Das erste Warenhaus der Steiermark

Bettina Habsburg-Lothringen

Im Jahr 1873 gründen Carl Kastner und Hermann Öhler in Troppau, heute Opava/Tschechien, eine Kurzwarenhandlung. Zehn Jahre später eröffnen sie eine Niederlassung in der Grazer Sackstraße 7. 1913 entsteht dort ein für die gesamte Monarchie herausragendes Warenhaus und für Graz einer der zentralen Orte der städtischen Konsumkultur.

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Der folgende Beitrag zeigt die frühe Geschichte des ersten Warenhauses im Land und widmet sich der Architektur und Inszenierung der Waren, den Protagonistinnen und Protagonisten des Konsums, der Praxis und den Ritualen des Einkaufs, dem städtischen Umfeld von Kastner & Öhler sowie dem Versandhandel.

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Warenhaus und Museum

Warenhaus und Museum waren im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert in vielerlei Hinsicht vergleichbare Institutionen und beeinflussten sich wechselseitig. Beide sorgten mit neuartigen Architekturkonzepten für Aufsehen. Beide sprengten die Grenzen des Regionalen, indem sie Dinge aus der ganzen Welt versammelten. Im Museum wie im Warenhaus ging es um Zurschaustellung, Anpreisung und Vermittlung mithilfe von Geschichten und Atmosphären, an beiden Orten um Vergleich und Bewertung, Vereinnahmung und Überzeugung, um gefühltes Wissen und den gefühlten Überblick.

Funktionale Architekturen

Städte ohne Museen und Warenhäuser sind heute nicht vorstellbar. An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstanden sie als öffentliche Räume und moderne Funktionsbauten neu. In einer Phase des Übergangs waren sie in der alten Zeit verankert und wiesen gleichzeitig in eine neue: Während ihre Architekturen durch historische Versatzstücke geprägt waren, legten ihre Erbauer mit der Einbeziehung neuer Technik ein Bekenntnis zur Zukunft ab. Wie Bahnhöfe, Fabriken oder Grandhotels auch, zeichneten sich Museen und Warenhäuser – so Alexa Geisthövel und Habbo Knoch – durch eine neuartige Strukturierung ihrer Innenräume aus, die im Hinblick auf die Erfüllung neuer, konkreter Funktionen organisiert waren. Ihre Architektur und Gestaltung prägte zum einen die räumliche Erfahrung und Wahrnehmung, zum anderen das Miteinander der modernen Menschen: ihre Art einander zu begegnen, in Beziehung zu treten und Distanz zu wahren.

1895 wurde in der Neutorgasse das Culturhistorische und Kunstgewerbe-Museum, ein Neubau im Neobarockstil mit kuppelgekröntem Mittelbau und zwei Flügelbauten eröffnet. Kuppelsaal, Galerien und Stiegenhaus waren künstlerisch reich ausgestattet, während die Ausstellungsräume ohne Schmuck blieben. Die Präsentation der Sammlungen erfolgte auf drei Ebenen und in Abteilungen untergliedert: Neben geschichtlich wertvollen Objekten und historischen Wohnräumen wurden u. a. kirchliche Kunst und kunstgewerbliche Mustersammlungen gezeigt. „Für sämtliche Musealräume wurde die Luftheizung eingeführt“, eine „Installierung für elektrische Beleuchtung“ war teilweise vorgesehen. (JB 1895, 66)

1912/13 schloss Kastner & Öhler mit einem Neubau in der Sackstraße an die neue, funktionale mitteleuropäische Warenhausarchitektur an. Bezeichnend für das Gebäude waren die Integration diverser Abteilungen und Warengruppen auf mehreren Etagen, der Verzicht auf Trennwände, die Lichtversorgung durch ausgedehnte Fensterflächen, die Unterbringung von Lager- und Verwaltungsbereichen sowie der Einsatz neuer Technik. Großzügige Treppenhäuser und Liftanlagen ermöglichten die rasche Zirkulation des Publikums.

Repräsentative Architekturen

Museen und Warenhäuser sollten nicht nur funktional sein, sondern auch die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit erregen: Ihre tempelartigen Architekturen, die dekorativen Fassaden und Leuchtreklamen zogen die Zeitgenossen an. Im Inneren entstand durch großzügige Säle, ausladende Treppenhäuser oder prächtige Lichthöfe und Kuppeln eine exklusive Raumsituation, die die Bedeutung der Institutionen hervorstrich und sie in den Kreis der städtischen Sehenswürdigkeiten hob. Museen und Warenhäuser waren aber mehr als das: Mit ihren Inhalten und Angeboten transportierten sie die Weltbilder und Wertehaltungen bestimmter gesellschaftlicher Eliten: Im Museum, in einer von oberster Stelle legitimierten Instanz, wurden Geschichtsbilder und Heldengeschichten produziert und Vorstellungen einer erstrebenswerten Gegenwart und Zukunft definiert. Im Warenhaus dagegen wurde festgelegt, was als geschmackvoll, modern und erstrebenswert galt. Beide Einrichtungen wurden so zu Identitätsagenturen,die ihrem Publikum neue Antworten auf die Fragen „Woher komme ich?“, „Wer bin ich?“, „Wer möchte ich sein?“ anboten.

„Es ist nicht zu viel gesagt, daß unser Warenhaus in seiner jetzigen Gestalt die größte Handelsstätte für die gesamten Alpen- und Küstenländer ist und nur gleichnamigen Unternehmungen in den größten Weltstädten des Kontinents und Amerika an die Seite gestellt werden kann. Zugleich ist unser Neubau eine erstklassige Sehenswürdigkeit, die jeder Fremde gerne und zu aller Zeit aufsuchen wird, um daselbst ein Stück modernes, aufstrebendes Graz kennenzulernen.“ (Illustrierter Modewaren-Bericht 1914)

„Das Culturhistorische und Kunstgewerbe-Museum wurde im Jahr 1895 durch den Kaiser eröffnet und bildet eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges.“ (Steirische Wanderbücher I: Graz und Umgebung, 4. verbes. Auflage, Graz 1898)

Objekt/Ware

Der Begriff Ware bezeichnete um 1900 alles, was Gegenstand des Handels und Mittel zur Bedürfnisbefriedigung war: nützliche Dinge, die einen Gebrauchswert hatten, käuflich erworben und konsumiert werden konnten. Die Hinwendung zur Ware war grundsätzlich frei, wurde aber über Reklame gesteuert. Waren existierten nicht als Einzelstücke, ihr Angebot wurde gewöhnlich über die Nachfrage bestimmt. Die Weiterentwicklung eines Produkts führte gemeinhin zum Verschwinden des Vorläufermodels. Ein Vergleich des Alten mit dem Neuen war im Warenhaus nicht möglich. Grundsätzlich kann jede Ware museales Objekt werden. Das heißt, es wird aufgrund seiner Seltenheit, Ästhetik und Ausführung oder auch, weil es das Regelhafte, Typische und Ordnungsbelegende repräsentiert, aus dem Kreislauf des Verkaufens und Verbrauchens herausgenommen und in eine museale Sammlung aufgenommen. Im Museum steht ein Ding nicht mehr für sich. Es verweist – wie Krzysztof Pomian beschreibt – als Zeuge auf etwas, das außerhalb seiner selbst liegt, und ist als solcher schützenswert: Die Erhaltung von Objekten führt dazu, dass im Museum das Gestern mit dem Vorgestern und Heute verglichen werden kann.

Der Puppenkopf aus (Biskuit-)Porzellan mit der Inventarnummer 20.103 ist ein Objekt aus der Sammlung des Volkskundemuseums und war ursprünglich Teil einer Gliederpuppe aus der Porzellanfabrik des Armand Marseille, der ab 1884 Puppen in Sonneberg, Deutschland, produzierte. Eine genaue Datierung fehlt, Modelle dieser Art waren aber um 1900 verbreitet und konnten in Spielwarenhandlungen käuflich erworben werden. Aus Grazer Privatbesitz übernommen, kam das Stück 1980 ins Joanneum. Spielzeug gehört, weil es die Lebensumstände von Kindern zu verschiedenen Zeiten dokumentiert, traditionell zu den Interessensgebieten der Volkskundler/innen. Eine weiterreichende Hinwendung zur industriell geprägten Alltagskultur ist dagegen relativ neu. Massenhaft gefertigte Konsumgüter aus den Kontexten Wohnen, Arbeiten oder Bekleidung werden in der Volkskundlichen Sammlung des Joanneums erst seit den 1980er-Jahren berücksichtigt.

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Zeigepraktiken

Die musealen wie kommerziellen Präsentationsweisen des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts beeinflussten sich wechselseitig: Die Industrie-, Gewerbe- und Weltausstellungen nahmen Erfahrungen der Jahrmärkte, Messen und Museen auf und prägten mit ihren Vermittlungsstrategien die kommenden kulturhistorischen Ausstellungen, kommerziellen Erlebniswelten und Warenpräsentationen wesentlich mit. Diese Nähe von kulturellen und kommerziellen Einrichtungen speiste sich aus den vergleichbaren Bedingungen, welchen sie unterlagen: Museum und Warenhaus waren Orte der Verdichtung von Dingen, Räumen bzw. Zeiten, die sie an einem Ort vereinten: Während im Museum das Überblicken der Welt in der etikettenbestückten Übersichtlichkeit seiner weiträumigen Säle möglich werden sollte, konnte man im Warenhaus frei durch die Welt der global gehandelten Konsumgüter flanieren. Um im einen Fall die Wissbegierde zu reizen, im anderen die Kauflaune anzuregen, waren beide Institutionen bemüht, die Aufmerksamkeit ihres Publikums hochzuhalten. Die Mittel und Strategien, die dafür um 1900 zur Verfügung standen, waren für beide gleich: Was nicht aus den Dingen selbst an Information und Strahlkraft entwickelt werden konnte, wurde mithilfe repräsentativer Architekturen, Farben, Formen und Licht oder gestalterischen Installationen in Szene gesetzt.

Blusen zu Blusen. Spitze zu Spitzen. Die Präsentation der Dinge im Warenhaus folgte einer Ordnung, die Materialität und Gebrauchskontexte berücksichtige und der Belegschaft bzw. Kundschaft die Orientierung ermöglichte. Darüber hinaus war man bestrebt, die Waren möglichst wirkungsvoll mithilfe von Licht und Accessoires zu präsentieren oder sie – wie im Falle der vorliegenden Beispiele – in fantastische und aufmerksamkeitserregende Szenerien zu integrieren.

