Ecke Bonk / Owen Griffith

typosophes sans frontières. Monte Carlo Methode

01.10. - 30.10.2005

Bildinformationen

Laufzeit

01.10. - 30.10.2005

Eröffnung

30.09.2005 17 Uhr Künstlerhaus Graz, 18 Uhr Neue Galerie Graz

Ort

Neue Galerie Graz

Kuratiert von

Peter Weibel

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Über die
Ausstellung

Neue Galerie Graz und Künstlerhaus Graz


Zusatzinformationen

Organisation: Elisabeth Fiedler

Ort: Neue Galerie Graz Spiegelsaal und Künstlerhaus, Graz

Neue Galerie Graz im Steirischen Herbst 2005

In Zusammenarbeit mit ZKM Karlsruhe

Zu einer Archäologie des Zufalls – Towards an Archeology of Chance

Der deutsche Künstler Ecke Bonk, der jahrzehntelang in Österreich lebte und der an zwei documentas (X und XI) und an der Biennale von Venedig, Österreichischer Pavillon (1999) teilgenommen hat, ist nicht nur als Typograph, sondern auch als multimedialer Künstler hervorgetreten. In seinem Werk hat er, ausgehend von einer Philosophie der Typografie, die er selbst Typosophie nennt, nicht nur eine systematische Untersuchung grafischer Entscheidungen, maschineller Zeichen und damit verbundener Wahrnehmungsvorgänge, optische Täuschungen etc. dargestellt, sondern diese auch zunehmend in einen allgemeinen Kontext gestellt und so den Weg vom Bild zur visuellen Kultur exemplarisch verdeutlicht. Diese Ausstellung zeigt zwei installative Rauminterventionen des Künstlers im Spiegelsaal der Neuen Galerie und im Künstlerhaus.

After spending a lot of time trying to estimate the odds of particular card combinations (by pure combinatorial calculations), I wondered whether a more practical method than abstract thinking might not be to lay (the cards) out say one hundred times and simply observe and count the number of successful plays. This was already possible to envisage with the beginning of the new era of fast computers, and I immediately thought of problems of neutron diffusion.
(Stan Ulam, On the Monte Carlo Method, 1948)

Les artistes de tous temps sont comme des joueurs de Monte Carlo et la loterie aveugle fait sortir les uns et ruine les autres - Dans mon esprit ni les gagnants ni les perdants ne valent la peine qu'on s'occupe d'eux - C'est une bonne affaire personnelle pour le gagnant et une mauvaise pour le perdant... Tout se passe au petit bonheur la chance - ... Et même la postérité est une belle salope qui escamote les uns, fait renaître les autres (Le Greco), quitte d'ailleurs à changer encore d'avis tous les 50 ans.
(Marcel Duchamp, 1952)

Anyone who attempts to generate random numbers by deterministic means is, of course, living in a state of sin.
(John von Neumann, 1953)

Chaosmos - Und wären die Gesetze der Wahrscheinlichkeit nur ein wenig gelockert, wären Einhorn und der Gewinn in Monte Carlo auch nur ein wenig weniger unwahrscheinlich, wäre Glück gefügiger und Zufall manipulierbar, d.h. eine menschliche Kategorie: nicht nur diese Welt, dieses Universum, unser Kosmos hätte ein anderes Gesicht. Aber Kosmos heißt Ordnung, und Unwahrscheinlichkeit und Wahrscheinlichkeit hängen mit Ordnung und Unordnung aufs engste zusammen. Die Gesetze, die diese Beziehung steuern, gehören zu den mächtigsten Vorschriften der Natur; steuern auch die unwahrscheinlichsten Wendungen ihrer Entwicklung. Die scheinbar zufälligste Veränderung.
(Ecke Bonk, in<>formation, 1993)

Random Excess

Die ausstellung unternimmt den versuch, die kulturellen und anthropologischen bezugsfelder und wechselwirkungen des zufalls zu erkunden. Hierbei betrachten wir zufall zum einen in seiner domestizierten form des glücksspiels und zum anderen als eine nicht-menschliche übergeordnete (natur-)kraft, deren vollständige abbildung oder simulation immer misslingen muss, sei es mit einem würfel, einem roulette-kessel oder einem rechner. Stephane Mallarmé schreibt dazu bereits vor über 100 jahren: Un coup de dés jamais abolirait le hazard. Ein würfelwurf schafft den zufall niemals ab.

