Wahrnehmung von Wirklichkeiten, Konstruktion derselben, die suggestive Vermittlung von scheinbar objektiven Berichten sind seit Jahren Themen, mit denen sich die Tiroler Medienkünstlerin Christine S. Prantauer auseinandersetzt. Zu ihrer Arbeit und Bildsprache führen Überlegungen zu Fragen des Realismus, der Realität und der Manipulation, zu sozialen Aspekten, zur stetig voranschreitenden Verkürzung von Distanzen in Raum und Zeit und die daraus sich ergebende Suche nach geeigneten Repräsentationsformen. Nach ihrer Ausbildung zur akademischen Malerin, während der sie dieses formale Ausdrucksmittel für sich als unzureichend erkannte, wandte sie sich, im Wissen um die ständige Beschleunigung von Produktion und Kommunikation seit Beginn der technischen Revolution, der medialen Bildsprache zu.
Das Problem des Realismus, der Versuch einer wirklichkeitsgetreuen Darstellung der äußeren Realität stellte sich von der Antike über die Renaissance und bis zu einem Höhepunkt in der Mitte des 19. Jhdts. mit Gustave Courbets Ausstellung "Le réalisme" 1855, mit Honoré Daumier, Adolf Menzel oder Jean François Millet in der bildenden Kunst. Gleichzeitig trat es in der Literatur auf, und zwar als Realismus im Verständnis einer Ausdrucksmöglichkeit von Konflikten mit bestehenden Verhältnissen, ausgehend von Jules Champfleurys Aufsatzsammlung "Le réalisme" 1857 und den Romanen und Erzählungen Gustave Flauberts, Stendhals, Honoré de Balzacs oder Charles Dickens. Dies war bezeichnend für die Umbruchphase nach der Revolution von 1848, die in Folge der amerikanischen Sezessionskriege und der Französischen Revolution eine internationale gesellschaftspolitische und soziale Umwälzung darstellte. Zu Beginn des 20. Jhdts. wurden stark gesellschaftskritische Impulse unter anderem von Käthe Kollwitz und John Heartfield fortgeführt, in den 1960er Jahren fand das Problem der Wirklichkeitsdarstellung im Hyperrealismus, in der Übersteigerung realistischer Darstellungsmöglichkeiten, einer künstlerischen Reflexion der visuellen Wahrnehmung, eine Entsprechung.
So erscheint die Realismusdebatte stets in Verbindung mit subjektiver Wahrnehmung, mit Idealvorstellungen und sozialer Intention. Seit der technischen Revolution und besonders ab Beginn des 20. Jhdts. tritt ein neuer Faktor, nämlich der des Verschwindens der Ferne, in Kraft. Dabei folgte der materiellen, körperlichen Überwindung von räumlicher und zeitlicher Entfernung die drahtlose, immaterielle und in einer dritten Phase die "binäre Codierung, welche die Immaterialisierungstendenz radikal fortsetzt" 1). Gleichzeitig mit der Auflösung des Körpers im digitalen Raum wird die Welt transparent, der Mensch wird "im Reich der körperlosen Botschaften und reisenden Zeichen sowohl Benutzer wie Geisel des Codes." 2) Eine daraus folgende Problematik ist die der Virtualität und des künstlerischen Umganges damit, die auch für Prantauers Arbeit von Bedeutung ist.
Nach der ersten Phase der Repräsentationsstrategie, in der Radio- oder Fernsehapparate im Tafelbild abgebildet wurden, entwickelte sich eine weitere nach dem Zweiten Weltkrieg "die darin besteht, die neuen technischen Kommunikations- und Produktionsmethoden der Medien selbst als Erzeuger- und Trägersysteme für Kunst zu nehmen" um in einer dritten Phase in den 1960er Jahren als "die eigentliche telematische Kunst, welche die telematischen Effekte des Realen nicht leugnen kann und will" 3) zu münden. In dieser Tradition stehen unter anderen die Arbeiten von zwei für Prantauer wichtige Künstler: Zum einen Allan Sekula mit seinem Interesse an ökonomischen, sozialen und kulturellen Veränderungen innerhalb der Globalisierung, der sich konzeptuell kritisch mit Veränderungen der Arbeitswelt auseinandersetzt und Fotografie nicht als Produkt sondern als Arbeitsprozess und als soziale Praxis versteht und zum anderen Martha Rosler, die mit ihrem Blick auf die alltäglichen Dinge des Lebens und gesellschaftlichen Konventionen das konditionierte Alltagsbild in scharfer Analyse der Rolle der Massenmedien, formal mittels der Fotomontage und stets in Stellungnahme zu politischen Fragestellungen, dekonstruiert. Eine andere wesentliche Komponente stellt die Aktivistenszene dar, ausgehend vom living theater eines Bertolt Brecht, Eugene Ionesco, Luigi Pirandello und Samuel Beckett, das reale Ereignisse miteinbezog und vor allem die Idee der Präsenz forcierte.