Auch im Museum um 1900 war den Verantwortlichen an Gliederung und Orientierung gelegen. Die Ordnung der Dinge erfolgte – z. B. chronologisch oder taxonomisch – gemäß der zu vermittelnden Botschaft und dem Stand der Wissenschaften, den es nachzuvollziehen galt. Teilweise wurden Objekte auch zu sinnfälligen Ensembles kombiniert, die weitgehend ohne erklärende Texte auskamen und einen malerischen Eindruck einer Zeit, Kultur oder Naturlandschaft wiedergeben sollten.

Sehen/Staunen

Nach Tony Bennett war das Museum der Moderne ein Schauraum, der das Sehen gegenüber anderen Sinnen privilegierte. Die Kunst- und Wunderkammern waren Orte der kenntnisreichen Auseinandersetzung zwischen gleichberechtigten Gesprächspartnern gewesen. Im Museum wurde das Publikum den Kustoden in hierarchischer Beziehung unterstellt und sollte das Vorgegebene und bereits Definierte nachvollziehen. Eine besondere Rolle kam den gläsernen Vitrinen zu: Sie gaben ihr Inneres ohne Einschränkungen preis, hielten die Betrachtenden aber im selben Augenblick auf Distanz. Sie ermöglichten – so Sharon McDonald – komplexe Themen oder Zeitläufe zu überblicken, entzogen die objektivierten wissenschaftlichen Erkenntnisse aber gleichzeitig jeder Möglichkeit einer Infragestellung. Während das Museum den definierten Standort privilegierte, stand das Warenhaus für Bewegungsfreiheit und die Erlaubnis, jederzeit zu interagieren. Der im Museum negativ besetzte schweifende Blick, das Staunen und die Überwältigung waren im Warenhaus legitime Formen der Auseinandersetzung. Austausch und Gespräche mit dem Verkaufspersonal waren jederzeit erwünscht, ebenso selbstverständlich ein Berühren und Prüfen der Waren.

Die Abbildung zeigt das Warenhaus in Betrieb. Zahllose Damen und Herren sowie Frauen mit Kindern bevölkern die 1894/95 entstandene Kleine Halle, die umliegenden Galerien sowie das Treppenhaus. Sie flanieren, lassen ihre Blicke schweifen, sprechen mit dem Verkaufspersonal oder nehmen sich gegenseitig ins Visier. Die feilgebotenen Waren sind nicht frei zugänglich, sie werden aber auf Wunsch hervorgeholt, können besehen und miteinander verglichen, gedreht, gewendet und anprobiert werden.

Im Joanneum der Jahrhundertwende war es nicht üblich, das Publikum beim Museumsbesuch zu fotografieren. Das Interesse der Fotografen galt den Ausstellungsräumlichkeiten sowie den Objekten und der Form ihrer Präsentation. Diese erlaubt uns heute Rückschlüsse auf die von den Museumsverantwortlichen nahegelegten Wahrnehmungsweisen und das Rezeptionsverhalten der Besucherinnen und Besucher.

Reglementierter Besuch

Museum und Warenhaus richteten sich an ein großes, anonymes Publikum. Wenngleich anzunehmen ist, dass es gesellschaftliche Gruppen gab, die die beiden Einrichtungen nicht frequentierten, ist es doch wesentlich festzuhalten, dass das öffentliche Museum wie das Warenhaus nie exklusive Orte in dem Sinn waren, dass sie bestimmte Personen z. B. aufgrund ihrer sozialen Herkunft ausschlossen: Für die institutionelle Identität des Joanneums war die Ansprache aller Milieus grundlegend. Ein paar Schritte über den Hauptplatz herrschte beim Kauf der Waren Gleichberechtigung. Bei aller Offenheit, oder vielleicht gerade aufgrund dieser, war es offenbar notwendig, den Besuch von Warenhaus und Museum durch Verhaltensregeln anzuleiten, die vermittelt und eingeübt werden mussten. Ihr Ziel war, den Einkauf bzw. den Museumsbesuch ohne Störungen zu ermöglichen und Unliebsames, wie z. B. Lärm, zu unterbinden. Mit ihren Verordnungen formulierten die Institutionen freilich einseitig Bedingungen, deren Anerkennung sie als notwendige Anpassungsleistung von ihren Besucherinnen und Besuchern einforderten. Für uns sind die überlieferten Anweisungen und Instruktionen aussagekräftige Belege zum Institutionenbegriff der Verantwortlichen beider Einrichtungen sowie ihres Verständnisses vom Publikum.

Die vorliegende Hausordnung aus dem Joanneum stammt aus der Zeit um 1900 und wurde im Direktionsbüro gefunden. Heute ziert sie das Büro einer Mitarbeiterin der Personalabteilung. Der Inhalt des Dokuments erstaunt: So beschränkte sich die allgemeine Besuchszeit auf nur vier Stunden wöchentlich. Kindern unter acht Jahren blieb der Zutritt ins Museum verwehrt. Die Bitte, dem anwesenden Personal kein Trinkgeld anzubieten, dürfte in Reaktion auf eine gängige Praxis formuliert worden sein. Dass Mäntel, Stöcke und Hunde in den Ausstellungsräumen nicht erwünscht waren, überrascht dagegen ebenso wenig wie die Aufforderung, die ausgestellten Stücke nicht zu berühren.

Obwohl eine Hausordnung für Kastner & Öhler aus dieser Zeit nicht erhalten geblieben ist, können wir davon ausgehen, dass auch der Besuch des Warenhauses an die Einhaltung bestimmter Vorschriften gebunden war.

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Reglementierter Arbeitsalltag

Museum und Warenhaus waren hierarchisch gegliederte Unternehmen mit einer großen Zahl an Mitarbeitenden. Die interne Struktur beider Einrichtungen zeichnete sich durch einen hohen Grad an Arbeitsteilung aus. Es gab klar definierte Zuständigkeiten innerhalb einzelner Museums- bzw. Verkaufsabteilungen und eine ausgeprägte Spezialisierung. Die Einführung klarer Verhaltensregelungen und ggf. Bekleidungsvorschriften war durch unterschiedliche Zielsetzungen motiviert: Zum einen wirkten sie nach innen und sollten die Kontrolle und Zusammenarbeit einer jeweils beachtlichen Zahl von Angestellten ermöglichen. Auch verpflichteten sie die Beschäftigten auf die Bestimmung und die Prinzipien der Unternehmen. Zu anderen wirkten sie nach außen: Gerade im Warenhaus waren Verhaltensregelungen Teil eines Service am Kunden. Sie standardisierten Sprache und Handlungen und drängten die individuelle Identität der handelnden Personen hinter die von den Verantwortlichen geprägte institutionelle Identität der Einrichtung zurück.

Im Jahresbericht des Steiermärkischen Landesmuseums Joanneum aus dem Jahr 1890 werden auf insgesamt 17 Seiten „Instructionen für Beamte und Custoden“ des Museums bekanntgegeben. Sehr allgemein werden dort die Teilnahme an Sitzungen, die Versorgung der Sammlungen, das Verhalten im Brandfall oder die Meldepflicht von Abwesenheiten geregelt. Teilweise sind die Forderungen aber auch sehr konkret und untersagen z. B. „das Betreten der Sammlungs-Räume mit offenem Lichte und das Tabakrauchen in denselben“. (Jahresbericht 1890, 5)

Für Kastner & Öhler sind aus der Zeit der Jahrhundertwende keine Dokumente zu Verhaltensregen oder Bekleidungsvorschriften für Angestellte erhalten geblieben. Abbildungen lassen aber den Schluss zu, dass die Verkäuferinnen z. B. lange dunkle Kleider, die Verkäufer Anzug zu tragen hatten. Darüber hinaus dürften die Regelungen ungefähr jenen entsprochen haben, die es an anderen Warenhäusern gab. Das Personal war hierarchisch organisiert und unterlag ständiger Kontrolle. Verbale Entgleisungen, nachlässige Kleidung oder unhöfliches Benehmen wurden mit Abmahnungen und bis hin zu Entlassungen sanktioniert.

Medien der Veröffentlichung

Sowohl Warenhaus als auch Museum traten um 1900 mit Katalogen an die Öffentlichkeit. In beiden Fällen erfüllten sie den praktischen Zweck, Orientierung angesichts von Fülle zu geben: Sie waren als Verzeichnisse angelegt, sollten das Komplexe in Auflistungen und Reihungen sowie in präzisen Beschreibungen fassbar machen. Sowohl Museums- als auch Warenhauskatalog folgten dabei bestimmten Vorstellungen von Ordnung und Nutzer/innen-Freundlichkeit. Die Lektüre eines Warenhauskatalogs war nicht an einen bestimmten Ort gebunden. Wo immer sich eine Leserin oder ein Leser fand, er zeigte an, was zu welchen Preisen und Bedingungen geliefert werden konnte. Die Inhalte der Kataloge veränderten sich, wechselten je nach Saison und erlaubten, über Jahre betrachtet, modische Entwicklungen im Bereich Bekleidung, Sport oder Haushalt nachzuvollziehen. Kataloge waren ein wichtiges Werbemedium. Entsprechend war ihre Sprache und Gestaltung darauf angelegt, Interesse zu wecken. Museumsführer waren weniger aufwendig gestaltet und dynamisch als die der Warenhäuser. Ihre Lektüre erfolgte naheliegenderweise im Museum selbst und mit dem Ziel, sich im Gebäude zu orientieren, einen bestimmten Parcours nachzuvollziehen und die ausgestellten Objekte dank der wissenschaftlichen Informationen besser zu verstehen. Sprache und Stil der Museumsführer zielen nicht darauf ab, etwas zu verkaufen, sondern zur Bildung der Leser/innen beizutragen.

1887 startete Kastner & Öhler einen Versandhandel. Zehntausende Warenkataloge wurden fortan jährlich in alle Länder der Monarchie verschickt. Für die Menschen außerhalb der Zentren brachten die Kataloge eine bis dahin nicht gekannte Zugänglichkeit zum wachsenden Warenangebot: Sie sahen, was modern, neu und in der möglicherweise fernen Stadt angesagt war. Die Gestaltung der Kataloge erfolgte im Hinblick auf Übersichtlichkeit und Benutzer/innen-Freundlichkeit. Die Gleichstellung aller Produkte einer Art erleichterte den Vergleich, Abbildungen machten Lust, sich ins Warenangebot zu vertiefen. Zur erfolgreichen Bestellung wurden Anweisungen und Hilfestellungen geboten.

