In der Moderne seit dem 19. Jahrhundert im Allgemeinen und den klassischen Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts im Besonderen ist eine ganz bestimmte Dialektik am Werk: Auf der einen Seite kühne Innovationen, radikale Negation und ästhetische Dogmen – aber auf der anderen Seite auch eine gewisse Art des Lachens, die die Grundlage für die Entstehung dieses Ausstellungsprojekts bildete. Es ist ein Lachen, das Spaß macht und zugleich – ohne nur skandalisieren zu wollen – alle Konservativitäten, Bigotterien, Moralvorstellungen und nicht zuletzt avantgardistischen Dogmatismen unterläuft. Indem es sich gegen den Gebrauch von Kultur zur Einschüchterung, zur Absicherung unverdienter Privilegien wendet, zeigt dieses Lachen, wie Autorität ihren Halt verliert, wie die pompöse Geste und das Bild des Helden entkräftet werden.
Dahingehend wird ein weiterer Aspekt der Ausstellung deutlich, der zugleich eine der wichtigsten Haltungen oder Gefühle darstellt, welche der modernen und zeitgenössischen Kunst zugrunde liegen: eine enthusiastische Peinlichkeit, die auch vor dem Unvernünftig-Albernen nicht zurückschreckt. Enthusiastische Peinlichkeit ist zweifellos mit einer Vorstellung von humorvoller Unbeschwertheit verbunden – aber ebenso sehr mit einem Gefühl von ernsthafter Beharrlichkeit, allen Widrigkeiten zum Trotz. Sie ist sicherlich mit Ironie verbunden – aber auch mit einem zutiefst unironischen, eben enthusiastischen Glauben an die Notwendigkeit und Möglichkeit, etwas, das als unangenehm oder peinlich erkannt wurde, durchzuhalten und fortzusetzen. ERNSTHAFT?! kokettiert mit dem Humor der Katastrophe, dem schlechten Geschmack, dem Camp-Ansatz, der B-Movie-Kultur, Science-Fiction, Horror etc. sowie der Unreife, der Idiotie, der Intuition und natürlich der Leidenschaft – und nicht zu vergessen mit dem Enthusiasmus.
Den präsentierten Werken liegen ganz unterschiedliche künstlerische Vorgehensweisen zugrunde, die von Fotografie, Malerei und Grafik über Skulpturen und Installationen bis hin zu Video und Film reichen. In den verschiedenen Kapiteln der Ausstellung sind zahlreiche namhafte Künstler*innen vertreten: von Marcel Duchamp und Francis Picabia, René Magritte, Giorgio de Chirico und Sturtevant, Alfred Jarry, Sigmar Polke, Martin Kippenberger, Maria Lassnig und Robert Breer bis hin zu zeitgenössischen Positionen der Gegenwartskunst wie zum Beispiel Paul McCarthy, Nicole Eisenman, Isa Genzken, Kiluanji Kia Henda, Cosima von Bonin, Jakob Lena Knebl, Henrike Naumann, Ashley Hans Scheirl, Jeffrey Vallance oder Ming Wong. Neben zahlreichen Leihgaben aus europäischen und US-amerikanischen Museen und Sammlungen sind auch Werke aus den Sammlungen des Universalmuseums Joanneum in Graz zu sehen, darunter beispielsweise Arbeiten von Rembrandt van Rijn aus der Alten Galerie oder von Josef Danhauser, Jiri Kovanda und Martin Kippenberger aus der Neuen Galerie Graz.
In einer häuserübergreifenden Kooperation wird das Thema der Ausstellung in der Neuen Galerie Graz und in der HALLE FÜR KUNST Steiermark gleichwertig präsentiert, wobei jede Institution spektakuläre Positionen zeigt. Während etwa in der Neuen Galerie Graz ein absurdes Spiegelkabinett des niederländischen Künstlers Gabriel Lester einen zentralen Platz einnimmt, das eigens für das Ausstellungsprojekt entstanden ist, wird der große Hauptraum der HALLE FÜR KUNST Steiermark zur Bühne für eine monumentale Installation des US-Künstlers Jim Shaw. So bietet diese Ausstellung über das eigentliche Thema hinaus einen Überblick über bedeutende Positionen der internationalen Kunstgeschichte und zeitgenössischen Kunst. Ergänzt werden die künstlerischen Positionen durch eine B-Movie-Sektion, die in der Neuen Galerie in Form eines in Blau gehaltenen, an Bar- bzw. Kino-Atmosphäre erinnernden Raumes historische Filmplakate sowie Filmausschnitte u. a.von Ed Wood präsentiert.
Die Ausstellung ist eingebettet in eine Ästhetik, welche anders als die gewohnten White-Cube-Szenarios eher von Vergnügungsparks mit ihren Kristallpalästen, Spukhäusern und übersättigten bunten Welten inspiriert ist. ERNSTHAFT?! gibt dem Experimentellen und einer aktiven, undogmatischen Kommunikation nicht nur in den Werken, sondern auch in der Struktur des gesamten Projekts Raum. In diesem Sinne impliziert die Ausstellung als ästhetische Praxis eine bewusste Form der Intuition, die das Risiko von Bedeutungsambivalenzen und Missverständnissen in Kauf nimmt. Ein Ansatz, der intellektuelle Gedankenspiele begrüßt, sich aber einem bloß formalistischen Intellektualismus widersetzt.