Als der Teufel seine Flügel verlor und einen Bockfuss bekam
Die Beziehungen zwischen Mensch und Tier sind vielfältig, wie die aller Organismen zueinander. Einem scheinbaren Ordnungssystem folgend, nützen, schützen, schaden und bekämpfen die einzelnen Existenzen einander. Im hierarchischen Zusammenhang reihen sich der Mensch vor dem Tier und dieses vor den Pflanzen ein. Einzig der Mensch kann es sich aussuchen, diese Reihenfolge zu akzeptieren - er steht an oberster Stelle und bestimmt die Koexistenz zwischen allem Lebenden. Bereits für die frühesten Jägervölker war es das große menschliche Problem, sich mit der Aufgabe vertraut zu machen, die Wildnis mit den Tieren teilen zu müssen. Eine unbewusste Identifikation fand statt, die letztlich in den halb menschlichen, halb tierischen Figuren der mythischen Vorfahren ihren Niederschlag fand. Bspw. russische Waldgeister, erscheinen teilweise in menschlicher Gestalt, mit Hörnern, Ohren, und Beinen einer Ziege, die alten Philister verehrten Dagon, die fischähnliche Göttin mit der Gestalt einer Meerjungfrau, die ägyptische Sphinx ist zum Teil Löwe, Adler und Mensch. Wir verleugnen unsere tierische Vergangenheit oder bezeichnen diese zumindest als unsere "niedere" Natur und verdrängen sie. Ein ambivalentes Verhalten lässt die Menschen sich aber immer noch nach den tierischen Kräften sehnen, obwohl die Angst existiert, das Menschsein zu verlieren. Wir sind, wie der Sprachgebrauch zeigt, scheu wie Rehe, schlau wie Füchse, falsch wie Schlagen, stark wie Löwen, nachtragend wie Elefanten etc. Winston Churchill sagte: "Zu einem guten Politiker gehören die Haut eines Nilpferdes, das Gedächtnis eines Elefanten, die Geduld eines Bibers, das Herz eines Löwen, der Magen eines Vogel Strauss und der Humor einer Krähe, diese Eigenschaften sind allerdings noch nichts wert ohne die Sturheit eines Maulesels." Man stelle sich einen derartigen Mutanten vor und gehe dann beruhigt zu den nächsten Wahlen.
Somit empfinden wir uns ständig in Relation zum Tier oder eben mit den verschütteten Vorstufen unserer Entwicklung. Heute verwandeln wir unsere Haustiere in "Pelz- und Federmenschen", damit wir ihre menschliche Natur besser in uns sehen können. Somit haben wir eine Projektionsfläche gefunden, die uns Zuneigung, Hass und Macht konsequenter ausleben lassen. Schopenhauer bemerkte, "...dass uns der Anblick der Tiere so ergötzt, beruht hauptsächlich darauf, dass es uns freut, unser eigenes Wesen so vereinfacht vor uns zu sehen." Der Neurophysiologe Paul McLean ist der Ansicht, dass das menschliche Hirn drei Stadien des Fortschritts durchlaufen hat: das Reptilienhirn mit von Instinkten geleiteten Funktionen, repräsentiert durch das Stammhirn. Als nächstes entwickelte sich die primitive Hirnrinde, die das Reptilienhirn umgab und die Lernkapazität vergrößerte, und ebenso das Vermögen, eine größere Vielfalt von Gefühlen erfahren und ausdrücken zu können. Zuletzt entwickelte sich die Neocortex, die nur bei Affen, Menschenaffen und Menschen vorhanden ist und für Vorausdenken, sympolische Sprache, begriffliches Denken und Selbstbewusstsein verantwortlich ist. In den Mythen, Religionen, Märchen und letztendlich auch in den Comics begegnen wir den verdrängten Tieren in Form von Mischwesen (Satyr, Kentaur, Sirene, Minotaurus, Engel, Teufel, Froschkönig, gestiefelter Kater, böser Wolf als Großmutter, Donald Duck, Mickey Mouse, Panzerknacker, Fix und Foxi etc.). Alle diese Wesen gehörten letztlich in einem vorwissenschaftlichen Stadium diversen Welterklärungsmodellen an.
