Kirchen und Klöster im Mittelalter

Ulrich Becker

Für die mittelalterlichen Menschen steht die irdische Welt in Bezug zu einer größeren: Paradies und Wohnstätte Gottes, der segnend und strafend in das tägliche Leben eingreift. Zugang zu dieser göttlichen Welt stellt allein die katholische Kirche in Aussicht, was ihr über Jahrhunderte eine besondere Stellung einbringt.

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Für die mittelalterlichen Menschen steht die irdische Welt in Bezug zu einer größeren: Paradies und Wohnstätte Gottes, der segnend und strafend in das tägliche Leben eingreift. Zugang zu dieser göttlichen Welt stellt allein die katholische Kirche in Aussicht, was ihr über Jahrhunderte eine besondere Stellung einbringt.

Sie verfügt damit über ein einzigartiges Monopol, das bis zur Aufklärung unter Joseph II. (1780-1790) keine geistliche Konkurrenz duldet: „extra ecclesiam nulla salus – außerhalb der Kirche kein Heil“. So kommt ihr im Rahmen der mittelalterlichen Sozialordnung, der „Lehre von den 3 Ständen“, die Spitzenstellung zu: „tu ora- du bete“. Dem Ritter hingegen ist der militärische Schutz des Landes sowie der weitgehend unfreien Bevölkerung aufgetragen: „tu protege – du schütze“. Bauer und der später hinzukommende Stadtbürger haben mit ihren Familien unablässig für das Wohlergehen des Landes zu arbeiten: „tu labora – du arbeite“.

Doch die Kirche ist nicht nur Vermittlerin ins Jenseits. Innerhalb der uns bekannten Welt spannt sie ein Netzwerk, das sich über den ganzen Kontinent erstreckt und den Austausch von Wissen über alle politischen Grenzen hinweg möglich macht. Nationalstaatliches Denken ist der Kirche - wie dem ganzen Zeitalter- völlig fremd. Die Kirche sieht sich als Abbild und Garant einer überzeitlichen, ewigen Welt, die den vielfach chaotischen, nicht selten von Willkür geprägten Machtverhältnissen bzw.  Lebensbedingungen v.a. im frühen Mittelalter den Gedanken einer unverrückbaren universalen Ordnung (lat. „ordo“) entgegensetzt.

Auf dem Gebiet der mittelalterlichen Steiermark – wie in Österreich überhaupt - ist die Kirche v.a. durch zahlreiche Klöster präsent. Miteinander konkurrierende Bischofssitze gibt es nicht, demzufolge auch keine „Kathedralenlandschaft“ wie z.B. in Frankreich. Die für das mittelalterliche Österreich entscheidenden Impulse gehen von den Bistümern im Westen bzw. Nordwesten aus, v.a. Salzburg für den Alpenraum.  Bezeichnend sind die zahlreichen, weit verstreuten Besitzungen, die diese geographisch weit entfernten Bischofssitze in der Steiermark (z.B. das bayerische Freising in Oberwölz) wie Kärnten (z.B. das oberfränkische Bamberg in Villach) unterhalten. Für die buntscheckigen territorialen Verhältnisse innerhalb des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“, auch „Altes Reich“ genannt, ist diese Situation typisch.

Klöster sind nicht nur Stätten der Glaubenserziehung und Wissenschaftspflege, sondern, ganz irdisch, überaus selbstbewusste Grundherren. Mit ihren Ländereien (Gutshöfe, Mühlen) und Niederlassungen in den Städten sind sie im ganzen Land vertreten sind. Für dessen weitere Entwicklung nehmen sie eine kaum zu überschätzende Pionierrolle ein: Ihr unmittelbares räumliches Umfeld verändern sie nachhaltig durch Rodungen und landwirtschaftliche Erschließungen.

Klosteranlagen, Pfarr- und Wallfahrtskirchen sind einerseits funktional angelegt, andererseits gebaute Abbilder einer überzeitlichen Welt, deren materielle Qualität sie aus der Masse der oft sehr einfachen Behausungen heraushebt und sie zu fixen Orientierungspunkten, atmosphärischen Festorten werden lässt.