Die Führer und Kataloge des Culturhistorischen und Kunstgewerbe-Museums entsprechen in ihrer Erscheinung weiteren, aus dieser Zeit am Joanneum erhalten gebliebenen Ausstellungspublikationen. Abbildungen gab es damals nicht, die Texte waren wissenschaftlich-deskriptiv und kamen ohne werbende Superlative aus. Die Bedeutung einzelner Objekte wurde u. a. über die Länge der Texte zum Ausdruck gebracht. Zielgruppe des Führers war das anwesende Publikum.

Systeme der Kontrolle und des Überblickens

Warenhaus und Museum waren bereits um 1900 komplexe Systeme mit einer Vielzahl zu verwaltender Menschen und Objekte. Um den Überblick zu bewahren, bedienten sich die Verantwortlichen beider Einrichtungen Hilfsmittel wie der vorliegenden Bücher, die wie die Architekturen von Warenhaus und Museum im Hinblick auf eine bestimmte Nutzung und Funktion innerhalb des Betriebs entwickelt oder adaptiert wurden. Kennzeichnend für beide war die Standardisierung und der Gebrauch von Fachtermini und Abkürzungen, die sich nur Expertinnen und Experten erschlossen. Hinter dieser Rationalisierung steht die Moderne und die weitreichende Vorstellung einer systematisch fassbaren und beschreibbaren Wirklichkeit: In der Betriebsführung wie der Wissenschaft lernte man einheitlich zu messen und zu berechnen und empirische Daten in neutrale Zeichen zu transkribieren. Ziel war die Etablierung gesicherter Strukturen, in die jedes Individuum integrierbar und die Wirklichkeit schließlich überblickbar wäre. Die Zeitgebundenheit derartiger Bemühungen zeigt sich im Ansatz, die Mineralogie in ein System einzupassen, das nach späterer Erkenntnis nur für die belebte Natur zur Anwendung gelangen kann.

Beim vorliegenden Hilfsbuch handelt es sich um eine standardisierte Vorlage – mit Stempelmarken und Siegel gekennzeichnet – aus der Buchdruckerei Guttenberg in Graz. Das gebundene Buch hat ein unkonventionelles Format von ca. 45 mal 19 cm und enthält ein vorgedrucktes Raster, das eine bestimmte Art der Verwendung in einem bestimmten Kontext nahelegt. Die Eintragungen stammen aus dem Zeitraum Januar 1907 bis Juni 1908 und enthalten eine Auflistung von Nachnamen der Mitarbeiter/innen sowie die Höhe ausbezahlter Gehaltssummen. Geschlecht und Position der Personen werden nicht erwähnt.

Das Nachtragsinventar der Abteilung für Mineralogie aus dem Jahr 1889 bis 1909 verzeichnet die Objekt-Zugänge der Sammlung, dazu die Bücher, Apparate und Werkzeuge, die in die Abteilung eingegangen sind. Auch im Fall dieses Buchs gibt es ein vorgedrucktes Raster sowie mit den Maßen 55 mal 40 cm ein nicht gängiges Format. Die Auflistung der Objekte erfolgte nach ihrem Eingang. Neben Objektbezeichnung wurden u. a. die Provinienz und der Kaufpreis angeführt. Inventarnummern wurden nicht vergeben, teilweise aber nach dem Zweiten Weltkrieg hinzugefügt. Nähere Informationen zu den Objekten vermerkte man auf Karteikarten, die separat in einem Zettelkatalog nach den Mineralnamen alphabethisch geordnet wurden. Das zugehörige Blatt ist insofern besonders, als sein Aufbau die Klassifizierung der Mineralien nach dem Linné’schen Klassifikationssystem vorsieht.

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Frühe Unternehmensgeschichte

Die frühe Geschichte des Warenhauses Kastner & Öhler ist die eines europäischen Unternehmens, geprägt von den politischen und wirtschaftlichen, kulturellen und technischen Neuerungen der Zeit. Wer waren die Firmengründer und was führte sie vom tschechischen Troppau aus nach Graz? Wie lässt sich ihr frühes Unternehmenskonzept charakterisieren? Inwiefern stand ihr Erfolg mit der Industrialisierung und Technisierung, der Verstädterung und dem sozialen Wandel der Jahrhundertwende in Verbindung? Wie schließlich wurde Graz zum zentralen Firmenstandort?

Anfang: Troppau

1873 gründeten Carl Kastner und Hermann Öhler in Troppau (heute Opava/Tschechien) die „Kurzwarenhandlung Kastner & Öhler“. Transport, Handel und Industrie waren zu dieser Zeit im Umbruch: Massenproduktion und schneller Gütertransport, Groß- und Direktkauf, die Einverleibung von Produktionsbetrieben, feste Preise oder das Aufkommen der Reklame ermöglichten neue Geschäftskonzepte. Die Neugründung erfolgte aber auch vor dem Hintergrund einer Wirtschaftskrise, die viele Firmen in Mitleidenschaft zog. In einer Phase, da in Handel und Industrie großer Geldmangel herrschte, kauften die Gründer günstige Posten um bares Geld, um sie möglichst rasch weiterzuverkaufen.

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Die Gründer

Carl Kastner war 24 Jahre alt, Hermann Öhler 26, als sie 1873 die Firma gründeten. Carl Kastner wurde 1849 in Linz geboren und arbeitete in Wien als Handelsangestellter, bevor er in Troppau (im heutigen Tschechien) für die Firma Stefan Klauber als Buchhalter tätig war. Dort lernte er den Verkäufer Hermann Öhler kennen, der 1847 geboren wurde und einer jüdischen Familie aus Preßburg entstammte. Den Schritt in die Selbstständigkeit ermöglichten 30.000 Gulden (rund 288.000 Euro), die Carl Kastner von seiner Großmutter geerbt hatte. Zur Kurzwarenhandlung in Troppau wurde eine Zweigniederlassung in Olmütz eröffnet. Durch Carl Kastners Heirat mit Hermann Öhlers Schwester Julie verbanden sich die Firmengründer auch privat.

Kurzwaren

„Kurzwaren (kurze Waren, franz. Quincaillerie, Mercerie), Gesamtname verschiedener, meist kleinerer Waren aus Metall, Holz, Glas, Porzellan, Marmor, Perlmutter, Bernstein, Korallen, echten und unechten Edelsteinen, Knochen, Elfenbein, Meerschaum, Alabaster, Fischbein, Schildpatt, Horn, Leder etc., z. B. Messerwaren, Nadeln, Knöpfe, Uhren und Bestandteile von solchen, Ringe, Ketten, Leuchter, Sporen und Steigbügel, Galanteriewaren, Brillen und Perspektive, Brief-, Geld- und Reisetaschen, Regen- und Sonnenschirme, künstliche Blumen, lackierte Blechwaren, plattierte Geräte etc.“ (aus: Meyers Konversationslexikon, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, 4. Auflage, 1885–1892)

Niederlassungen

Nach erfolgreicher Firmengründung in Troppau eröffneten Carl Kastner und Hermann Öhler zwischen 1873 und 1881 weitere Niederlassungen in Prag, Brünn, Arad und Wien, die allerdings jeweils nur für kurze Zeit Bestand hatten. Angeboten wurde jeweils günstige Partieware, ein sortiertes Lager gab es nicht. Wien spielte die zentrale Rolle, was den Einkauf und den direkten Kontakt mit den Lieferanten anging. Hier fand außerdem die „Manipulation“ der Waren statt. 1879 kam Agram (Zagreb) als Standort dazu, 1881 wurde jener in Troppau – mit dem Umzug der Agramer Niederlassung in die Ilica 4 – aufgegeben.

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Warenmanipulation

Ein nicht unwesentlicher Geschäftsbereich im frühen Unternehmen war die Warenmanipulation. Der Begriff „Manipulation“ bezeichnete die Anfertigung von Waren, wie zum Beispiel von Schürzen oder Unterwäsche: Die Unternehmer kauften die Rohmaterialien und gaben die Fertigung der Produkte oft in Heimarbeit in Auftrag, um sie dann in den Niederlassungen oder über die Kataloge zu vertreiben. Ort der Warenmanipulation war Wien. Im Jahr 1905 wurden unter anderem 21.981 Stück Damenwäsche gefertigt.

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Agram

1879 eröffneten die Herren Kastner und Öhler eine erste Geschäftsstelle in Agram. Zwei Jahre später übernahmen sie ein Geschäft in der Ilica 4, das sich nach Albert Kastner im rechtsseitigen Parterre des damals sehr angesehenen Hotels „Kaiser von Österreich“ befand. Als wesentlicher Schritt für die weitere Unternehmensentwicklung gilt die Abkehr von günstigen Artikeln, die man bis dahin weitgehend vertrieben hatte: Max Hausner, Schwager der Firmeninhaber, beschloss dieses Verkaufsprinzip in Agram dahingehend zu ergänzen, „dass ein gepflegtes Sortiment der einschlägigen Textilwaren angeboten wurde. (Albert Kastner, Firmengeschichte)

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Ankunft in Graz

1883 befand sich Carl Kastner im Zug von Wien nach Agram. Ein ungeplanter Aufenthalt in Graz veranlasste ihn spontan, ein freistehendes Geschäftslokal in der Sackstraße 7 anzumieten. Am 31. August 1883 erfolgte die Eintragung von „Kastner & Öhler Graz“ in das Handelsregister. Knapp eine Woche später kündigt bereits eine Anzeige von der „Übernahme des Warenlagers aus der August Frank’schen Concursmasse“ und vom Verkauf „der gesamten Warenvorräthe“ neben dem Hotel Erzherzog Johann. Vertrieben wurde fortan, so Albert Kastner, günstige Gelegenheitsware. Der Gesamtumsatz im ersten Geschäftsjahr betrug 90.000 Gulden (rund 837.000 Euro).