Für Prantauer ist dabei die Konzentration auf die eigene Umgebung ebenso wichtig wie das Interesse am öffentlichen Raum, der Architektur und der Struktur des sozialen Kontextes einer Stadt und die Einbeziehung medialer Bilder, die uns ständig begleiten. Im Wissen darum, dass das Dokumentarische seine Bedeutung verloren hat, ergibt sich bei ihr ein Wechselspiel zwischen Subjektivität und globalem Bewusstsein in Form von kollektiven Bildern, deren Herkunft und Wirklichkeitsgehalt nicht überprüfbar ist. Dementsprechend ist das Ausgangsmaterial von Prantauers Digitalprints für diese Ausstellung Fotos vom Innenhof der Neuen Galerie von den Studioräumen aus von ihr selbst fotografiert und Fotos einer sich in unmittelbarer Galerienähe im Stadtraum befindenden Baustelle. In diese Fotos mit zum Teil zufällig anwesenden Jugendlichen wurden mediale Bilder, die zu diesem Zeitpunkt in Printmedien und Fernsehen zirkulierten, hineinmontiert. Somit wird der reale Raum (Galerieraum und urbaner Raum) mit seinem Abbild und einem unendlich oft reproduzierten Bild verknüpft. Die medialen Bilder zeigen die Demolierung des Saddam Hussein-Denkmals in Bagdad während der ersten Einmarschtage der Amerikaner, eine Angriffsszene aus demselben Krieg und Aufnahmen der Demonstrationen während des G8-Gipfels im Mai 2003 in Genf.
So werden die erfahrbare Wirklichkeit, deren fotografisches Abbild und eine konstruierte mediale Realität vermischt. Sind es vor allem mediale Bilder, die unsere Vorstellung von Realität oft stärker beeinflussen als tatsächliche Ereignisse, und denen Prantauer misstraut, so sind es exakt diese, die sie ein weiteres Mal "objektiviert", indem sie diese in neue, fremde und doch vertraute Zusammenhänge stellt, das heißt mit realen und bekannten Bildern verschneidet und daraus eine weitere Ebene von Wirklichkeit und gleichzeitig Virtualität erzeugt. Der Betrachter fühlt sich schutzlos einer kalten, mittels scheinbar dokumentarischer Genauigkeit, präziser technischer Ausarbeitung und Verunklärung von Identitäten ausgelösten Gefahrenzone ausgeliefert, ein Eingreifen ist unmöglich. Auf ästhetisch hohem Niveau benutzt Prantauer subversiv suggestive Wirklichkeitsdarstellungen, indem sie diese ihrerseits camoufliert und den Betrachter damit irritiert. Gleichzeitig legt sie durch die Überprüfbarkeit des Wahrheitsgehaltes ihrer Arbeiten Strategien und Intention des Einsatzes der uns täglich überschwemmenden Bilderflut, entwickelt aus filmischem Rohmaterial von Kameraleuten, das entweder komprimiert oder in "Blow-up"-Schnittechnik ohne die Überprüfungsmöglichkeit deren Wahrheitsgehaltes übermittelt wird, offen.
Wir sehen also gleichzeitig die Phänomene der Fungibilität, der Austauschbarkeit bzw. der beliebigen Ersetzbarkeit, der Hybridität als Vermischung von Orten, Kulturen, Menschen und Aussagen, der Dislokation und der Simultaneität. Die Diskrepanz und Gleichzeitigkeit von physischem Dasein, unmittelbarer Berührung und medialer Präsenz unterstreicht sie mit einem Zitat von Klaus Theweleit 4), das sie als Eingangsszenario wählt. Mit dieser Textarbeit scheint sie uns einerseits den Eingang in die Räumlichkeiten zu verwehren, andererseits öffnet sie uns die Tür. Parallel dazu verweist sie durch die Ausschnitthaftigkeit auf die Manipulierbarkeit und lädt zur eigenen kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema Realität und Wahrnehmung ein.
Auch im Video "departure" verschneidet Prantauer selbstaufgenommene Szenen aus der eigenen Wohnung mit Ausschnitten von EU-Einsatztruppen, Demonstrationen, Landschaftsaufnahmen und Dokumentaraufnahmen ihrer Plakataktion vor dem Innsbrucker Bahnhof aus dem Jahr 2002. Bilder des notwendigen Abbruchs dieses in seiner Funktion veralteten Bahnhofs und Bilder kriegerischer Zerstörung neben solchen von alltäglichen Situationen werden von einem vermummten Jugendlichen, dem Sohn Prantauers, der sich zum Schluß als Träger eines Che Guevara T-shirts entpuppt, begleitet. Ihr Blick ähnelt einem hochsensiblen Zoom, der präzise und blitzschnell die Bandbreite von Mikro auf Makro bewerkstelligt und wir werden mit unterschiedlichsten Realitätsebenen konfrontiert, deren Koalition sie als Begriffssysteme konstruiert. So werden auch hier Bezüge zwischen realem Ort, öffentlichem Raum, urbaner Erinnerung, subjektiver Erfahrung, medialen Bildern und gesellschaftlichem Hintergrund in einer Art Zapping-Verfahren hergestellt und der Titel "far away here" in seiner Widersprüchlichkeit, die wir täglich leben, bestätigt.
1. Peter Weibel in: Vom Verschwinden der Ferne, Telekommunikation und Kunst, Köln 1990, S. 20
2. ebda. S. 25
3. ebda. S. 67
4. Klaus Theweleit, Der Knall, 11. September, das Verschwinden der Realität und ein Kriegsmodell, Frankfurt/Main und Basel 2002: "Bestimmte Realitätsarten gehen dauernd Koalitionen ein ... werden weiter Koalitionen eingehen zur Bestimmung, welche Realität realer ist als die anderen. Aber das sind Machtfragen, Diskursregelungen. Realer sein als eine einzige der anderen tut keine von ihnen nicht ... Es sei denn die kleine unscheinbare der Hautberührungen."