Wie verbreiten sich die Orden in Europa?

Zu Beginn des 12. Jahrhunderts ist Europa in Bewegung: Städte werden gegründet, ganze Regionen neu besiedelt. Die Landesherren, denen v.a. an der Stabilisierung ihrer Territorien und der Festigung ihre Macht gelegen ist, betreiben auf weltlichem wie geistlichem Gebiet genau das, was man heute „Standortförderung“ nennt.

Daran haben auch die Klöster erheblichen Anteil. Sie kennen buchstäblich keine Grenzen. Von einer Zentrale aus gesteuert, bilden sie bald dichte, in „Kongregationen“ unterteilte Netzwerke, die weite Teile des Kontinents umfassen und erschließen. Zwischen den Niederlassungen der Orden entsteht ein reger Austausch von Menschen, Ideen und Wissen.

Aber nicht nur geistliche Macht und intellektuelle Regsamkeit sichern den Erfolg der großen Klöster. Ihr hoher Bildungs- und Organisationsgrad machen sie zu begehrten Partnern der Grund- wie Landesherren, auch auf dem immer wichtiger werdenden Gebiet der Verwaltung. Klöster sind vieles, nicht zuletzt bedeutende Wirtschaftsstandorte: Zur Klosteranlage gehören ausgedehnte landwirtschaftliche Betriebe. Sie werden von Mönchen dirigiert, aber von Laien in Gang gehalten, die im Getreidespeicher, in Mühlen, Ställen, Brauhäusern und Backstuben arbeiten.

Heilige Netzwerke universal. Das Europa der Zisterzienser

Als Beispiel für die europaweite Ausdehnung der Orden sollen die Zisterzienser dienen: Von Ostfrankreich ausgehend, breitet sich der Orden des hl. Bernhard von Clairvaux auf dem Kontinent aus.  Es handelt sich eine Reformbewegung des Benediktinerordens, die v.a. gegen Verweltlichung und laxe Lebensführung ankämpft. Die Folgen sind gewaltig: Die westeuropäischen „Mutterklöster“ gründen Ableger in Mittel- und Südeuropa, aus denen wiederum zahlreiche neue Niederlassungen hervorgehen, sogenannte „Tochterklöster“: Dieses System der „Filiationen“ ist streng hierarchisch angelegt und eine der folgenreichsten Netzwerkbildungen und Raumerschließungen in der europäischen Kulturgeschichte.

Wie entwickelt sich die Klosterlandschaft in der Steiermark?

Die großen Mönchsorden prägen das Land, lange bevor Marktsiedlungen und Städte entstehen: Der Benediktinerorden, ohnehin Pionier des abendländischen Mönchtums, bildet den Auftakt. Sein weiblicher Zweig besiedelt um 1000 das Stift Göss, während die Marktsiedlung Leoben erst 1173 erwähnt wird. Bis zum Ende des 11. Jahrhunderts hat der Benediktinerorden mit Admont und St. Lambrecht zwei bedeutende Zentralen in der Obersteiermark gegründet.

Die beiden Niederlassungen der Zisterzienser fallen in eine Blütezeit des Ordenswesens, als auch der Aufschwung der noch jungen Städte einsetzt. Wie eine bekannte Redewendung besagt, bevorzugen die Zisterzienser stille Täler mit nutzbaren Bächen. Sichtbar wird dies bei den Standorten von Stift Rein und dem erst im 14. Jahrhundert gegründeten Stift Neuberg an der Mürz. Hier wächst dank aktiver Förderung des Landesherrn, zuletzt Kaiser Friedrichs III., der bedeutendste hochgotische Kirchenbau der Steiermark empor. Unmittelbares Vorbild ist der Hallenchor des Zisterzienserkloster Heiligenkreuz bei Wien, woher die besiedelnden Mönche berufen worden sind.

