Ob des Umbaus sind Projektionen der Neuerwerbungen und Schenkungen an die Neue Galerie Graz im Stiegenhaus zu sehen.
Die Kunstwerke vor dem Verschwinden zu schützen, ist eine allgemeine Aufgabe des Museums. Die Kunstwerke zu bewahren und zu konservieren, ist eine weitere Aufgabe. Ein Museum ist also der Ort, an dem diejenigen Kunstwerke gesammelt werden, die bewahrt werden sollen. Welche Kunstwerke sollen das sein? Alle oder eine Auswahl? Selbstverständlich können es nur ausgewählte Kunstwerke sein, da Raum und Zeit, Geld und Depot begrenzt sind. Eine vornehmliche Aufgabe des Museums ist es also, jene Werke auszuwählen, die bewahrt werden sollen. Die Kriterien dieser Auswahl, sofern vorhanden, definieren die Sammlungspolitik. Sammeln heißt also nicht nur bewahren und vor dem Verschwinden schützen, sondern auch auswählen. Sammlung bedeutet auch Selektion. Der Selektionscharakter kann nicht nur historisch determiniert sein, indem das Bewahrende mit dem Bewährten gleichgesetzt wird, sondern muss auch prognostisches Risiko eingehen. Eine Sammlung kann nur dann günstig und mit geschichtlicher Wirkung errichtet werden, wenn sie die Zukunft antizipiert und auch das schon bewahrt, was sich noch nicht bewährt hat. Ihre normative Kraft bezieht eine Sammlung gerade aus der Treffsicherheit ihrer Prognosen. So hat die Neue Galerie viele Jahre vor anderen Museen jungen KünstlerInnen große Einzelausstellungen gewidmet, die heute zu den fixen Stars der Kunstszene gehören und ihre Nationen bei den diversen Biennale repräsentieren, z. B. Pipilotti Rist und Sylvie Fleury. Im Unterschied zu Ausstellungen in Kunsthallen und Kunstvereinen wurden die Ausstellungen der Neuen Galerie seit den 90er Jahren von wissenschaftlichen Publikationen in erstklassigen internationalen Verlagen begleitet, was glücklicherweise auch in Graz zu Nachahmungen geführt hat. Diese Ausstellungen sind vor allem im Spannungsfeld der Sammlung zu sehen. Eine öffentliche Sammlung folgt anderen Kriterien der Selektion als eine private. Eine öffentliche Sammlung ist der Allgemeinheit verpflichtet, d.h. allgemein definierbaren Kriterien, was nicht gleichzusetzen ist dem Interesse der Allgemeinheit, da deren Interesse für die Kunst begrenzt ist und in vielen Fällen nur aus einer verzerrten Perspektive erfolgt. Eine private Sammlung hingegen kann privaten Neigungen und Interessen folgen, wie es paradoxerweise der bevorzugte Blickwinkel der Mitglieder der Allgemeinheit ist. Daraus folgt, dass gerade dann eine Sammlung, wenn sie allgemein definierbaren Kriterien folgt, also objektivierbaren Methoden, den Ärger oder das Desinteresse der Allgemeinheit erweckt, da diese ja ihr Interesse aus privaten Blickwinkeln definiert. Was nicht heißen muss, dass private Sammlungen bzw. Interessen per se mit öffentlichen kollidieren. Im Gegenteil, je höher das Niveau einer privaten Sammlung ist, umso ähnlicher wird sie einer öffentlichen Sammlung, da sie sich umso mehr von privaten Neigungen entfernt. Wenn die Mittel einer öffentlichen Sammlung begrenzt sind, ist sie in der Tat auf die Hilfe solcher privater Sammler und Sammlungen angewiesen. Die Sammlung der Neuen Galerie, jenes Museums mit dem widersprüchlichen Namen Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum, ist ein exemplarisches Beispiel für jene Konvergenz von öffentlicher und privater Sammlung auf höchstem Niveau. Ohne das finanzielle und intellektuelle Engagement privater Sammler wie Norli und Hellmut Czerny, Ernst Ploil, Rudi Molacek, Oswald Oberhuber, ArteIier Schilcher, Galerie Winter hätte die öffentliche Sammlung der Neuen Galerie nicht ihre internationale Reputation. Dabei wird sie auch unterstützt durch Ankäufe des Bundeskanzleramtes, Sektion Kunst. Die Schenkungen und Ankäufe der Gegenwartskunst folgen einem museologischen Modell, das seit sechs Jahren publiziert ist und dessen Anwendung lange Zeit in den Schauräumen der Neuen Galerie im ersten Stock zu besichtigen war. Dieses Modell geht davon aus, dass die Evolution der Kunst der Gegenwart durch ein