Elisabeth Diller, Professorin der Princeton Universität und Ricardo Scofidio, Professor am Cooper Union in New York, arbeiten seit 1979 zusammen. Sie gehören zu jenen Architekten, welche die Funktion der Architektur im Zeitalter der avancierten elektronischen Medien reflektieren. In ihrem multi-disziplinären Werk, das Architektur, Medieninstallation, Performance und bildende Kunst mixt, untersuchen sie den ökonomisch politisch, sozial und gesellschaftlich codierten Raum und argumentieren für eine „architecture of entrapement“. Besonders ihre rezenten Projekte „Soft Sell“, eine Videoinstallation in einem aufgegebenen Pornotheater, „Tourism: Suit Case Studies“, The Production of a National Past, eine Installation, „The Slow House“, eine Urlaubsresidenz und die Videoprojekte „Overexposure“, „Jump Cuts“, „Para-Site“, „Loophole“ und „Indigestion“ zeigen, wie Technologie und Ökonomie den traditionellen Raum der Architektur und die historische Rhetorik der formalen Experimente, Autonomie und Freiheit in Frage stellen. „Indigestion“ (1995) ist eine interaktive Videoinstallation, in der alte und neue Genres (film noir, Video Games, Exquisite Corpse Strukturen etc.) konvergieren. Auf einen Tisch, der exakt mit der Leinwand übereinstimmt, wird eine fiktive Geschichte mit zwei Menschen projiziert, von denen stets nur die Hände und deren Aktivitäten zu sehen sind. Unter dem Tisch befinden sich Lautsprecher. Am Tisch ist ein „touch screen“ befestigt, der dem Betrachter ein Menü offeriert, aus dem er sexuelle und soziale Charakter Stereotypen auswählen kann. Auf 3 Laserplatten von zweieinhalbstündiger Dauer ist die Geschichte einer Erpressung gespeichert, die nie zur Gänze enthüllt wird. Um das Stück zu aktivieren, wählt der Betrachter vom Menü zwei Persönlichkeiten, die durch weibliche oder männliche Symbole charakterisiert werden. Während der Dauer der Mahlzeit kann eine Person mit einer neuen Stimme, Grammatik und Verhaltensweise ausgewechselt werden. Mit jedem neuen Charakter beginnt eine Verzweigung der Geschichte, aber gleichzeitig gilt im Dialog eine Kontinuität.
Mit dem Thema der Wahl, der Auswahlmöglichkeiten, die zu den Glücksversprechen der neuen Technologien gehören, die mit ihrer Vielzahl räumlicher Referenzen (Cyberspace, elektronischer Raum, virtueller Raum, Informationsraum, Digitalraum) den klassischen Raum der Architektur in Frage stellen, zeigen Diller und Scofidio die Notwendigkeit, die Architektur in das erweiterte Feld der digitalen Technologien als Fortsetzung des modernistischen Projektes zu stellen, andererseits verweisen sie auf die Grenzen der modernen Träume. In „Indigestion“ erlebt nämlich der Betrachter den Kollaps der Dualitäten wie high/low class, maskulin/feminin, Freiheit/Kontrolle, real/virtuell. Die Architektur selbst wird dabei als komplexe Technologie der Spezialeffekte entzaubert, die Politik, Ökonomie und soziale Beziehungen konstruiert.
Am Freitag, dem 21.06.1996, findet um 19 Uhr in der Neuen Galerie Graz ein Galeriengespräch mit den Künstlern statt. Das Galeriegespräch mit Diller + Scofidio fand im Rahmen einer Veranstaltungsreihe als Kooperation Neue Galerie und Zentralvereinigung der Architekten- Landesverband Steiermark mit Unterstützung des Hauses der Architektur und des Instituts für künstlerische Gestaltung, TU Graz, statt.