Die Augustiner Chorherren sind ein aktiver Seelsorgeorden, der 1143 seine früheste steirische Niederlassung von St. Marein bei Knittelfeld nach Seckau verlegt. Ab dem frühen 13. Jahrhundert wird von hier aus die steirische Diözese geführt. Erst seit dem 18. Jahrhundert residiert der Oberhirte des Landes in Graz. Weitere Gründungen des Ordens sind in Pöllau, Vorau, Stainz und Rottenmann.

Ein Sonderfall ist der Orden der Kartäuser, der seine Ursprünge ebenfalls in Frankreich hat. Die rein kontemplative Lebensführung, die einer der strengsten Ordensregeln überhaupt unterliegt, befähigt die Mönche zu einer eminenten Wissenschaftspflege, befördert. Ihre bewusst entlegen gewählten Standorte liegen in der ehemaligen Untersteiermark: Žiče/Seitz, dessen Bibliothek legendären Ruf genießt, und Jurklošter/Gairach. Hier entstehen ab der Mitte des 12. Jahrhunderts die Ordensniederlassungen, die systematisch angelegten „Kartausen“.

Heilige Netzwerke regional. Steirische Klöster und ihre Besitzungen

Einzelne Klöster sind vor allem über ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten im gesamten Gebiet der Steiermark präsent. Davon zeugt etwa das dem Stift Admont gehörende Weingut „Dveri-Pax“ bei Jarenina, das ehemals in der Štajerska, heute in Slowenien liegt. Auch in der Hauptstadt ist Admont präsent, wie der bis heute bekannte „Admonter Hof“ in der Grazer Innenstadt belegt. Im späten 13. Jahrhundert errichtet, dient er dem Abt und den Benediktinermönchen als Wohnstätte in der Stadt. In ähnlicher Weise errichtet sich das Stift St. Lambrecht den „Lesliehof“ in der Raubergasse als Stadtresidenz, die den weltlichen Adelspalais in der Nachbarschaft in Aufwand und Umfang kaum nachstehen. St. Lambrecht ist es auch, das im 12. Jahrhundert mit Mariazell den entscheidenden Impuls für ein grenzüberschreitendes Wallfahrtswesen setzt und eines der bedeutendsten Pilgerzentren Europas begründet.

Wo siedeln sich Klöster an?

Klosterstandorte werden nicht willkürlich gewählt. Wie Burgen sind Klöster die Großprojekte ihrer Zeit, deren Realisierung Planung und Logistik verlangt. Erste Voraussetzung für eine Gründung ist ein landesherrliches Privileg, das „verbrieft“, also verschriftlicht sein muss. Das Interesse eines Landesherrn an einer Klosterniederlassung liegt nicht zuletzt darin, dass die Mönche dank ihres Bildungsvorsprungs ebenso kompetente wie effiziente Partner für die Erschließung ganzer Regionen sind. Für die geistlichen Gemeinschaften muss die künftige Lage zur Lebensweise passen, wie sie die jeweilige Ordensregel festlegt. 

Ein weiterer Aspekt ist die Wirtschaftlichkeit: Klöster sind Grundbesitzer und damit autarke Großbetriebe. Wo sie sind, werden Wälder gerodet und Felder angelegt. Wasserreiche Täler werden für die Fischzucht genutzt. Mönche agieren dabei als Agrarmanager. Für die Umsetzung ihrer Konzepte und Vorgaben sorgen die Arbeitnehmer*innen der damaligen Zeit: die unfreie bäuerliche Bevölkerung.

Interview mit Mija Oter Gorenčič

Intervju: Dr. Mija Oter Gorenčič

Wie steht es um die Funktionalität der Klosterarchitektur?

Klöster entfalten ihre Wirkung nicht nur im Raum, sie sind konkrete Orte mit klar bestimmten Funktionen. Ihre baulichen Anlagen dienen der geistlichen Lebenspraxis, dem Gottesdienst und Gebet. Sie dienen aber auch als dauerhafte Wohn- und Arbeitsstätten für ihre hierarchisch gegliederten Mitgliedergruppen: Über allen steht der Abt bzw. Prior, der die oberste Autorität ausübt. Die Patres übernehmen als Geweihte pastorale Funktionen und betreiben in den klostereigenen Bibliotheken intensive Wissenschaftspflege. Ihnen untergeordnet sind die ungeweihten „Laienbrüder“. Sie verrichten handwerkliche und landwirtschaftliche Arbeiten, „niedere Dienste“, ohne die jedoch ein Kloster als unabhängiger Wirtschaftsbetrieb undenkbar ist.