dynamisches Quadrupel beschrieben werden kann, das aus den vier Elementen Bild, Text, Körper und Objekt besteht. Die vier Elemente sind Variable, die sich wechselseitig beeinflussen. Die Veränderung der Variable „Bild“ verändert auch die Variablen „Objekt“, „Körper“, „Text“, usw. Die Elemente sind kovariant und wir sprechen daher von einem Kovarianz-Modell, das die Folie für die Entwicklung der Kunst darstellt. Von diesem Modell ausgehend, das die üblichen museologischen Prinzipien der Genealogie, Chronologie und Stilgeschichte berücksichtigt, aber gleichzeitig erweitert, werden auch Kunstwerke der klassischen Moderne erworben, die als lnkunabeln und Kerne das Verständnis für die ästhetischen Positionen der Gegenwart fördern, z. B. die „Boite en valise“ von Marcel Duchamp. Im Rahmen des Kovarianzmodells wurden Ausstellungen und Symposien konzipiert, die von Kontextkunst bis Quantum Dämon (die soziale Konstruktion von Kunst) theoriebildend waren. Wir sind daher bemüht, aus den Ausstellungen Werke für die Sammlung, z.B. G. Paolini, und die begleitende Literatur zur weiteren wissenschaftlichen Forschung zu erwerben. Da die Neue Galerie nicht nur internationale Kunst sammelt, sondern sich auch der lokalen und nationalen Kunstszene verpflichtet fühlt, werden besonders lokale und nationale Künstler bei der Konstruktion der Sammlung im internationalen Kontext berücksichtigt. Das gilt nicht nur für die Künstlerinnen der klassischen steirischen Moderne, die erstmals wissenschaftlich konsequent betreut werden, sondern vor allem auch und mehr denn je für steirische Künstlerinnen der Gegenwart, die am internationalen Diskurs teilhaben. Insofern setzt die Neue Galerie aus Mitteln der Gesellschaft der Freunde der Neuen Galerie einen Schwerpunkt mit der Sammlung der Werke und Schriften von Günter Brus und dessen Umfeld, weil Brus, der in Graz lebt und in der Steiermark geboren wurde, zweifelsohne ein Künstler von Weltgeltung ist. Auch Künstlerinnen des 19. Jahrhunderts werden intensiv bedacht. Ergänzungen werden vorgenommen, aber ebenso werden ganz neue Namen erstmals erworben, um das Spektrum der steirischen Kunst vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart adäquat zu repräsentieren. Bei diesen Erwerbungen stützen wir uns nicht nur auf Auktionshäuser in Wien und München, sondern vor allem auf die fachlich Kompetenz der Galerien in Graz und Wien. Auf nationaler Ebene korrigiert die Neue Galerie seit mehreren Jahren erfolgreich durch Ausstellungen im In- und Ausland und durch umfangreiche wissenschaftliche Forschungen und mehrere Symposien den verzerrten Blick auf die österreichische Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts, wie er durch Austrofaschismus und Nationalsozialismus weit in die Nachkriegsgeschichte hinein wirkte. Dem entsprechend werden weniger die emotionalen, realistischen und gedämpft expressiven Aspekte der österreichischen Kunst, die sich auf die Bewahrung des Menschenbildes berufen, betont, sondern vielmehr das überaus reiche, wenn auch vertriebene Erbe der Kunst des formalen Denkens, der frühen geometrischen Abstraktion, beginnend mit der Wiener Werkstätte, und der rationalen Konzeptualisierung, vom Wiener Kreis bis zur Wiener Gruppe. Ein offener Kunstbegriff, der einer offenen Gesellschaft (K. Popper) entspricht und der die sozialen Bedingungen der Kunst kontextuell thematisiert, wird am Beispiel von Prototypen in der Sammlung der Neuen Galerie exemplifiziert. Z.B. die Genese der spatialen Malerei, der raumübergreifenden Malerei durch die Farbe Schwarz, von A. Reinhardt und R. Artschwager bis R. Stingel und H. Dunst; die Transformation des mediatisierten Körpers von V. Export bis 1. van Lambsweerde; die Verwandlung der Skulptur in ein Möbelobjekt von F. Kiesler über 0. Oberhuber bis F. West und F. Neuwirth. Anlässlich des Jahresendes zeigt die Neue Galerie eine Auswahl der Ankäufe und Schenkungen im Jahre 1998 in einer kontinuierlichen Diaprojektion im Stiegenhaus, da verzögerte Umbauarbeiten eine direkte Präsentation verhindern.