werk ist in mehreren Aspekten herausragend und revolutionär: Der Künstler begann um die Mitte der 1950er Jahre in der Tradition der damals aktuellen und dominierenden informellen Malerei mit Materialbildern im Sinne etwa von André Masson oder Jean Dubuffet. Wie es dieser Strömung entsprach, setzte auch er neben bzw. statt der Farbe Materialen wie Erde und Sand ein, die er auf Sperrholzplatten auftrug. Es ging nun nicht mehr darum, mit der Farbe oder diesen neuen Materialien auf eine Realität außerhalb des Bildes zu verweisen, sondern die Materialien selbst sollten als Ausdrucksträger fungieren.
Uncini wandte sich jedoch bald anderen, weniger romantisch aufgeladenen Materialien und Formen zu. Als erster Maler bzw. Bildhauer begann er mit Zement und Eisen zu arbeiten, also mit Stoffen, die für die Bauindustrie der 1950er und 60er Jahre charakteristisch waren. (Im so genannten Brutalismus - abgeleitet vom französischen Béton brut/Sichtbeton - wurde bevorzugt der rohe, unverhüllte Beton als Gestaltungselement verwendet.) Zement und Eisen wurden typisch für Uncinis gesamtes Werk und er setzte sie bis zuletzt für seine Gestaltungen ein.
Mit diesen industriellen Materialien führte Uncini eine neuartige Ästhetik in die Bildhauerei ein, gab ihr in technischen Belangen neue Impulse und ebnete der Einführung weiterer Materialien in die Bildhauerei den Weg; im Besonderen waren seine Arbeiten für die Minimal Art und die Arte Povera einflussreich.
1958 entstand Uncinis erster „Cementarmato": ein flaches Bildobjekt aus Zement, aus dem Eisenstäbe und ein Eisengitter hervorragen. Seine „Cementarmati" der folgenden Jahre werden zunehmend glatt und geometrisch, hin und wieder bleibt die Holzstruktur der Schalungsbretter als Abdruck sichtbar. Uncini entfernte sich mit ihnen mehr und mehr vom traditionellen Bild, das aus Trägermaterial (Leinwand, Holztafel) und Gestaltungsmaterial (Farbe etc.) besteht, und vollzog als einer der ersten Künstler den radikalen Schritt von der Bildtafel hin zu einem Bildobjekt aus den industriellen Materialien Zement und Eisen.
Ab der Mitte der 1960er Jahre begann Uncini mit seinen Objekten intensiv den Raum zu erforschen. Mit aus Aluminiumstäben geformten „Strutturespazio", die auf konstruktivistische Vorläufer der 1920er Jahre zurückgreifen, definiert er Räume ohne feste Begrenzung. Er sucht mit ihnen die Konturen von virtuellen Räumen sichtbar zu machen, die zwischen und um die Stäbe entstehen. Ähnliches geschieht in der erwähnten „Unità cellulare" von 1967, mit der er seinen Skulpturbegriff erstmals definiert: Eisenstäbe markieren die Grenzen von Gegenständen und Räumen. Eine Skulptur nimmt nicht nur realen Raum ein, sondern errichtet zwischen sich und ihren Teilen sowie zwischen sich und der Umwelt einen neuen Raum, einen virtuellen Zwischenraum, der ebenfalls Teil der Skulptur ist.
Von hier ausgehend formuliert Uncini ein weiteres zentrales Problemfeld seiner künstlerischen Arbeit, den Schatten. Er beginnt ab dieser Zeit, die Wirkungen des Schlagschattens in seine Skulptur zu integrieren, indem er den in der Wirklichkeit immateriellen, jedoch sichtbaren Schatten materialisiert. Realer Raum und virtueller Schattenraum bzw. negativer Raum und damit Materialität und Immaterialität werden dabei als gleichwertig erkannt und formuliert. In der Folge entsteht eine große Zahl von Experimenten aufgrund dieser Erkenntnis: Der Schatten kann sich von seinem Objekt lösen, das Realobjekt kann verschwinden und nur seinen materialisierten Schatten zurücklassen, Real- und Schattenobjekte können ineinander verschachtelt sein usw. Arbeiten wie „Grande Parete Studio Marconi" von 1976 erscheinen als große Fugen von Schatten- und Realobjekten und ihren Zwischenräumen, in denen die Hierarchie des Seins verdreht ist (Peter Weibel). Mit dieser Verschmelzung von realem Raum, virtuellem Raum und Schattenraum hat Uncini das Vokabular der Skulptur erweitert und einen Skulpturbegriff geschaffen, der weit vorausweist in das gegenwärtige Zeitalter.
Die Ausstellung in Graz bietet mit 31 Objekten sowie mit 22 Collagen, Zeichnungen, Aquarellen und Drucken einen Einblick in das Lebenswerk Uncinis.
Zur Ausstellung ist bei Skira, Milano, der Katalog „Giuseppe Uncini. Scultore/Bildhauer 1929 - 2008" erschienen, mit Texten von Peter Weibel, Bruno Corà und Margherita de Pilati.