Die bauliche Hierarchie entspricht der personellen: Während dem Abt eine eigene Wohnung zusteht, leben die Mönche in eigenen Trakten mit Zellen und gemeinschaftlichem Schlafsaal. Der Kreuzgang dient zur religiösen Übung. Als zentrales Erschließungssystem ermöglicht er zudem den Zugang zu weiteren Nutzräumen wie dem Kapitel- und Speisesaal. In der Klosterkirche finden sich alle Mönche zu fixen Stunden im eigens abgetrennten Altarraum zum Chorgebet ein.

Interview mit Benedikt Plank

Eine geistliche Stadt: Stift Göss bei Leoben

Um 1000 wird das ehemalige Benediktinerinnenstift Göss vom Stift Nonnberg/Salzburg aus besiedelt. Es ist damit die älteste steirische Klostergründung und steigt schon 1020 zur Reichsabtei auf: ein Raum eigenen Rechts, einer Stadt vergleichbar und nur dem Kaiser untertan. Das Kloster ist aber auch ein geschlossener sozialer Raum: Über Jahrhunderte erzieht und versorgt der steirische Adel hier seine Töchter, denn Nonne kann in Göss nur werden, wer adeliger Abstammung ist. Im späten 15. Jahrhundert wird das Kloster befestigt, im 16. und 17. Jahrhundert finden weitere Umbauten statt.

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Thron und Liturgie. Dreisitz

Wer sitzt, ist wichtig: Ein Dreisitz, auch Session genannt, ist ein liturgisches Möbel mit drei Klappsitzen, hoher Rückwand und Baldachin. Darin spiegelt sich die strenge, auch im Gottesdienst gültige Hierarchie: Diakon und Subdiakon flankieren den Zelebranten. Die Rückwand zeigt das „Bernhardswappen“ (fiktiver Verweis auf den Ordensgründer), das Abteiwappen (Verweis auf Maria, der alle Ordenskirchen geweiht sind) und das Abtswappen (Verweis auf den Auftraggeber). Der Neuberger Dreisitz entsteht unter Abt Oswald Staindl (reg. 1513‒1527) und wurde vermutlich nach süddeutschen Mustern in einer steirischen Werkstatt gefertigt. Solche Möbel sind äußerst selten. Er entspricht funktional wie bautechnisch der mittelalterlichen Tradition, gehört aber formal bereits der frühen Renaissance an, deren Einfluss um 1520 in Mitteleuropa spürbar zunimmt. Weltlicher Dekor wie die antikisierende Bemalung und sakrale Funktion finden zu bruchloser Einheit.

Wie wird der liturgische Raum zum Festraum?

Kirchliche Liturgie ist nicht nur „Dienstleistung“, die von der Routine des Kirchenjahres bestimmt wird. Die Messfeier soll den himmlischen Raum erahnen lassen. Ein Erlebnis, das alle Sinne anspricht, mit Licht und Farben, Chorgesang und Weihrauch. Eine Suggestion des Paradieses.

Ist der Kirchengebäude in all seiner Imposanz selbst „statisch“, so kommt durch die liturgische Feier, unterstützt durch Kleidungs- und Verhaltensmaßregeln für die Akteure der Feier, die „Zelebranten“, ein dynamisches, ja theatralisches Element hinzu, zumal der mittelalterliche Kirchenraum keine fixe Bestuhlung für die Masse der Laien kennt. Es unterliegt festen Regeln und ist auf mehrere Schauplätze verteilt: die im Chor zum gemeinsamen Gebet im Gestühl versammelten Mönche, die Messfeiern an den zahlreichen Altären, wobei der umfangreiche, aus kostbarem Material mit enormer Kunstfertigkeit erstellte Kirchenschatz, die sog. „heiligen Geräte“ (lat.„vasa sacra“) funktional zum Einsatz kommt.