Der zufall soll über einen begriff aus der technischen bilddarstellung, dem der auflösung (=resolution) beschrieben werden.
Ausserdem wird angenommen, dass sich zufall in unterschiedlichen versuchsanordnungen (=glücksspielen) mit unterschiedlich hoher auflösung abbildet oder abbilden lässt (=high/low resolution imaging). Sehr hohe auflösungen (=type: Hubble) erreicht man bei abbildungen von zufälligen vorgängen aus der natur.

Die bedeutendste quelle von zufallsereignissen ist neben dem random walk der Brownschen Bewegung der nukleare zerfall, die radioaktivität. Das gilt von der kleinen menge eines radioaktiven isotops bis zur hintergrundstrahlung aus dem weltall. Da strahlung selbst nicht direkt wahrnehmbar ist, müssen geeignete instrumente für die übersetzung aus dem mikrokosmos gefunden werden. Mit geigerzählern lassen sich ungemusterte zufallsbilder von sehr hoher auflösung erzeugen.

Die gesetze des glücksspiels haben seit der renaissance, entscheidend aber seit dem barock, immer wieder die führenden naturphilosophen und mathematiker beschäftigt: die zeit war reif, um berechenbare gesetzmässigkeiten beim würfelwurf, beim kartenspiel und am glücksrad zu vermuten. Die forscher gingen daran, das glücksspiel unter exakten laborbedingungen zu testen. Erst mals entstanden untersuchungen zu einer geometrie des zufalls (Pascal). Gearbeitet haben an einer ent- und bezifferung des zufalls jeweils die besten wissenschaftler ihrer zeit: Cardano, Galilei, Huygens, Pascal, Leibniz, Newton, Fermat, Buffon, Laplace, Maxwell, Poisson, Fechner, Markoff, Einstein, Planck, von Neumann, Feynman, Pauli, Heisenberg, Ulam.

Erst waren es die gesetze des zufalls, wie er sich in glücksspielen zeigt, die es zu entschlüsseln galt. Und im 20. jahrhundert wird dieses spezialisierte sezierbesteck der wahrscheinlichkeitsrechnung wiederum rückbezüglich zur modellhaften analyse und zum verständnis der materie und ihres atomaren und sub-atomaren aufbaus und verhaltens verwendet. Die blickrichtungen hatten gewechselt, stehen sich nun diametral gegenüber.

Es war eine ganz neue erkenntnis, dass sich spieltheorie durchaus zur simulation von naturprozessen eignet: sei es die biologie der zellen oder die physik der gene oder die der atomaren und sub-atomaren teilchen. Würfeltisch und roulettekessel verwandelten sich in den köpfen der mathematischen physiker und physikalisch denkenden mathematiker zu instrumenten (=teleskopen/observatorien) zur beschreibung und angenäherten/approximierten simulation von vorgängen in der natur, die sich jeder einzelbeobachtung oder einer beobachtung grundsätzlich entziehen.

Der nahezu mythische name Monte Carlo wird über das dazugehörige casino zum synonym für das glücksspiel. Nirgendwo sonst hat ein ganzes staatswesen allein von der faszination und attraktion des spiels und seinen sozialen und ökonomischen nebenerscheinungen und nebenwirkungen existieren können.

Der physiker Stan Ulam, der sicher nie in Monte Carlo war, entwickelte mit seinem österreichisch-ungarischen freund John von Neumann während und nach dem 2. weltkrieg in den USA eine statistische, wahrscheinlichkeitssimulierende rechen-methode zur mathematischen bewältigung komplizierter atomarer spalt-vorgänge und kettenreaktionen, deren verständnis auch für den bau von uran- bzw. wasserstoffbomben bedeutung hatte. Für den von beiden entwickelten algorithmus wird schliesslich der name: Monte Carlo Methode vorgeschlagen. Gerade dieser name hat ohne zweifel zu ihrem überwältigenden erfolg beigetragen. Immerhin wird die Monte Carlo Methode zu den zehn wichtigsten rechenanweisungen des 20. jahrhunderts gezählt.