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Der Weg in die Stadt

Man kann vermuten, dass sich Carl Kastner nach seiner Ankunft vom Bahnhof über die Annenstraße Richtung Hauptplatz bewegt hat. Welchen ersten Eindruck könnte die Stadt auf diesem Weg hinterlassen haben? Der Bahnhof, der bereits in den 1870er-Jahren umgebaut worden war, zeigte sich bei der Ankunft Carl Kastners samt repräsentativem Vorplatz großzügig erneuert. Die Annenstraße war Mitte des 19. Jahrhunderts als Verbindungslinie in die Stadt planmäßig angelegt worden und hatte sich als zentrale Einkaufsstraße etabliert. Der Hauptplatz wurde als zentraler Marktplatz u. a. vom alten Rathaus flankiert, dessen Umbau 1887 beginnen wird ...

Graz um 1900

In der Zeit, da Carl Kastner Graz kennenlernte, fand sich die Stadt in einer Phase der radikalen Veränderung und gewann jene Erscheinung, die sie bis heute prägt: Der Bau der Südbahn verband Graz mit Wien und Triest und hatte die Industrialisierung befördert. Als Folge stieg die Zahl der Einwohner/innen bis in die 1890er-Jahre auf über 100.000 an. Das heutige Landeskrankenhaus und die Herz-Jesu-Kirche entstanden, ebenso das Museum in der Neutorgasse, Stadttheater und Landesbibliothek, Rathaus und Zentralfriedhof. Die Straßen wurden asphaltiert, neue Brücken gebaut, die Stadt elektrifiziert und beleuchtet. Die Pferdebahn wurde eingeführt und von der elektrischen Straßenbahn abgelöst. Das erste Kino nahm seinen Betrieb auf.

Sortiment 1894/95

Nachdem sich Kastner & Öhler in Graz und darüber hinaus mit seinem Versandhandel etabliert hatte, erfolgte 1894/95 der erste große Umbau des Grazer Standortes. Mit der Eröffnung des ersten Kaufhaushallenbaus der Monarchie wurde auch die Angebotspolitik geändert: „Sehr billige“ Waren wurden durch ein „gepflegtes, qualitativ hochwertiges Sortiment“ ergänzt. Neben Damenwäsche, Mieder, Futter- und Wollstoffen, Seide, Bändern, Spitzen, Handschuhen, Strümpfen, Kurz-, Wirk-, Trikot- und Weißwaren wurden Schürzen, Tücher, Herrenstoffe, Krawatten, Herrenwäsche, Pelze, Blusen, Schoßen, Damenmäntel, Mädchenkonfektion, Waschstoffe, Teppiche, Vorhänge, Steppdecken und Wolldecken verkauft. (aus: Albert Kastner, Firmengeschichte).

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Zweite Generation

Carl Kastner und Hermann Öhler übertrugen das Unternehmen ihren Söhnen: Im Jahr 1901 trat Albert Kastner in die Firma ein, im Jahr 1903 Paul Kastner, 1904 Richard Kastner und 1905 schließlich Franz Öhler. Hermann Öhler starb 1918, Carl Kastner 1921.

Ausweitung der Verkaufszone

Nachdem sich Carl Kastner und Hermann Öhler 1883 mit ihrem Geschäft in der Sackstraße 7 eingemietet hatten, erwarben sie das Gebäude 1886. Dieser Kauf stellte lediglich den Beginn einer ganzen Reihe weiterer Erwerbungen dar: 1894 wurden für den Umbau die angrenzenden Häuser der Badgasse, 1896 die Liegenschaft Sackstraße 9 übernommen. Im Jahr 1910 erfolgte der Kauf der Häuser Sackstraße 11 und 13 sowie Admontergasse 3 und 4. Der Preis dafür betrug rund 200.000 Kronen (entspricht rund 876.000 Euro).

Architektur und Gestaltung

Imposante Architekturen, repräsentative Fassaden und Treppenhäuser, großzügige Lichthöfe und Dachgärten, geschmückte Verkaufsräume und inszenierte Konsumgüter: Auch am Beispiel von Kastner & Öhler wird deutlich, dass das Warenhaus um 1900 nicht nur ein funktionaler, sondern vor allem auch ein abwechslungsreicher Raum voll Atmosphäre und Leben für eine neue bürgerliche Kundschaft war. Was konkret zeichnete die Warenhausarchitektur jener Zeit aus? Mithilfe welcher Mittel und Strategien bezauberten die Schöpfer der Warenwelten ihr Publikum? Wie und warum erzeugten sie welche Stimmungen und Bilder?

Umbau 1894/95

Nachdem Carl Kastner und Hermann Öhler das Haus Sackstraße 7 erworben hatten, beauftragen sie 1884/95 den Architekten Friedrich Sigmundt mit einem Erweiterungsbau. Unter Einbeziehung der angrenzenden Häuser in der Badgasse entstand so das erste wirkliche Warenhaus der k. u. k. Monarchie. Zentrale Momente der Fassadengestaltung waren die Zusammenfassung der ersten beiden Etagen zu einer Einheit und die Beleuchtung der in den Schaufenstern präsentierten Waren mit außen liegenden Hängeleuchten.

Kleine Halle 1894/95

Als zentraler Raum im Inneren entstand mit dem Umbau der Jahre 1894/95 die sogenannte „Kleine Halle“. Der mit Glas überdachte Raum reichte über drei Etagen und war durch umlaufende Galerien gekennzeichnet. Die Großzügigkeit der auf Doppelsäulen gestützten Halle stand im krassen Gegensatz zu den bescheidenen Geschäften und Läden, die kleinräumig, dunkel und oft wenig repräsentativ waren.

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Warenpalast 1912/13

1912/13 entstand nach den Plänen der auf Theaterbau spezialisierten Wiener Architekten Fellner & Helmer ein Neubau, mit dem Kastner & Öhler an die neue mitteleuropäische Warenhausarchitektur anschloss. Kennzeichnend für diese Bauweise war ihre Funktionalität: die Integration mehrerer Verkaufsetagen, die Unterbringung von Lager- und Verwaltungsbereichen sowie der Einsatz neuer Technik. Die Fassade wurde weitgehend in Fensterflächen aufgelöst, Dekorationselemente wurden großzügig eingesetzt – die neuen Warenhäuser ernteten große Aufmerksamkeit, ähnlich früheren Repräsentationsbauten.

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Große Halle

Als zentraler Raum im Inneren des Neubaus von 1912/13 entstand die reich geschmückte „Große Halle“. Sie führte durch sämtliche Geschosse und wurde von einer bunten Glaskuppel abgeschlossen. Als Lichthof garantierte sie die Versorgung weiter Bereiche mit Tageslicht. Das für den Verkauf wertvolle Parterre blieb gleichzeitig als attraktive Einkaufsfläche erhalten. Um den Lichthof gruppierten sich die Stockwerke und Verkaufsflächen, die mit Treppen und Fahrstühlen verbunden waren. Zu aller Funktionalität prägte der Lichthof dank seiner lichterfüllten Monumentalität wesentlich den erhabenen Eindruck und die Pracht des Warenhauses.

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Innenraum pragmatisch

Sieht man von seinem verführerischen Glanz ab, war das Warenhaus des ausgehenden 19. Jahrhunderts ein Funktionsbau: Möglichst viele Menschen sollten den bestmöglichen Zugang zum Warenangebot erhalten. Das originäre Raumkonzept des Warenhauses sah eine offene Eingangssituation und großangelegte Fensterfronten vor, die zum Eintreten ermutigen sollten. Der großzügige Umgang mit Raum und der Verzicht auf Trennwände erlaubte die übersichtliche Warenpräsentation. Aufwendige Treppenanlagen und Aufzüge sorgten für die effiziente Verteilung und Zirkulation des Publikums, diverse Servicebereiche wurden zur Erholung während des Einkaufs bereitgestellt.

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Innenraum atmosphärisch

Entscheidend für das Erlebnis des Besuchs war weniger die Funktionalität der Architektur, sondern vielmehr die Atmosphäre. Die weiten und lichterfüllten Räume, die reich bestückten Verkaufshallen, die wechselnden Inszenierungen, die repräsentativen Treppenhäuser, die Cafés und Erfrischungsräume: Sie bildeten eine für alle zugängliche, künstliche Oase, in die man vorübergehend eintauchen konnte; eine Gegenwelt, die unabhängig von Jahres- und Tageszeit oder Witterung hell erleuchtet im starken Kontrast zur Dunkelheit der kleinen Geschäfte stand. Erholsam und immer gepflegt, bot sie einen starken Kontrast zu den mitunter lauten und staubigen Straßen vor den Eingangstoren.

Aufzüge, Telefone, Klimaanlagen

Acht Aufzüge, mehr als 20 elektrische Uhren, 40 Haustelefonanschlüsse, eine Eigenstromanlage mit drei Dieselmotoren, eine Lüftungs-, eine Rohrpost-, eine Kühlanlage: Am Beispiel des 1912/13 entstandenen Neubaus wird deutlich, dass Kastner & Öhler, wie andere Warenhäuser auch, bereits vor dem Ersten Weltkrieg einen massiven Einsatz von Elektrizität und Gas, von Kraft, Licht und Kälte betrieb. Warenhäuser gehörten zu den Vorreitern in der Nutzung moderner Technik. Diese sorgte teils unsichtbar für den Komfort der Konsumentinnen und Konsumenten, sie wurde aber auch gezielt arrangiert, um das Publikum in Staunen zu versetzen.

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Warenhausmöblierung

Bescheiden nahmen sich 1883 die ersten Möbel für die Warenpräsentation in der Grazer Niederlassung aus: Aus Böhmen gekommen, wurden die Produkte aus ihren Kisten heraus verkauft, die man ausleerte, umdrehte und einfach als Tische verwendete. Dies änderte sich: Spätestens ab 1894/95 türmten sich die Stoffballen in offenen Regalen, Stückwaren fanden sich in Schachteln verpackt und Weißwaren in Papier eingeschlagen. Nachweisbar mit 1912/13 wurden Waren auch auf Stangen und in Vitrinen präsentiert. Zugänglich waren diese nur dem Verkaufspersonal, das nachgefragte Produkte auf Tischen ausbreitete und einer stehenden und sitzenden Kundschaft vorstellte.

