Christoph Schmidberger

Great Love & Great Miracles

30.03. - 06.05.2001

Bildinformationen

Laufzeit

30.03. - 06.05.2001

Eröffnung

29.03.2001, 19 Uhr

Ort

Neue Galerie Graz

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Über die
Ausstellung

Studio der Neuen Galerie Graz


Zusatzinformationen

Ort: Studio der Neuen Galerie Graz

"Jener unfassbare Glanz des Himmels ist der des Todes" Georges Bataille

Christoph Schmidbergers Bildwelt ist eine höchst aufgeladene und vielschichtige, egal ob es sich dabei um seine Gemälde, um seine erst in letzter Zeit entstandenen Zeichnungen, oder um eine Symbiose aus beiden handelt. Ausgebildet als Maler, hält er zunächst alle Regeln und technischen Methoden altmeisterlicher Praxis streng ein. Man könnte annehmen, dieser Künstler "glaube nicht an das anarchische Sichgehenlassen und den mehr oder weniger inspirierten Wirrwarr der sogenannten Avantgarde" (Antonin Artaud äußerte sich so über den, dem Surrealen nahestehenden Maler Balthus). Im Realismus eine Rückschrittlichkeit festzustellen, wäre in einer Zeit der anwachsenden Bilderzeugung fehl am Platz. Gerade in der Kunst der letzten zehn Jahre ist die Auseinandersetzung mit bestehenden Bildern selbstverständlich geworden. Somit haben sich im Betrachter wie im Künstler allerlei Bildstrukturen verschiedenster Herkunft (Massenmedien, Kino, Werbung, Kunstgeschichte) angesammelt und im jeweiligen Bewußtsein abgelagert. Sie ruhen in uns und bilden eine subjektive geistige Welt, die im Detail nicht erinnerbar ist. Neue visuelle Anlässe evozieren Teile dieser Bildwelten erneut und geben ihnen vielfach andere Bedeutungen. Womit wir wieder bei Balthus angelangt wären. Er akzeptiert die Gegebenheiten der Sinne, er akzeptiert diejenigen der Vernunft, gestaltet sie aber neu. Das Erkennbare hat dabei aber eine Bedeutung, die weder für jedermann in Reichweite liegt noch für jedermann erkennbar ist. Hinter den anmutigen Darstellungen verbirgt sich das Grauen, zumindest aber die Überschreitung.

In den Filmen des amerikanischen Regisseurs David Lynch erkennen wir Ähnliches. Das Alltägliche wird bedeutsam durch die Isolation, die Klarheit und die gewisse Kälte, die den Blick darauf bestimmt. Nicht das Objekt (Mensch oder Architektur) bestimmt dann weiter seine Bedeutung, sondern der darauf gerichtete Blick. Die Geschichten, welche die Protagonisten erlebt haben oder die an den dargestellten Orten stattgefunden haben, sind es auch die in Christoph Schmidbergers Arbeiten zum Tragen kommen und durchscheinen. Der Betrachter traut dem Dargestellten nicht. Zu perfekt und in zu angenehmen Farben erscheint das Dargestellte, als dass man daran festhalten könnte. Wie Lynchs Filme, sind diese Bilder in dem Maße schön, wie sie einen Mut belegen, dem eigenen Schrecken fasziniert zu begegnen. Die heranwachsenden Jugendlichen stehen entweder knapp vor oder knapp nach dem "Sündenfall". Ein ungeduldiges Warten auf die Gewaltsamkeit eines sexuellen Aktes, der sich nicht mehr lange hinauszögern läßt, scheint auf der einen Seite zu stehen. Es ist nicht mehr die glatte volle Schönheit, die ohne sexuellen Reiz auskommt, die nichts erwartet und nichts verlangt, wie sie Pubertierende anfangs noch erleben. Andererseits scheinen einige der adoleszenten Mädchen und Buben bereits das Tabu durchbrochen zu haben. Die Welt des Eros mit seiner über die Grenzen drängenden Energie, wie sie Georges Bataille in seiner "Geschichte des Auges" beschreibt, scheint Realität geworden zu sein. Michel Foucault spricht in diesem Zusammenhang von "einer Erfahrung der Sexualität, die um ihrer selbst willen das Überschreiten der Grenze mit dem Tod Gottes verbindet...". Das Tabu bezeichnet einen Punkt, an dem die erotische Energie sich zusammenballt und eine neue Qualität erreicht. Konsequenterweise hält Bataille eine Abschaffung der sexuellen Verbote für einen Rückfall ins Tierreich. Der christlich- abendländische Kulturkreis beinhaltet die strenge Reglementierung der Sexualität im Sinn einer Zweckbestimmung. Ein Vergehen hätte letztlich ewige Verdammnis zur Folge.

Schmidberger zitiert diese religiöse Komponente, wenn er sich der ikonografischen Muster bedient, die in der abendländischen Kunstgeschichte Jahrhunderte lang bestimmend waren. Sind es in den Heiligendarstellungen der Frührenaissance bspw. von Uccello oder Fra Angelico noch die religiösen Verzückungen, die sich aus den Gesichtern ablesen lassen, sind es hier zutiefst menschliche Phänomene, die dem verklärten Blick zugrunde liegen. Balthus greift auf diese magische Tradition zurück und verwendet dabei den Surrealismus, um das Unaussprechbare darzustellen. In der Kunst der letzten zehn Jahre bedient man sich der vorhandenen Bildwelten und deren Umcodierung. Für Christoph Schmidberger ist dieser Aspekt selbstverständlich. In der Aneinanderfolge der Bilder (Zeichnungen und Malereien) greift er die Strukturen von Film und Comic auf. Eine Narration scheint dabei die Basis zu bilden. Diese bricht aber ständig ab und ändert einen möglichen logischen Verlauf. Man hat es vielmehr mit übereinandergeschichteten Bildern, von denen jedes seine eigene Geschichte erzählen will, zu tun. Die einzelnen "Einstellungen" ergänzen einander weniger, als dass sie miteinander "sprechen". Es entspinnt sich ein Dialog, der aber das Befremden nicht verhehlen will. Der ständige Wechsel von einem Medium ins andere - von der Malerei in die Zeichnung - verstärkt das noch zusätzlich. Zeitebenen und Details verschwimmen. Nicht die Geschlossenheit einer Erzählung ist das Ziel, sondern die Erzeugung einer Stimmung, in der Kontraste zur Geltung kommen. Wie in David Lynchs Filmen ist man mit einer Verweigerung der Linearität des chronologischen Codes konfrontiert. Auch Schmidberger hebt die Linearität der Zeit auf eine Weise auf, die ihre vollständige Rekonstruktion nicht mehr möglich macht.

Statt das Leben abzubilden (in welchem Maßstab und mit welcher Absicht auch immer), bringen die Bilder Christoph Schmidbergers ein anderes Leben hervor. Die Begegnung des Alltäglichen mit dem Grausamen oder dem Begehrlichen, wodurch etwa Märchen oder die Psychoanalyse ausgelöst wurden, ist nun zur Basis der Erzählung geworden. Wir wissen heute, dass diese bizarre Postkartenidylle voller Bedeutung ist.

(Günther Holler-Schuster)

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog in deutscher und englischer Sprache.