Prozessionen finden auch innerhalb der Kirche statt, die genau festgelegten Gesten des Zeigens wie v.a. das Emporhalten der Hostie bei der Wandlung, die sog. „elevatio“. Diese Skala von ständig wiederholten Riten ist über Jahrhunderte im kollektiven Bewusstsein umso fester verankert, als der Großteil der Bevölkerung aus Analphabeten besteht.

Für die grundlegenden, im Range eines Sakraments stehenden Riten wie Taufe, Trauung und Beichte existieren in der Kirche und ihrem räumlichen Umfeld eigens zugerüstete Orte: allesamt unentbehrliche Lebensstationen für jeden Laien.

Zum Sehen tritt das Hören:  Begleitet wird all dies von einer immer anspruchsvolleren Vokal- wie Instrumentalmusik - unablässige Suggestion plötzlicher Gegenwart des Schöpfers, Das Auge muss sehen, was das Herz glauben soll.  Dieses geschlossene, nahezu choreographische System von Gesten und Bewegung liegt einer rituellen Kommunikation zugrunde, wie sie über Jahrhunderte zum festen Bestandteil des allgemeinen Lebensrhythmus wird. Dazu zählt neben dem sonntäglichen Kirchgang die Teilnahme an ausgedehnten Wallfahrten, eine aktive physische Leistung, wie sie im Rahmen der Spende des Bußsakraments immer wieder aufgetragen wird.

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Die tönende Himmelsstadt. Orgeln im Mittelalter

Eine überirdische Welt, die das Volk staunen machen soll: Um 1500 wird die romanische Basilika von Seckau zu einem Raumwunder. Initiator all dessen ist Propst Johannes Dürnberger, ein überaus selbstbewusster geistlicher Mäzen, der dem traditionellen steirischen Bischofssitz mit seiner mächtigen, aber schlichten romanischen Basilika ein zeitgemäßes Äußeres geben will. Das Schauspiel der Liturgie wird nun von einem ebenso prunkvollen wie kostspieligen Netzgewölbe überhöht, das dem Auge reichlich Nahrung spendet. Und auch das Ohr wird bedient: Eine große Orgel führt ins Reich der Klänge. Ihr geschnitztes Gehäuse mit üppiger spätgotischer Zier, einzigartig im Land, hat die Zeitläufte mehr oder weniger überstanden.

Spätgotische Orgeln, wie sie in Europa um 1500 vielfach gebaut werden, können große Ausmaße annehmen. Optisch funktionieren sie wie gewaltige Flügelaltäre: Das empfindliche Werk wird in der nach Gebrauch durch große bemalte Holzflügel geschützt. Auch die Seckauer Orgel hat solche Flügel besessen.

Kirchenbau und Netzwerk der Pfarren

Pfarrnetz

Die Klöster sind das eine, für die geistliche Versorgung der Bevölkerung braucht es ein Netz von Pfarrkirchen. Das Mittelalter stattet ganze Landschaften mit Gotteshäusern aller Art und Größe aus. Dahinter stehen die wirtschaftliche Potenz und die Freizügigkeit regionaler Mäzene: Wer auf sein Seelenheil bedacht ist und es sich leisten kann, stiftet Geld zum Bau oder trägt zur Ausstattung bei. Nichts ist so prestigeträchtig wie der Kirchenbau. Für den Klerus sind Kirchen ein ideales Instrument, sich weithin sichtbare Geltung zu verschaffen. Seine führende Stellung in der mittelalterlichen Sozialordnung wird im Wortsinne sichtbar.