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Warenhausmöblierung

Bescheiden nahmen sich 1883 die ersten Möbel für die Warenpräsentation in der Grazer Niederlassung aus: Aus Böhmen gekommen, wurden die Produkte aus ihren Kisten heraus verkauft, die man ausleerte, umdrehte und einfach als Tische verwendete. Dies änderte sich: Spätestens ab 1894/95 türmten sich die Stoffballen in offenen Regalen, Stückwaren fanden sich in Schachteln verpackt und Weißwaren in Papier eingeschlagen. Nachweisbar mit 1912/13 wurden Waren auch auf Stangen und in Vitrinen präsentiert. Zugänglich waren diese nur dem Verkaufspersonal, das nachgefragte Produkte auf Tischen ausbreitete und einer stehenden und sitzenden Kundschaft vorstellte.

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Praxis des Konsums

Konsum im Warenhaus vollzog sich auch vor 100 Jahren schon als Zusammenspiel verschiedener Akteurinnen und Akteure und einer entsprechend eingeübten Dramaturgie. Konsum war schon damals an festgelegte Settings und rahmende Accessoires gebunden. Was lässt sich heute über die Rollen und Beziehungen zwischen Angestellten und Kundinnen/Kunden in den frühen Jahren von Kastner & Öhler in Erfahrung bringen? Durch welche Rahmenbedingungen, Regeln und Rituale war Konsum zu jener Zeit bestimmt? Wo erholte man/frau sich vom stundenlangen, kräfteraubenden Einkauf?

Entspannen im Café

Zur Innenausstattung des 1912/13 errichteten Warenhauses gehörten auch diverse Sonderräume: Die Dachgärten und Erholungsbereiche sowie ein Erfrischungsraum mit 300 Sitzplätzen und täglichem Konzert boten den vom Einkauf ermüdeten Käuferinnen und Käufern die Möglichkeit, eine Pause einzulegen: sich in angenehmer Atmosphäre auszuruhen, am Buffet Getränke und kleine Speisen zu konsumieren oder sich mit Bekannten zu treffen. Diese Servicebereiche stärkten das Warenhaus als Freizeitort, an dem man nicht nur eine rasche Besorgung machte, sondern nach Lust und Laune abwechslungsreiche Stunden verbringen konnte.

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Mode und Körpernormierung

Bequemlichkeit und Bewegungsfreiheit waren nicht die obersten Prinzipien der Mode um 1900: Mieder und Geradehalter korrigierten jederzeit die Haltung ihrer Trägerinnen. Hüte und Kinder-Sonnenschirme spornten schon kleine Mädchen zum würdevollen Schreiten an. Sockenhalter sollten an Herrenbeinen für Ordnung sorgen. Die frühen Modewarenberichte belegen: Sich zu kleiden bedeutete nicht nur eine Anpassungsleistung des Körpers an bestimmte Kleidergrößen, es bedeutete auch sein Zwingen in Posen und seine Formung im Hinblick auf ein bestimmtes Körperideal.

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Mode und Körpernormierung

Bequemlichkeit und Bewegungsfreiheit waren nicht die obersten Prinzipien der Mode um 1900: Mieder und Geradehalter korrigierten jederzeit die Haltung ihrer Trägerinnen. Hüte und Kinder-Sonnenschirme spornten schon kleine Mädchen zum würdevollen Schreiten an. Sockenhalter sollten an Herrenbeinen für Ordnung sorgen. Die frühen Modewarenberichte belegen: Sich zu kleiden bedeutete nicht nur eine Anpassungsleistung des Körpers an bestimmte Kleidergrößen, es bedeutete auch sein Zwingen in Posen und seine Formung im Hinblick auf ein bestimmtes Körperideal.

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Anprobe

Mit der Zunahme von Konfektionsware, also von serienmäßig gefertigter Kleidung in genormten Größen, stieg die Notwendigkeit, Blusen, Hemden und Röcke, Kleider, Anzüge und Mäntel anzuprobieren. Wie Albert Kastner berichtet, war für dieses Testen der Stücke in Bezug auf Passform und Gesamtbeschaffenheit bei Kastner & Öhler lange Zeit durchaus wenig Bequemlichkeit und Komfort vorgesehen: Zwischen zwei Stellagen war ein Vorhang gezogen. Dahinter konnte die Kundschaft sich im gewählten Kleidungsstück in einem der wenigen Spiegel im Haus besehen. Dies dürfte sich spätestens mit dem Neubau des Warenhauses 1912/13 geändert haben.

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Rituale des Konsums

Der Erwerb eines Produkts im frühen Warenhaus entspricht nicht dem unmittelbaren Kaufakt, sondern muss als Prozess gelesen werden. Einerlei, ob es um die Anschaffung von Haushaltstextilien oder Bekleidung ging: Warenerwerb setzte das Zusammenspiel unterschiedlicher Akteurinnen und Akteure voraus. Er beinhaltete Austausch, Abwägen und Aneignung mit Spielregeln. Er war – bei aller Heterogenität des Sortiments wie der Kundschaft – mit seinen Formeln und Ritualen, Blicken und Bewegungen, Fragen, Zweifeln und Antworten, prüfenden Gesten und Anproben weitgehend standardisiert.

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Verkäufer/in sein

Die Warenhäuser definierten die Rolle der Verkäufer/innen neu: Ihre Aufgabe bestand nun darin, die Kundinnen und Kunden mit jenen Abertausenden von Waren in Berührung zu bringen, die – teils sichtbar, teils verpackt – nicht im heutigen Sinn zugänglich waren: Sie wussten, wo in den Regalen das verlangte Produkt in bestimmter Art und Größe zu finden war. Es oblag ihnen, die Waren aus den sie schützenden Schachteln und Papieren zu ziehen und auf den Verkaufstischen vorzulegen. Sie sollten erläutern, beraten, überzeugen und die vorab festgelegten Preise kommunizieren – anders als zu früheren Zeiten, in denen sie theatralisch den Preis verhandeln mussten.

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Schauplatz Warenhaus

Einmal eingetreten, zeigte das Warenhaus eine neuartige Dramaturgie des Kaufs auf: Die großzügige Architektur lud das Publikum zum zwanglosen Flanieren ein. Das weitläufige Warenangebot verführte zum Staunen und legte nahe, es mit schweifenden Blicken zu sondieren. Die Inszenierung der Produkte, die künstliche Beleuchtung oder die Möglichkeit, Aufzüge zu benutzen, brachten die Kundinnen und Kunden in neuartige Erlebnissituationen. Schließlich war das Warenhaus Bühne: Ort der Selbstdarstellung und Ort, um andere zu sehen.

Stadt als Schaufenster

Mit der Moderne entstand die Freizeit als neue „Gegenzeit“ zur Arbeitszeit. Mit dem Aufkommen der Konsumkultur veränderten sich die Funktionen und Erscheinungsformen der Stadt. Die Bürgerinnen und Bürger nutzten die neue Freiheit der Abende, der Sonn- und Feiertage unter anderem, um durch die sich entwickelnden Geschäftsstraßen zu flanieren. Sie definierten ihre Routen entlang der Schaufenster neu, passten ihre Gehgeschwindigkeit der Attraktivität der Auslagen an. Die Warenwelt hinter Glas gab Anlass, das dort Gesehene im Freundes- und Familienkreis zu deuten und zu diskutieren.

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Protagonistinnen und Protagonisten des Konsums

Am Betrieb und Gelingen von Kastner & Öhler waren schon um 1900 Hunderte Mitarbeiter/innen und verschiedene Berufsgruppen beteiligt. Ebenso vielfältig und bunt war die Kundschaft. Wer genau waren die Menschen, die das frühe Warenhaus tagtäglich möglich machten, wer jene, die es frequentierten? Wie sah es mit den Zuständigkeiten und Arbeitsbedingungen beispielsweise der Verkäufer/innen bei Kastner & Öhler aus? Welche Rückschlüsse erlauben Sortiment und Katalogangebote auf die Lebenswirklichkeit und die Selbstbilder der Kundinnen und Kunden in und außerhalb von Graz?

Berufsgruppen

Viele Menschen und unterschiedliche Berufsgruppen waren nötig, um ein Warenhaus wie Kastner & Öhler tagtäglich in Betrieb zu halten. Um 1900 waren bereits Hunderte Verkäufer/innen beschäftigt. Es gab aber auch Näherinnen, Einkäufer und Abteilungsleitende, Verwaltungs- und Versandangestellte. Es brauchte Beschäftigte in Buchhaltung, Werbung und Dekoration, in den Cafés und Servicebereichen. Die Moderne der Jahrhundertwende war von einem sozialen Wandel bestimmt. Die interne Struktur von Kastner & Öhler spiegelte dies in ihren Angestellten wider, die der neuen, wachsenden Gruppe des „neuen Mittelstandes“ angehörten.

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Arbeitszeit

1885 wurde in Österreich-Ungarn eine gesetzliche Arbeitsregelung erlassen: Die maximale Arbeitszeit wurde auf elf Stunden pro Tag festgelegt. Verboten wurden Nachtarbeit für Frauen und Jugendliche sowie Kinderarbeit.1898 wurde von Stadthalter Graf Clary im Verordnungsweg die Sonntagsruhe für die fünf Sommermonate angeordnet, 1906 auf das gesamte Jahr ausgeweitet. (Aus: Albert Kastner, Firmengeschichte)

Dienstzeugnis Lina Schmiedbauer 1905, Firmenarchiv Kastner & Öhler

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Auszahlung der Gehälter

Wie Albert Kastner berichtet, wurden die Gehälter mit jedem einzelnen Angestellten vereinbart. Von auswärts Kommende verhandelten das Gehalt vor Antritt der Stelle schriftlich. In Graz lebende Angestellte begannen ihren Dienst ohne feste Gehaltsvereinbarung, die erst nach dem ersten Arbeitsmonat getroffen wurde. Erhöhungen des Gehalts erfolgten ganz individuell, im Allgemeinen beliefen sich diese aber auf 10 bis 20 Kronen im Jahr. Wie aus den Gehaltsbüchern hervorgeht, wurden die Gehälter nicht alle zum Monatsletzten, sondern auch wöchentlich ausbezahlt. (Aus: Albert Kastner, Firmengeschichte)

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Urlaub

Ab 1910 waren Urlaube sowie Kündigungen gesetzlich geregelt. Bis dahin wurde bei Kastner & Öhler den Angestellten über Verlangen nach zwei Dienstjahren eine Woche, den länger dienenden zwei Wochen Urlaub zuerkannt. (Aus: Albert Kastner, Firmengeschichte)

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Frühe Sozialleistungen

Teils lange bevor entsprechende gesetzliche Regelungen in Kraft traten, erbrachte Kastner & Öhler freiwillige Sozialleistungen: Für den 1890 gegründeten Spar- und Unterstützungsverein für Mitarbeitende leistete das Unternehmen anteilige Beiträge. Ab 1903 wurde die medizinische Versorgung durch tägliche Ordinationsstunden im Unternehmen gewährleistet. Ab 1905 erfolgte die freiwillige Zahlung von Urlaubsgeldern. 1906 wurde die Sonntagsruhe eingeführt, 1908 der Ladenschluss auf 19 Uhr festgelegt. Pausenräume für das Personal standen ab 1912 zu Verfügung, Weihnachtsgeld gab es ab 1914.