Kommen wir aber wieder zurück zur "Realität", zum Gegenwärtigen. Im Februar 2000 veröffentlichte Greenpeace die skandalöse Patenterteilung auf gentechnisch veränderte menschliche Embryonen durch das Europäische Patentamt. Das Patent, von einer australischen und einer amerikanischen Firma angemeldet, beinhaltet die Züchtung von Mischembryonen aus Schwein und Mensch und die exklusiven Vermarktungsrechte für diese Wesen. Zusätzlich wird im Patent auch das Recht auf gentechnische Manipulationen menschlicher Embryonen beansprucht. Die Firmen weisen darauf hin, dass das Klonen von Schweinen für die Organverpflanzung vom Tier auf den Menschen nützlich sein kann. Entscheidend dabei ist aber, dass Lebewesen, die von der Industrie hergestellt werden, keinen eigenen Wert haben. Wenn die belebte Natur als eine Erfindung des Menschen angesehen wird, kann sie ohne ethische Vorbehalte manipuliert werden - ist somit formbares, seelenloses Material, wie Metall, Stein, Papier, Ton etc. Nach klassischem Verständnis wurde Kunst als Nachahmung der Natur gesehen und in der Konsequenz als Teil der selben verstanden. Den Werken der "Schönen Kunst", so Kants Auffassung, sieht man ihr Gemachtsein nicht an, bzw. man soll es ihnen nicht ansehen. Sie sollen so aussehen, als seien sie von selbst da - als seien sie von der Natur. Eng verbindet sich mit dieser Auffassung der Geniebegriff: Der Künstler wird als ein Mensch gedacht, in dem und durch den die Natur selbst produziert - ein Schöpfer.
Deborah Sengl, als ausgebildete Künstlerin und Biologin, bietet in ihrer Arbeit einige Möglichkeiten an, die sich aus dieser Konsequenz ergeben. Sie reagiert dabei auf Phänomene, die einerseits tatsächlich in der Natur vorkommen - die Ameisenspringspinne imitiert das Aussehen der eigenen Beutetiere - oder erfindet Varianten ähnlichen Charakters (Tarnung und Täuschung). Die Tarnung ist eine der einfachsten Formen, sein Äußeres zu verändern und somit die Umwelt zu täuschen. Die Gentechnik als wesentlich komplexeres System bestimmt hingegen neue Formen der Existenz. Bei der Tarnung passen sich Lebewesen, wie bpsw. der Steinfisch oder das Chamäleon, ihrer Umgebung an. In weiteren Überlegungen lässt Deborah Sengl Menschen beim Ausüben ihrer sportlichen Hobbys die Gestalt ihrer potentiellen Feinde annehmen - eine Fähigkeit, die "noch" nicht möglich ist, aber doch überlegenswert erscheint. Wenn plötzlich Jogger als Rottweiler und Taucher als Feuerfische daherkommen, scheint einiges an Konfliktpotential behoben zu sein. Dieses Spiel lässt sich fortsetzen, wenn sich in einer weiteren Werkgruppe Jäger und Beute verbinden, bspw. werden in Äthiopien sowohl der Gepard als auch die Gerenuk-Antilope gejagt. Zusätzlich jagt der Gepard die Antilope. Wenn nun der Gepard männlich und die Antilope weiblich dargestellt werden und das alles noch in einer Art Mischwesen aus Mensch und Tier mit der landesüblichen Tracht, so scheint die Möglichkeit zur Koexistenz gegeben zu sein. Ob es sich nun dabei um neue Fabelwesen handelt, oder ob hier eine ironische Anmerkung zur Gentechnologie herauszulesen ist, muss dem Betrachter überlassen werden. Jedenfalls richtet sich das ontologische Interesse nicht mehr auf die Wirklichkeit, sondern auf die Wirkung. Die sogenannten Simulakra, die durch die technischen Bildmedien und somit auch in der bildenden Kunst möglich geworden sind, sind wirklich in dem Sinn, dass sie wirken. Somit kann man Paul Klee zustimmen wenn er 1920 bemerkt: "Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar".
Deborah Sengl wurde 1974 in Wien geboren, hat ihr Studium 1992 an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien bei Mario Trezic begonnen. 1995 hat sie ein Gastsemester an der Kunsthochschule in Berlin / Weißensee an der Modeabteilung absolviert. 1996 schloss sie das Kunststudium mit dem Diplom in Malerei bei Christian Ludwig Attersee ab.
Ungefähr zum selben Zeitpunkt beginnt eine rege Ausstellungstätigkeit in Österreich, vor allem aber in Deutschland. Deborah Sengls Ausstellung "Ertarnungen II" im Studio der Neuen Galerie ist ihre erste in Graz.