Neben das Prinzip von Macht und Selbstbewusstsein tritt eine ökonomische Grundtatsache: Der Kirchenbau braucht Fachkräfte. Diese beweisen mit jedem Gewölbe und jeder dekorativen Gestaltung ihr technisches Können und akquirieren mit jeder Kirche neue Kunden. In die Geschichte eingeschrieben hat sich die „Admonter Bauschule“, die die wohlhabende Obersteiermark mit anspruchsvollen Sakralbauten prägt. Auch hier kommen wichtige Impulse von außen, vor allem aus dem bayerisch-salzburgischen Raum.

Kirchen überall

Zahl, Größe und Qualität von Kirchenbauten sind ein untrüglicher Hinweis auf die geistliche Prägung einer Region und die Finanzkraft adeliger, geistlicher und bürgerlicher Mäzene. In der wohlhabenden Handelsstadt Murau zeigt sich die gotische Hauptkirche als gewölbte Basilika mit Vierungsturm auf der Höhe der Zeit. Technische Niveausteigerung gilt auch für kleinere Kirchen. Allein der Umgang mit Werkstein und die Beherrschung der gotischen, durch die Hüttentradition verbreiteten Bauformen belegen ein hohes Niveau im spätmittelalterlichen Sakralbau, der im 15. Jahrhundert eine Blütezeit erlebt. Die baulichen Netzwerke entwickeln sich analog zu den geistlichen, in deren Dienst sie stehen. 

Auch hier ist Kommunikation alles: Durch Empfehlung gelangen einschlägig ausgewiesene Baumeister und Handwerker an Aufträge, eine Fachelite mit eigenem Selbstbewusstsein, die sich durch eingeritzte Zeichen oder gar gemeißelte Porträts am Kirchengebäude verewigt.

Raum im Raum. Beichtstuhl

Die steirische Kirchenlandschaft des Mittelalters kündet von den Ambitionen ihrer Auftraggeber, sie schafft aber auch den gebauten Rahmen für die religiöse Betreuung und geistige Kontrolle der ländlichen Bevölkerung. Ausgangspunkt sind sogenannte Mutter- oder Urpfarren, die ganze Netzwerke weiterer Pfarrgründungen zur Folge haben. Sie ermöglichen die systematische kirchliche Durchdringung größerer Räume und die Einrichtung von Pfarrstellen für einen regionalen, volksnah agierenden Klerus. Für die ländliche Bevölkerung markiert der weithin sichtbare Kirchturm die Gegenwart einer solchen „Glaubensstation“, der einen Fixpunkt im sozialen Leben darstellt. 
Im weiteren Umfeld einer Pfarrkirche finden sich auch sog. „Filialkirchen“, die extern betreut werden. Ungeachtet ihres untergeordneten Status können sie je nach Mäzen eine stattliche bauliche Form annehmen.

Im Inneren geben die Kirchen einen würdevollen, bisweilen aufwendig mit Altären ausgestatteten Rahmen für die Messfeier. Sie sind klar strukturiert. Es ist ein Raum, in dem alle ihren Platz haben und klare Rechte und Regeln gelten. Das gilt für den Altarraum, die Kanzel, das Kirchenschiff oder die Sakristei. Eigenen Gesetzen gehorcht auch der Beichtstuhl. 

Beichtstühle sind exklusive Räume im Kirchenraum, Orte des Bewahrens von Geheimnissen jenseits irdischer Strafandrohung. Dafür braucht es den physisch gebauten und abgeschlossenen Raum offenbar nicht: Um 1600 sind Beichtstühle noch einfache Möbel ohne Abschirmung von Beichtenden und Priester. Die Inschrift lässt die Gottesmutter als Fürsprecherin auftreten: „Maria peichtet dem Herrn deine Sünde es ist gut gepeichtet seiner Mutter dan ihr Parmherzigkeit weret ewiglich.“

Mit dem Wiederaufleben der Beichtpraxis im Zeichen der Gegenreformation meldet sich der Klerus in seiner Vermittlungsfunktion zwischen irdischer und himmlischer Welt sichtbar zurück. Mag das Möbel noch so einfach sein, es ist zugleich ein Symbol für den Wiederaufstieg des Klerus nach einer langen Phase des Niedergangs in der Ära der Reformation.

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