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Regeln für das Verkaufspersonal

Verhaltensregeln und Bekleidungsvorschriften für das Personal von Kastner & Öhler sind für die Zeit um 1900 nicht erhalten geblieben. Man darf aber davon ausgehen, dass diese ähnlich waren wie in anderen Warenhäusern dieser Zeit. So wird für das Pariser „Bon Marché“ berichtet, dass die Verkäuferinnen schwarze, hochgeschlossene Seidenkleider zu tragen hatten, die keinesfalls die Kleidung der Kundinnen zu übertrumpfen drohten. Gemäß dem Motto „Der Kunde ist König“ wurden Verstöße gegen den Verhaltenskodex dort wie andernorts bis hin zur Entlassung streng sanktioniert.

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Konsum und Identität

Bei aller bürgerlichen Zurückhaltung: Das Einkaufsverhalten der Zeit um 1900 war nicht mehr ausschließlich vom Standpunkt der Sparsamkeit und Dauerhaftigkeit geprägt. Die Auswahlmöglichkeit aus 20 Hüten, Tischgarnituren oder Teppichen machte die Wahl eines konkreten Produkts auch davon abhängig, was zu einem passte. Mit der Wahl eines Produkts zeigten Käufer/innen auch, was sie sein wollten. Konsum wurde so zum Mittel der Selbstdarstellung und Ausdruck der eigenen.

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Bürger/in als Konsument/in

Dem Bürgertum des 19. Jahrhunderts wird eine kritische Haltung gegenüber dem Konsum nachgesagt. Deutlich anders als der exzessiv repräsentierende Adel sahen die Bürger/innen den maßvollen Umgang mit der neuen Warenvielfalt als Teil ihres Selbstverständnisses und Wertekanons. Konsum musste zweckgebunden und rational sein: So sollte die Wahl des Kinderspielzeugs vom pädagogischen Verantwortungsgefühl der Erziehungsberechtigten zeugen, die Ausstattung der Wohnung oder die neue Herbstgarderobe guten Geschmack beweisen – aber ohne zu prahlen.

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Zielgruppen

Wir wissen nicht genau, wer 1883, 1895 oder 1912 bei Kastner & Öhler eingekauft hat. Warenhäuser waren aber grundsätzlich für alle da. Anfangs dürfte sich das Angebot an die untere Mittelschicht und die Arbeiter/innen gerichtet haben. Mit der Einführung eines Sortiments sowie der kontinuierlichen Vergrößerung und Verbesserung des Warenangebots dürfte sich zunehmend bürgerliches Publikum eingefunden haben. Wichtig unter geschlechtsspezifischem Blickwinkel war, dass in Warenhäusern nicht nur viele Frauen gearbeitet haben. Das Warenhaus erweiterte den Aktionsradius der Frau, die teilweise mit Bahn und Straßenbahn anreiste, um sich anonym und unbeobachtet im öffentlichen Raum Warenhaus zu bewegen.

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Frau aus dem Katalog

Um 1900 fand sich die Frau im Spannungsfeld unterschiedlicher Erwartungshaltungen und Einflüsse. Zum einen waren die althergebrachten Geschlechterrollen und Moralvorstellungen als Anforderung noch präsent. Zum anderen setzte mit neuen gesellschaftlichen Entwicklungen ein Emanzipationsprozess ein: Einst verbindliche Muster wurden infrage gestellt, neue Freiheiten lockten. In den Modewarenberichten blieb – mit Ausnahme der sportlichen Frau – das alte Bild der eleganten Bürgerin und fürsorglichen Hausfrau noch aufrecht. Die als Schreibmamsell, Telefonfräulein oder Journalistin arbeitende Frau gab es nicht.

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Erscheinung der bürgerlichen Frau

Die Modewarenberichte zeichnen ein weitgehend standardisiertes Erscheinungsbild der bürgerlichen Frau: Sie flaniert erhobenen Hauptes durch die Stadt oder plaudert mit sittsam nebeneinander gestellten Beinen mit ihresgleichen – stets mit aufgestecktem Haar. Accessoires wie Broschüren und Notizbücher, Brille, Malpalette oder ein Gläschen Likör bezeugten ihre Bildung sowie ihr Interesse an künstlerischer Beschäftigung und deuten ihre Freizeitgestaltung im familiären Rahmen oder Damenkreis an.

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Die ideale Hausfrau

Die Realität vieler Arbeiterinnen um 1900 wich vom geschützten Dasein als Hausfrau und Mutter ab. Auch für die angestellten Frauen löste sich dieses bürgerliche Ideal zunehmend auf. In den Modewarenberichten ist die perfekte Hausfrau noch präsent: Stets adrett zurechtgemacht, schienen ihr Pflichterfüllung und Ordnungsliebe eine Freude zu sein. Notizzettel und Haushaltsbuch deuteten ihre Souveränität und Umsicht in der Haushaltsführung an.

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Der bürgerliche Haushalt

Die Modewarenberichte sind reich an Angeboten zur angemessenen Ausstattung des bürgerlichen Haushalts: Tischwäsche und Kaffeegarnituren, Hand- und Taschentücher, Salon- und Speisezimmerteppiche, Stoffvorhänge und Tüllgardinen, Spitzendraperien und Reisedecken, Diwanüberwürfe und Pölster, Bettvorleger und Wandschoner … Die Produktpalette ist in Qualität und Erscheinung sehr differenziert, die Waren wurden sowohl für Privathaushalte als auch für Gastronomie und Hotels angeboten.

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Was Frau trägt

Die Modewarenberichte geben ein klares Bild davon, was für Frauen um 1900 als chic und modisch galt. Die Röcke waren um Taille und Hüfte enganliegend und verbreiterten sich zum bodenlangen Saum, der die Beine verbarg und bestenfalls die Spitze der schmalen Schuhe auf halbhohem Ansatz erkennen ließ. Die Dame trug ein Mieder, das Bauch und Hüften weggeschnürte und den Körper zur S-Linie verformte. Es gab eine Vorliebe für Spitzen aller Art. Sonnenschirme und Handtaschen gehörten zu den gängigen Accessoires. Hüte verbargen das stets tugendhaft aufgesteckte Haar. Je nach Anlass gab es Promenade- und Besuchskleider, Haus- und Reisekleider, Sportbekleidung oder Abendrobe. Es war klar definiert, was wann zu tragen war.

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Was Frau trägt

Die Modewarenberichte geben ein klares Bild davon, was für Frauen um 1900 als chic und modisch galt. Die Röcke waren um Taille und Hüfte enganliegend und verbreiterten sich zum bodenlangen Saum, der die Beine verbarg und bestenfalls die Spitze der schmalen Schuhe auf halbhohem Ansatz erkennen ließ. Die Dame trug ein Mieder, das Bauch und Hüften weggeschnürte und den Körper zur S-Linie verformte. Es gab eine Vorliebe für Spitzen aller Art. Sonnenschirme und Handtaschen gehörten zu den gängigen Accessoires. Hüte verbargen das stets tugendhaft aufgesteckte Haar. Je nach Anlass gab es Promenade- und Besuchskleider, Haus- und Reisekleider, Sportbekleidung oder Abendrobe. Es war klar definiert, was wann zu tragen war.

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Männerbilder

Der bürgerliche Mann nahm – bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs – zunehmend mehr Raum in den Modewarenberichten ein. Hemden und Hosen, Krägen und Krawatten wurden systematisch zum bestmöglichen Vergleich präsentiert. Straßen- und Salonanzüge, Morgensakkos und modische Gilets, elegante Touristenanzüge und funktionale Sportbekleidung wurden am Träger gezeigt, der Pfeife rauchte, einen Schnurrbart, Spazierstock und Hut trug. Der moderne Mann zeigte sich auf der Jagd, im Automobil oder in Gesellschaft, er beteiligte sich aber auch an familiären Freizeitaktivitäten.

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Männerberufe

Ein nicht unwesentliches Segment im Bereich der Angebote für Herren stellte die Berufskleidung für Köche, Konditoren und Mechaniker, Chirurgen, Bäcker und Landwirte dar, die wohl allesamt zum Kreis der (Versand-)Kunden gehört haben. Für die Bestellung der Arbeitsanzüge, Mäntel und Kappen wurde nicht um die Angabe der Konfektionsgröße gebeten, wohl aber eine Information, ob es sich beim Träger um einen kleinen, mittelgroßen oder großen Herrn handelt.

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Zubehör

Auch für den modischen Herren hielten die Modewarenberichte allerlei nützliche und schmückende Accessoires bereit: Stockschirme und Herren-Schattenspender, Gürtel, Krawatten und Maschen, Krägen und Manschettenknöpfe, Strümpfe und Stutzen, Handschuhe, Kappen und Hüte.

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Bürgerliche Freizeitkultur: Automobile

1914 wird Franz Öhler, Kaufmann, mit dem Kennzeichen II35 als einer von ca. 500 Grazer Autobesitzern im Jahrbuch des Steiermärkischen Automobil-Clubs geführt. Wie kein anderes modernes Fortbewegungsmittel stand das Automobil zu dieser Zeit für individuelle Mobilität. Die Eisenbahn erlaubte ab Mitte des 19. Jahrhunderts das geschwinde Überwinden großer räumlicher Distanzen, war aber durch festgelegte Strecken und Fahrpläne bestimmt. Das Automobil dagegen versprach das selbstbestimmte Abenteuer. Sportlichkeit und Vergnügen wurde mit einem modernen Lebensstil assoziiert, mit dem sich auch das Grazer Bürgertum identifizierte.

