Land und Stadt . Ferne, Fremde, Heimat . Genre, Porträt und Akt . Auflösung
Alle anzeigen
Die Neue Galerie Graz sammelt Kunst ab dem Jahr 1800 bis zur Gegenwart, darunter von Anbeginn sehr viel Malerei, der auch in dieser Ausstellung eine hauptsächliche Aufmerksamkeit zukommt. Die Werkauswahl beschränkt sich aus Platz- und konservatorischen Gründen auf einen Bruchteil des gesamten Bestandes. Konzentriert werden Themenbereiche vorgestellt, die in der Sammlung stark vertreten sind.
Landschaft, Genre, Porträt und Körperbilder beschäftigen Künstler*innen seit mehr als 200 Jahren. Im Dialog stehen Positionen unterschiedlicher Epochen, die inhaltlich, aber auch formal zum Vergleich einladen. Anregend wirken neue Perspektiven, die zum Schauen, Erkennen und Sehen einladen. Im Nebeneinander verstärken sich die Bildwelten in der Dichte und ermöglichen neue Perspektiven auf die Sammlung.
Der lange als verbindlich geltende Kanon der Kunstgeschichte ist aufgebrochen, die Meistererzählung hat durch ihre Lücken Risse bekommen. Oft schon wurde die Malerei für tot erklärt und das Ende des Bildes diskutiert. Zahlreiche Publikumsrückmeldungen verdeutlichten 2024, dass der Prozess des Malens, die Wirkungen der Farben wie die Erfassung und Auflösung des Gegenständlichen im Bild das Publikum aber bis heute fasziniert.
Idealisiert, komponiert oder aus der Fantasie entsprungen, wollte man um 1800 das Leben der Menschen im Einklang mit der Natur propagieren. Im Biedermeier, zur Mitte des 19. Jahrhunderts, wurde die Landschaft zum Sehnsuchtsort im städtischen, bürgerlichen Wohnzimmer. Die Alpen wurden erklommen, bezwungen und zum touristischen Highlight. Als besonderes Bildmotiv wurde die Mühle gewählt, die nicht nur romantische Qualitäten hatte, sondern als Symbol für technischen Fortschritt auch für wirtschaftliches Wohlergehen stand.
Mit der Industrialisierung nahm die menschliche Inbesitznahme der Landschaft Tempo auf und befindet sich derzeit an einem Wendepunkt. Kriege zerstören Landschaften und befeuern den Klimawandel. Ressourcen sind nicht endlos verfügbar, Böden begrenzt. Wetterphänomene und Naturgewalten zeigten schon im 19. Jahrhundert stimmungsvolle Wettersituationen als zuweilen moralisierende Höhepunkte. Landschaft definiert auch Heimat und Zugehörigkeit, sie dient als Symbol für kulturelle Identität, Geschichte oder nationale Erinnerung. Der Erzberg in der Steiermark ist so ein ikonischer Ort, der als Motor wirtschaftlichen Aufschwungs zeit seiner Nutzung immer auch politische Bedeutung hatte. Stadtlandschaften hingegen sind Zeugen der zunehmenden Urbanisierung. Idyllische Ensembles, subjektive Stimmungslagen und Ausschnitte zeigen Metropolen, thematisieren aber auch das Kleinstädtische.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wird das realistische Landschaftsbild zunehmend zur abstrakten Farbbewegung. Die Natur verlagert sich nach innen und offenbart emotionale, geistige oder spirituelle Rückzugsorte, im Licht, in der Farbe oder in der Ungegenständlichkeit. In historischen Kontexten von Kriegen oder Aufständen wird die Stadt zur Projektionsfläche von Widerstand oder zur zerstörten Kulisse.
Im 19. Jahrhundert verschlug es Künstler*innen zusehends in die weitere Ferne. Vom Antikenstudium in Rom ging es weiter über das Mittelmeer nach Nordafrika oder in den Orient. Beeindruckt vom Licht, von Land und Leuten, wurden die zahlreichen Impressionen oft erst später im heimatlichen Atelier auf die Leinwand gebracht. Anziehend wirkte das Unbekannte, das Exotische, allen voran die Menschen, deren Hautfarbe sich von der eigenen unterschied. Dank der dort so besonderen Lichtverhältnisse fanden österreichische Künstler vergleichsweise nah in Szolnok (Ungarn) das „Exotische“ und gründeten dort um 1850 eine gut erreichbare Künstlerkolonie.
