BKH GUTMANN: Im Schatten der Pore
Nach einem Gespräch mit Wilfried Skreiner
In der Ausstellung zeige ich hauptsächlich Arbeiten, die vor allem in den letzten zwei Jahren entstanden. Schon seit längerem sammle ich bewusst Zeitungen und Zeitungsausschnitte. Diese sind für mich Information, Bildinformation und Gestaltungsmaterial. In meiner Arbeit «Projektion« verwende ich das Zeitungsfoto eines Tischtennisspielers beim Service. Was mich fasziniert hat, ist der Mehrfachkontext des Spielers zum Ball, zum Gegner, zum Raum. Diese Verbindungen bestehen für mich zwischen dem Spieler und dem Ball darin, dass er ihn scheinbar nicht fixiert und doch genau weiß, wo er sich befindet; seine Beziehung zum Gegner ist in seinem Blick enthalten, aber nicht verifizierbar, da der Gegner nicht sichtbar ist; sein Blick gilt vielleicht dem Ball, dem Gegner oder jenem Wassertropfen auf dem Foto, in dem sich der Innenraum spiegelt. Dieses Lichtbild ist die linke Hälfte eines «Diptychons«, da ich diesem inszenierten Foto eine Holzwand anschließe, in der eine Wasserkugel eingelassen ist. Gleichsam eine Wiederholung und Vergrößerung des Wassertropfens in seiner Funktion, der im Durchblick den Innenhof der Galerie in Seitenverkehrung zeigt: Der Himmel ist unten, der Boden oben. Die unterschiedlichen Ebenen der Wirklichkeitsrezeption werden dadurch deutlich.
Die Wahrnehmung eines Bildes, die für uns vielfach durch den Bilderrahmen bestimmt erscheint, ist das Thema meiner Arbeit «Frame«. Bei der Reihung von 18 im Rasterblock angeordneten Tafeln jeweils in Din A4-Formaten, umrahmen 14 Sperrholztafeln (die Bilder suggerieren) vier Din-A4-Glasplatten im Zentrum. Diese vier Glasplatten habe ich nach der Braille’schen Blindenschrift mit den vier Buchstaben SKIN perforiert. Dahinter in der Wand habe ich mit demselben System die Buchstaben PORE gebohrt. Die Maserung und die Aste als Blickpunkte in den Holztafeln sind ein in das Werk integrierter Aspekt des Strukturalen, wobei das natürlich Gewachsene bewusst in das Werk unverändert übernommen wurde. Wie der Tischtennisspieler mit seinem Blick den Ball oder den Wassertropfen fixiert, so springt hier der Blick von den Astpunkten zu den Durchlöcherungen im Glas und in der Wand hin und her. Der Betrachter ist gezwungen, in einem ständigen Blickwechsel eine Zusammenschau zu versuchen. Als weiteres Beispiel möchte ich anhand meiner Arbeit «Trans (in spire)« meine künstlerische Vorgehensweise darlegen. Diese dreiteilige Arbeit besteht jeweils aus 18 Din-A4-Formaten. Im Mittelteil der Arbeit sind in die Glasplatten jeweils ein Buchstabe der Blindenschrift gebohrt, dahinter sind die Buchstaben feldmäßig in die Wand gebohrt: dies könnte als zusammenhängender Satz gelesen werden, wenn man die Lesung in der Wand beginnt und in den Glasplatten fortsetzt. So z. B. «From where you get the« in der Wand und «Inspiration« im Glas. Im linken Teil der Arbeit zeigt jede der 18 Farbfotografien unterschiedlich viele Wassertropfen. Durch ihre rasterartige Anbringung wird das ursprünglich gemeinsame Foto zum Gegenstand der Einzelbetrachtung, und erfährt eine, durch die starke Vergrößerung ermöglichte, neue Lesart. Ähnlich gehe ich in der rechten Arbeit vor, in der ich einen Ausschnitt einer Hautoberfläche fotografierte. Diese Vergrößerung und Aufrasterung in 18 Teile ruft einen Effekt hervor, der der Blindenschrift sehr ähnlich ist. Die Poren, Hautflecken und Sommersprossen werden zu «Lesezeichen«. Vom ursprünglichen Blick auf das Ganze nimmt das Detail unser Interesse in Anspruch und im Zurückschreiten erleben wir von den Einzelteilen her die Differenziertheit des Gesamtbildes neu. Ich möchte nur noch einige Hinweise geben, denn meine künstlerische Absicht ist die visuelle Erfahrung, was die gedruckte Sprache nicht in diesen Facetten vermitteln kann. Meine Arbeiten fordern den Betrachter auf, seine Aufmerksamkeit den dargebotenen Objekten zuzuwenden. Sie sind unprätentiös, meist unbeachtete Erscheinungsbilder, die für mich zum Ausgangspunkt, zum Arbeitsansatz werden. Der Staub, den die Zeit auf einer Fensterbank abgelegt hat, die reinen Stellen auf ihr, die durch die Wegnahme abgestellter Gegenstände dort sichtbar wurden, sind für mich formal, zeitlich und in der einprägsamen Gestalt ihres Entstandenseins Motiv genug für eine Installation. Ich habe dies fotografisch aufgenommen. Farbvergrößerungen davon wurden 7 mal geteilt und auf 7 Tischen in einem losen Arrangement aufgebaut. Der «Leser« kann aus den Negativformen auf die einst dagewesenen Gegenstände an ihrem ursprünglichen Platz schließen. Die Farbfotografie von solchen Beobachtungen, die in ihren Qualitäten noch eher mit dem Schwarz/weißen in Verbindung gebracht werden, transportiert somit einen dreidimensionalen Aspekt. Ähnlich verhält es sich beim Werk «Restinformation«. Diese Farbfotos in ihrer blockförmigen Anordnung gleichen im Wahrnehmungsvorgang im Grunde den vorher beschriebenen Arbeiten. Teile meiner Zeitungssammlung habe ich aus Platzgründen verbrannt. Der Vorgang faszinierte mich, indem ich während des Verbrennens immer weniger aber doch immer noch etwas lesen konnte. Bei diesem Prozess verfärbt sich das Zeitungspapier, es wölbt und verwindet sich durch die Hitze. Seiten und die auf ihnen vermittelten Informationen überlagern und verschieben sich in eine zufällige Konstellation, die gleichzeitig erfahrbar wird. Ich zeige Dinge vor, die aus einem Zusammenhang des Alltäglichen entnommen, vergrößert, oder auch durch Eingriffe verändert sind. Jenseits der geläufigen Bildwelt der Medien und ebenso jenseits der ephemeren Botschaft der Printmedien suche ich im Schatten der Pore nach dem Bild der Wirklichkeit. Dieses ist nur in der Vielschichtigkeit der Bezüge lesbar.