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Bürgerliche Freizeitkultur: Sport

Als wesentlicher Bestandteil der neuen Freizeitkultur galt der Sport. Das Bürgertum traf sich beim Tennis, Rudern oder Radfahren. Als Städter/in bewies man beim Wandern, Rodeln oder Skilaufen Naturverbundenheit. Diesem Trend entsprechend, nahmen Sportartikel im Sortiment des Warenhauses einen fixen Platz ein. Rodelmützen, Ruder-Leibchen und Badekostüme, Sportjacken, Radfahr-Stutzen und rustikale Touristenhemden wurden zu notwendigen Accessoires eines erfüllenden Sport- und Naturerlebnisses.

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Die sportliche Frau

Sport hatte einen ausgeprägt emanzipatorischen Charakter. Sportbekleidung gab es für Erwachsene und Kinder gleichermaßen, das Produktangebot für Damen stand jenem für Herren um nichts nach. Mit der sportlichen Frau kam ein neuer Typ auf, der das klassische Frauenbild infrage stellte und erweiterte. Hinter der Suche nach der passenden Toilette, in Debatten um die Schicklichkeit von Kniebundhosen versus lange Wanderröcke verbarg sich auch ein Ringen um Rollenbilder und Konventionen.

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Bürgerliche Freizeitkultur: Am Strand

Für die Grazerinnen und Grazer waren Orte wie Triest oder Grado dank der Südbahn relativ bequem zu erreichen. Ein Aufenthalt am Meer versprach mit Strandspaziergängen, Konzert- und Kaffeehausbesuchen Abwechslung, unbeschwerte Geselligkeit und Erholung. Und Kastner & Öhler lieferte die nötige modische Ausstattung dazu.

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Kinder aus dem Katalog

Die Angebote des Warenhauses für das bürgerliche Kind der Jahrhundertwende waren nicht weniger abwechslungsreich als jene für das erwachsene Publikum. Die Knaben wirkten mit ihren makellosen Kurzhaarfrisuren, gekleidet nach Art der Matrosen und Jäger, wie kleine Herren. Auch die Mädchen wurden – behütet und hübsch zurechtgemacht – als kleine Erwachsene vorgeführt. Dem Alter nach waren die Kinder nicht einordenbar, individuelle Züge blieben ihnen verwehrt.

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Kinderspielzeug

In den Modewarenberichten wurden Kinder mit allerlei Utensilien dargestellt, die zeigen, was in bürgerlichen Kreisen der Jahrhundertwende als geschätztes Spielzeug galt: Lernutensilien wie Globen oder Bücher unterstrichen den bürgerlichen Bildungsbegriff. Mädchen wurden gern mit Puppen, Blumensträußchen und Plüschhasen dargestellt. Obwohl sich die Knaben, mit Sportgerät und Flugdrachen ausgestattet, gern in Park oder Garten aufhielten, fällt es doch schwer, sie sich spielend oder mit schmutzigen Hosen vorzustellen.

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Versand

In den 1880er-Jahren etablierte Kastner & Öhler als eines der ersten europäischen Unternehmen einen Versandhandel und erreichte damit den gesamten Raum der Monarchie. Welche Voraussetzungen hatte der Verkauf von Produkten via Katalog und wie wurde er intern organisiert? Wie entwickelte sich das Katalogangebot bis zum Ersten Weltkrieg? Wie beeinflusste es das Konsumverhalten und den Lebensstil jener Menschen, die außerhalb der Zentren lebten? Was lässt sich über die Erscheinung, über Stil und Sprache der Kataloge sagen? Was erzählen sie uns über die Welt von vor 100 Jahren?

Die Anfänge des Versandhandels

1887 startete Kastner & Öhler als eines der ersten Unternehmen in Europa einen Versandhandel. Mehrsprachige Warenkataloge wurden fortan in die gesamte Donaumonarchie verschickt. 1912 gab es bereits 60.000 Kundinnen und Kunden, die in Bosnien, Herzegowina, Dalmatien, den nahe gelegenen Teilen Ungarns sowie den Alpenländern lebten. Der Versandhandel machte es möglich, Waren auch nach der Saison abzusetzen oder Schwankungen im Ortsgeschäft auszugleichen. Für die Menschen außerhalb der Zentren brachten die Kataloge eine bis dahin nicht gekannte Zugänglichkeit zum wachsenden Warenangebot.

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Katalog als Lesebuch

Heute geben die frühen Kataloge mit ihrem Warenangebot, mit ihrer grafischen Aufmachung und Sprache Einblick in die sich entwickelnde Konsumkultur um 1900, in Stil und Moden dieser Zeit: Sie zeichnen ein Bild von der bürgerlichen Arbeitswelt und Freizeitkultur. Sie widerspiegeln Selbstbilder und Idealvorstellungen, Wünsche und Werte der potenziellen Käuferinnen und Käufer. Sie deuten soziale und kulturelle Praktiken an, die mit den dargebotenen Dingen in Verbindung stehen.

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Interne Organisation des Versandhandels

Der Postversand brachte mit neuen Aufgaben neues Personal, das für die Annahme der Bestellungen, das Versenden der Mustersammlungen sowie die Zusammenstellung und Verpackung der Waren sorgte. Nach Bericht von Albert Kastner wurde für die Versandabteilung beinahe die gesamte dritte Etage des Warenhauses adaptiert. Die Erledigung der Bestellungen erfolgte längere Zeit noch auf etwas altmodische Art: Angestellte übernahmen zugewiesene Briefe zur vollständigen Erledigung. Mit der wachsenden Zahl an Aufträgen wurde dies aber zusehends unpraktikabel.

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Bestimmungen für den Versand

Versandhandel bedeutete garantierte Verfügbarkeit der Waren, fixe Preise und rasche Zustellung. Ausschlaggebend für den Erfolg dürften zudem die zuvorkommenden Versandbestimmungen gewesen sein. So vermittelte die persönliche Ansprache der Leser/innen – bei aller räumlichen Distanz – Vertrautheit und Verbindlichkeit. Ein fein gegliedertes Inhaltsverzeichnis erleichterte die Orientierung. Der portofreie Versand nach Österreich-Ungarn sowie Deutschland verhinderte den Anschein von Mehrkosten durch Bestellung. Und die Rückerstattung des Geldes bei Rückgabe der Ware schuf einen Ausgleich für das Wegfallen einer persönlichen Warenprüfung und -anprobe vor Ort.

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Sozialisierung zum Versandkunden

Ein Produkt aus dem Katalog zu bestellen, musste erst erlernt werden. Hilfe und Anleitung boten teils eindringliche Bestimmungen, die wohl aus praktischen Erfahrungen entwickelt worden sein dürften. So legt der Hinweis „Das Herausschneiden von Figur-Abbildungen ist gänzlich unnöthig …“ nahe, dass mitunter zur Schere gegriffen wurde, anstatt die Produktnummern in Bestellscheine einzutragen. Die da und dort geforderte präzise Nennung der Hals- und „Mittenweite“, von Kopf- und Hüftumfängen lässt vermuten, dass die Ausmaße des eigenen Körpers häufig falsch eingeschätzt wurden.

Sozialisierung zum Versandkunden

Ein Produkt aus dem Katalog zu bestellen, musste erst erlernt werden. Hilfe und Anleitung boten teils eindringliche Bestimmungen, die wohl aus praktischen Erfahrungen entwickelt worden sein dürften. So legt der Hinweis „Das Herausschneiden von Figur-Abbildungen ist gänzlich unnöthig …“ nahe, dass mitunter zur Schere gegriffen wurde, anstatt die Produktnummern in Bestellscheine einzutragen. Die da und dort geforderte präzise Nennung der Hals- und „Mittenweite“, von Kopf- und Hüftumfängen lässt vermuten, dass die Ausmaße des eigenen Körpers häufig falsch eingeschätzt wurden.

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Stil und Sprache der Kataloge

Die „Welt von Gestern“ offenbart sich auch in der mitunter pathetischen Sprache der Modewarenberichte, um deren „gefällige Beachtung“ und „freundliche Zirkulation im Bekanntenkreis“ „höflichst“ gebeten wird. Die in den Katalogen offerierten „imposanten Warenvorräte“ werden gern als „bekannt beste Erzeugnisse“, „hochfein“ und „apart“ oder mit „geschmackvoller Musterung“ vorgestellt. Das Unternehmen selbst betont immer wieder seine „unerreichte Leistungsfähigkeit“ und verspricht „Euer Hochwohlgeboren“ die Zustellung der Produkte „innerhalb kürzester Frist“.

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Ordnung der Dinge

Die frühen Modewarenberichte geben Einblick in die Gebrauchsgrafik, in Konzepte von Ordnung, Ästhetik und Benutzer/innen-Freundlichkeit einer Zeit: Während Kleider und Haushaltsartikel sich teilweise in alltäglichen Szenen angedeutet finden, wird ein Gutteil des Angebots in Reih und Glied geordnet vorgeführt. Die klare Trennung von Bild- und Textbereichen sowie die strikte Gleichstellung aller Produkte einer Art sind zum einen den Bedingungen der Katalogproduktion geschuldet. Sie suggerieren aber auch Zeitlosigkeit und antimodische Gültigkeit der nützlichen Dinge und lassen Vertreter einer Warengruppe – ob günstig oder teuer – als gleichwertig erscheinen.

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Konsum und Emotion

Konsum um 1900 wird nicht nur als eine pragmatische, sondern auch als emotionale Angelegenheit beschrieben: Wer kauf, stillt Bedarf. Wer kauft, sucht das angenehme Erlebnis. Was für die Besorgung im Warenhaus Gültigkeit beansprucht, kann auf den Erwerb per Bestellung übertragen werden: Schon das Warten auf den Katalog war möglicherweise mit Vorfreude verbunden. Sein Studium wurde im Familien- oder Freundeskreis genossen und die eigene Produktkenntnis dabei stolz unter Beweis gestellt. Das erfolgreiche Ausfüllen des Bestellscheins sorgte als Ausdruck erworbener Kaufkompetenz vielleicht für anerkennenden Beifall. Und sein Abschicken konnte bereits in freudiger Erwartung der Dinge geschehen.

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Warenwege

Immer wieder wird in den Katalogen Bezug auf Graz als Unternehmenssitz genommen und angedeutet, wie die Waren ausgehend vom Bahnhof per Eisenbahn und Kutsche ihren Weg zu den Käuferinnen und Käufern finden. Tatsächlich lässt sich der Versandhandel im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert nicht von den wirtschaftlichen und technischen Bedingungen der Zeit trennen: Erst die verbesserte Kommunikationssituation, eine professionalisierte Infrastruktur und dadurch leichtere Transporte machten den massenhaften Versand von Waren möglich und wirtschaftlich attraktiv.