Universum und zufall, ordnung und unordnung, wahrscheinlichkeit und unwahrscheinlichkeit, determinismus und indeterminismus, kausalität und non-kausalität, entropie und neg-entropie: mit den spielregeln und gesetzmässigkeiten beim glücksspiel lassen sich universelle konstanten und wechselwirkungen abbilden oder etwas vorsichtiger gesagt, einer abbildung annähern. Ein proton zerfällt offenbar nicht in 16 milliarden jahren - das sind sehr schwere voraussetzungen für einen labortest und für die durchschnittliche lebenserwartung eines experimentellen physikers. Dieser wandel des beobachtungsstandpunkts vom einzelnen spiel zur erzeugung synthetischer gross-serien von zufallsergebnissen deutet auf eine neue epistemologische wechselwirkung. Die fensterlose monade ist auch eine roulettekugel und/oder umgekehrt.
Glücksspiele und lotterien aller art haben die unterschiedlichsten kulturen immer begleitet, erscheinen rund um den globus zu allen zeiten als anthropologische konstante (=homo ludens).

In Graz wird eine gegenüberstellung der hier angesprochenen unterschiedlich hohen auflösungen von zufall gezeigt: im barocken spiegelsaal (1754-1761) der neuen galerie ist der klang der bewegten kugel in einem roulettekessel zu hören. Die instrumente, welche für die tonaufnahme benutzt wurden, sind ein 80kg schwerer roulettekessel und eine elfenbeinkugel, die 22 gramm wiegt. Der kessel selbst wird zum stummen zeugen des in den barockraum projizierten klangs der rollenden kugel. Fortunas lied kommt von der harddisk: Der konservierte klang des schwebenden zufalls. Und immer dann, wenn die kugel zur ruhe kommt, wird die bei der tonaufnahme getroffene zahl eingeblendet. Die abfolge der einzelnen würfe bleibt einer randomfunktion des programms überlassen. Wie beim realen roulettekessel ist es nicht vorhersehbar, welche zahl als nächste getroffen wird.

Im grossen ausstellungsraum (=künstlerhaus) wird die olympische disziplin zufälliger ereignisse, der atomare zerfall, die radioaktive strahlung als steuerungs- und entscheidungsmoment für ein aufwendiges klangexperiment genutzt. Mehrere geigerzähler steuern hier einen dafür umgebauten konzertflügel. Die stets und überall vorhandene messbare hintergrundstrahlung wird akustisch wahrnehmbar - und nicht nur als trockenes knacken oder piepsen eines geigerzählers. Kosmische strahlung wird registriert und als klangspiel ohne ende wiedergegeben auf einem akustischen, aber vom computer aus steuerbaren, konzertflügel. Die allgegenwärtige und für unsere sinne nicht direkt wahrnehmbare radioaktivität wird in einem modellhaften observatorium wahrnehmbar gemacht. Geigerzähler und konzertflügel haben eine ähnlichkeit/verwandtschaft mit mikroskopen und teleskopen, aber auch mit den grossen teilchenbeschleunigern oder mit den tief in bergen eingegrabenen oder im ewigen eis versenkten neutrino-observatorien.

Zufall und strahlung sind gleichermassen unsichtbar und bedürfen apparaturen und experimenteller aufbauten, um für unser sensorium wahrnehmbar zu werden. Aber der grad der sichtbarkeit ist immer nur eine annäherung.

Isa Quandt

Modell 1

Kosmische Strahlung / a b g / Geigerzähler
Präpariertes Klavier / Dürers Nemesis
Künstlerhaus, Stadtpark Graz
Martina Haitz, Programmierung

Modell 2

Roulettekessel / 1+2+3...+36= / Elfenbeinkugel
Pascals Geometrie des Zufalls / Dürers Melencolia
Spiegelsaal, Neue Galerie Graz
Peter Böhm, Ton