Durch die Weltausstellung 1873 in Wien waren ferne, fremde Kulturen auch in der Hauptstadt zu bewundern. Die Orientreisen von Kronprinz Rudolf ab 1881 beförderten die „Illusionsmaschine“ Orient noch zusätzlich. Während sich in Europa der Wohlstand durch Kolonialisierung, Industrialisierung, Wirtschaftswachstum und Marktwirtschaft in die Höhe schraubt, werden die eroberten und ausgenutzten Gebiete auch bestaunt und studiert. Migration von Ausgebeuteten, von Vertriebenen, auch aus Kriegsgebieten, lässt Genreszenen in verlassenen, kalten Landschaften entstehen. In zeitgenössischen, transkontinentalen Dimensionen von Reise und Welterfahrung bekommt der Blick von außen auf das „Eigene“ eine neue Facette. Was ist an „unserer Kultur“ für „andere“ interessant? Was bleibt vom „Eigenen“ eigentlich in der Ferne?
Soziale Fragen werden in fremden Kulturen verhandelt, aber auch im eigenen sozialen Gefüge. Szenen des täglichen Lebens werden in der Kunst als „Genrebilder“ bezeichnet. Tanz und reges Leben im Wirtshaus gehören hier ebenso dazu wie häusliche Szenen. Im Biedermeier sind diese Szenen besonders idyllisch inszeniert. Darstellungen von Armut werfen moralische Fragen des Teilens und Gebens in einer christlichen Bauernstube auf, um beim städtischen Bürgertum Empathie und Mitgefühl zu evozieren.
Auch das abgebildete vermeintliche Glück der Bauernfamilie will die Familie als Ort des Zusammenhalts festigen, geprägt vom Mutterglück, das das größte Glück der Welt zu sein scheint. Es ist nicht mehr die heilige Muttergottes, die als Bildmotiv vergöttert wird, sondern die einfache Frau vom Land, deren einzige Lebensaufgabe die harte Arbeit zum Wohlergehen ihrer Kinderschar zu sein scheint. Im Gegensatz dazu stehen jene porträtierten Frauen, die als elegante Damen modebewusst und stilsicher verewigt wurden. Besonders sind künstlerische Selbstporträts, die ausgehend von einer Selbstbefragung auch viel über den Stellenwert des Künstlers oder der Künstlerin aussagen.
Das Aktstudium war an der Akademie der bildenden Künste während der Ausbildung Pflicht, um körperliche Proportionen und Bewegungsabläufe genau zu studieren. Oft dienten Frauen als nackte Modelle, am Aktzeichnen durften sie aber aus moralischen Gründen bis 1920 nicht teilnehmen. Sie studierten ihren eigenen Körper in den wenigen in der Sammlung erhaltenen Beispielen vor dem Spiegel. Der männliche Blick auf den nackten weiblichen Körper unterscheidet sich zu dieser Zeit meist massiv davon. Abstrakter werden in der Folge Darstellungen von Körperempfindungen oder Datenbündeln.
Mit der Transformation des Körpers im Bild geht zeitlich auch die Erweiterung des Tafelbildes einher. Das Medium der Malerei erfindet sich neu. Das Material, die Textur und die Erscheinung der Farbe rücken ins Zentrum. Der weiße Ausstellungsraum wird zur Befragungsfläche für Bildform und Bildinhalt. Nun dominieren Linien und Gesten, das Abbild des Duktus, die plastische Farbe, die Möglichkeiten der Malerei als Spiel mit der Wirkung des Materials.
Grenzen zwischen Malerei, Skulptur, Installation und Medienkunst verschwimmen. Kunst wird immer mehr in ihren formalen Fragen diskutiert und damit zu einem Experimentierfeld. Die Eigenschaften unterschiedlichster Materialien werden ausgelotet, um zu sie zu Skulpturen zu formen oder sogar immateriell erscheinen zu lassen. Optische Effekte, die manchmal irritieren, erzeugen die Vorstellung von Bewegung, motivieren zum Betrachten aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Das Publikum ist eingeladen, selbst in Bewegung zu bleiben, sich zu beteiligen und vielleicht auch selbst zur Skulptur werden.