Am 12.April 1871 legte der Stiftsapotheker und Chemiker Alfred Siersch der Bezirkshauptmannschaft Murau einen Gesellschaftsvertrag vor, den Christian Gragger aus Neumarkt, Leopold Diller und er zur Erzeugung und zum Vertrieb von „Weißem Dynamit“ geschlossen hatten. Hierbei wusste er über die rigorosen Vorschriften der Sprengstofferzeugung Bescheid und zeigte sich über die Bewilligungen bestens informiert, die dem Dynamitfabrikanten Alfred Nobel bei der Anlage seines Werkes in Zamky bei Prag zugestanden worden waren.
Es galt vor allem noch zu klären, ob die Erzeugung von Dynamit nicht zu den Monopolrechten des Staates gehöre, die Bewilligung also dem Reichskriegsministerium zustehe, bevor die Bezirkshauptmannschaft darüber entscheiden kann. Ein geeigneter Standort außerhalb des Gefahrenbereichs – abseits von geschlossener Besiedelung und frequentierten Verkehrswegen – wurde in einem Gebirgskessel gefunden. Eine mächtige Bodenwelle schirmte den zwei Kilometer entfernten Markt sowie das Benediktinerstift ab.
Am 04. November 1871 erfolgte schließlich die Konzessionsverleihung. Ein von der Gemeinde eingebrachter Rekurs, wonach einer Gemeinde bei Errichtung einer „wahren Höllenfabrik“ doch eine Garantie gegeben werden müsse, dass für sie im Unglücksfalle keine finanzielle Last entstehe, blieb erfolglos.
In St. Lambrecht wurde ein Nitroglycerinpräparat, in dem Nitroglycerin mit Bergkreide und nitritierten Sägespänen als Aufsaugstoffe vermengt waren, produziert. Für die Zulassung zum Transport auf den Eisenbahnen waren jeweils gesonderte Genehmigungen des Handelsministeriums einzuholen.
Die Fabrik begann unter der Firmenbezeichnung „k.k. privilegierte Dynamit-Fabrik von Gragger & Comp. in St. Lambrecht“. Alfred Siersch, der eigentliche Initiator, sollte nur bis Februar 1872 Gesellschafter bleiben. Nachdem er sich erfolgreich in den Patentprozessen gegen Alfred Nobel geschlagen hatte, wurde er schließlich Direktor der Nobel Dynamitfabrik in Preßburg/Bratislava.
1877 trat Carl Borckenstein in das Unternehmen ein, das nun als „Rhexit- und Dynamitfabrik Borckenstein & Co“ firmierte. Zehn Jahre später ging der Betrieb samt allen Konzessionen an die Aktiengesellschaft „Dynamit Nobel in Wien“ über.
Die industrielle Sprengstofferzeugung prägt seither neben der Holzverarbeitung die wirtschaftliche Entwicklung des höchstgelegenen Marktes in der Steiermark.
Das Werk mit rund 150 Mitarbeitern wurde im Juni 2003 von der Austin Powder International, einem Sprengstoffkonzern mit mehreren Stützpunkten in Nord- und Südamerika sowie Europa, übernommen. Die Betriebsstätte in St. Lambrecht war bis dahin das älteste Werk des österreichischen Sprengstoffherstellers Dynamit Nobel Wien. Der US-Konzern Austin Powder wurde 1833 gegründet und ist nach eigenen Angaben die älteste Sprengmittelfirma. Nach St. Lambrecht wurde sogar das Europa-Headquarter verlegt, wo heute u.a. Sprengstoffe für den Tunnelbau oder Ladungspulver für Airbags hergestellt werden.
Quellen:
Franz Pichler, Die Anfänge der Dynamitfabrik St. Lambrecht, Sonderbände der Zeitschrift des Historischen Vereines für Steiermark 14 (1967);
Obersteiermark: Dynamitwerk „flog in die Luft“, in: Wiener Zeitung vom 11.03.2008