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Warenversorgung der Provinz

Die ländliche Bevölkerung wurde bis ins 19. Jahrhundert von ortsansässigen Greißlern und Hausierern versorgt, die ihr Angebot am Notwendigen orientierten. Mit dem Aufkommen der Warenkataloge wurden der Landbevölkerung Konsumgüter in bis dahin nicht bekanntem Maß zugänglich. Die Kataloge stellten aber nicht nur Waren vor: Sie trugen Bilder vom eleganten und pulsierenden Leben der Stadt in die Dörfer, sie verbreiteten Vorstellungen von Geschmack und Stil. Es war im Wesentlichen der Konsum, der ab dem späten 19. Jahrhundert zu einem Abschleifen der Kluft zwischen den ländlichen und städtischen Lebensweisen und zu einer schrittweisen Annäherung von Stadt und Land führte.

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Krieg im Katalog

Garantierte Warenverfügbarkeit, prompte Zustellung und feste Preise waren wesentlich mitverantwortlich für den Erfolg des Versandhandels. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914 ließ die Marktlage, die Kosten für Rohmaterial und Erzeugung zunehmend unberechenbar werden. Mehr oder weniger beiläufig teilten die Firmeneigentümer dies 1915 den Kundinnen und Kunden mit – noch nicht ahnend, wie sehr der Krieg ihren Wirkungsbereich verändern sollte: Mehrsprachige Hinweise an alle „in der Monarchie lebenden Völker“ sollten bald keine Leser/innen mehr finden.

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Verschwundene Dinge

Die Modewarenberichte des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts sind voll von Dingen, die es heute nicht mehr gibt, die in Vergessenheit geraten sind bzw. ihre Bedeutung als Massenware eingebüßt haben. Mit Glacé-Handschuhen, Miedern und Sonnenschirmen, Kinderschürzen und Damen-Nachtjacken, Herren-Unterbeinkleidern, Touristen- und Dieneranzügen, Chiffon- und Anstandsröcken, Fahnenstoffen, Wandschonern und geklöppelten Zwirnspitzen sind nicht nur Moden verschwunden, sondern auch Gewohnheiten und Alltagspraktiken, Rollenbilder und Schönheitsideale verloren gegangen.

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Verschwundene Dinge

Die Modewarenberichte des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts sind voll von Dingen, die es heute nicht mehr gibt, die in Vergessenheit geraten sind bzw. ihre Bedeutung als Massenware eingebüßt haben. Mit Glacé-Handschuhen, Miedern und Sonnenschirmen, Kinderschürzen und Damen-Nachtjacken, Herren-Unterbeinkleidern, Touristen- und Dieneranzügen, Chiffon- und Anstandsröcken, Fahnenstoffen, Wandschonern und geklöppelten Zwirnspitzen sind nicht nur Moden verschwunden, sondern auch Gewohnheiten und Alltagspraktiken, Rollenbilder und Schönheitsideale verloren gegangen.

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Warenhaus und Stadt

An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert bildete sich mit dem Warenhaus ein neuer und zentraler Faktor der städtischen Gesamterscheinung und Selbstinszenierung heraus. Wie beeinflusste die architektonische Erneuerung von Kastner & Öhler 1894/95 und noch einmal 1912/13 die Wirkungsweise und Nutzung der umliegenden Stadt? In welchem Zusammenhang standen Schaufenstergestaltung und Verhalten bzw. Gehgeschwindigkeit des flanierenden Publikums? Wie prägte das Warenhaus mit seiner Beleuchtung und Reklame die Erscheinung der nächtlichen Straßen?

Kritik an der Reklame

„Sie bedeckt alle leeren Mauern mit Inschriften, sie blickt aus allen Schaufenstern, stellt sich uns auf Weg und Steg entgegen [...]. Was du anschaust, die Firmen und Stecktafeln, die Wagen mit den goldenen Aufschriften, die Laterne, die beleuchtete Uhr, alles ist Reclame. Ueberall ist Reclame Haupt- oder Nebenzweck. [...] Auf der Straße fällt Dir ein auffälliges Placat in die Augen, Du reißest Dich gewaltsam los, da steckt Dir Jemand eine Geschäftskarte in die Hand. Du läßt sie unwillig fallen und setzest Deinen Weg fort, ohne einen Blick auf die Annoncensäulen zu werfen, ohne die wandernden Inseratenträger, die Sandwiches, die wandelnde und die fahrende Reclame zu beachten. [...] In der Nacht geht die Reclamelärm erst recht an. Die Vitrinen sind beleuchtet, die Annoncen-Kioske strahlen in farbigen Lichte, jede Laterne ist eine Reclame , und wenn Du auch das Alles nicht sehen willst, wenn Du den Blick unverwandt zur Erde geheftet hältst, auch da kannst Du der Reclame nicht entgehen, vom Straßenpflaster leuchtet sie Dir entgegen, denn auch die Laterna Magica ist in ihrem Dienste.“ (J. H. Wehle, Die Reklame. Ihre Theorie und Praxis. Uebersichtliche Darstellung des gesammten Ankündigungswesens, Wien, Pest, Leipzig 1880, S. 23–24)

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Reklame als Beruf

Mit ihrer wachsenden Bedeutung wurde Reklame auch in Graz zum Wirtschaftszweig und Betätigungsfeld. Ob Schildermaler und -gießer, Blechlackierer und Glaser – sie alle waren in der Werbebranche engagiert. Die Entwicklung des modernen Zeitungswesens, des grafischen Gewerbes und der Post stand mit dem Siegeszug der Reklame in Verbindung. Auch stieg die Zahl der Reklamebüros und Ankündigungsanstalten um 1900 stark an. Sie kümmerten sich um Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften, das Bekleben von Plakatsäulen, die Vermietung von Schaufenstern oder die Herstellung von Klischees, Entwürfen und Reklameartiken. Kurz nach der Jahrhundertwende bildete sich in Graz auch der Beruf des Schaufensterdekorateurs heraus.

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Zeitungsreklame

Mit kostengünstigen Zeitungen für alle begann ein neues Informationszeitalter. Innerhalb kurzer Zeit wurden sie zu den wichtigesten Vermittlerinnen des Neuen. Dies galt auch im Bereich der Waren, wo Anzeigen knapp über Mengen und Aussehen, Qualität und Preise der vorrätigen Waren unterrichteten. Grafisch waren die frühen Anzeigen wenig aufsehenerregend: Illustrationen und Bildelemente fanden erst langsam Verbreitung, das Provokante hatte hier keinen Platz. Anzeigen bestanden aus Text. Die Aufmerksamkeit der Betrachtenden wurde über Schrifttypen oder -größen, über Rahmungen, Verdichtungen oder den gezielten Einsatz von Freiräumen hergestellt.

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Reklame der Feierabende

Die Reklame entwickelte sich mit den technischen Möglichkeiten weiter. So ließ die Erfindung des elektrischen Lichts die Werbung am Ende des 19. Jahrhunderts in die Nacht vordringen. Das geschäftige Treiben und der Verkehr jener Zeit waren auf den Tag konzentriert, die abendliche und nächtliche Stadt war vergleichsweise unbelebt und still. Vom künstlichen Licht profitierten zu allererst die Schaufenster: Sie konnten nun auch in den Abendstunden von der flanierenden Bevölkerung bestaunt werden konnten, ebenso wie die zunehmenden Licht- und Beleuchtungsreklamen.

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Schilder

Für ein abwechslungsreiches Straßenbild sorgten um 1900 vor allem die Reklameschilder, die zahlreich vorhanden und vielseitig gestaltet waren. Schilder eigneten sich besonders, den eigenen Namen sowie angebotene Produkte und Markenartikel anzupreisen. Einsetzbar waren sie quasi überall: in Dachaufsätzen und Erkern, auf Dächern und Balkonbrüstungen, an Fensterbalken und Türflügeln, im Luftraum des Trottoirs, wo sie ihre Botschaften quer zum Straßenverlauf verkündigten. Allerdings fand ihre Präsenz nicht nur Zustimmung, was der folgende Auszug aus einem Stadtratsbericht von 1899 belegt: „Das ist heute in der Annenstraße geradezu collossal . [...] Man kann [...] vom 1. Stock nicht mehr hinausschauen vor lauter Ansteckschilder und sie sind [...] soweit herunter, daß man mit einem Regenschirm nicht durchgehen kann ohne anzustoßen.“ (Aus: Stadtratsbericht Nr. 31 vom 10. August 1899, S. 830)

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Ausgehängt, ausgelegt, aufgestellt

Kleinere Läden für Bekleidung, Schuhe und Textilwaren warben auch mit dem Aushängen, Auslegen und Ausstellen der Waren vor den Geschäften, an Eingangstüren, Planken und Wänden. Dieses Hinaustreten der Geschäfte in den öffentlichen Raum dürfte in Graz exzessive Formen angenommen haben, was zu Kritik führte – wie das folgende Beispiel aus 1897 zeigt: „Zuerst wird ein Schemel hinausgestellt mit Schuhen oder Pantoffeln, dann kommt eine ganze Stellage voller Schuhe und so wird immer weiter in das Trottoir vorgerückt, ja es wird sogar schon angefangen, die städtischen Gasständer bei den Häusern mit Teppichen etc. zu behängen.“ (Aus: Ansuchen des Herrn Samuel Schwarz um Bewilligung zur Aufstellung eines neuen Portales bei seinem Geschäftslocale Jakominigasse Nr. 1, Beziehungsweise Jakominiplatz Nr. 16 in der Gemeinderatssitzung vom 11. Oktober 1897, veröffentlich in: Amtsblatt Nr. 2 vom 20. Oktober 1897, S. 51)

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Reklame um 1900

Im späten 19. Jahrhundert stieg die Zahl der käuflichen Produkte enorm an. Die Zeit des Konsums zur reinen Bedarfsdeckung war vorbei. Geschäfte und Waren traten zueinander in Konkurrenz. Reklame, die das Neue und den Gebrauchswert versprach, wurde vor allem in den Städten zum Massenphänomen. Sie begegnete auf Schildern, in fixen oder mobilen Schaukästen, auf Plakaten und Hausgiebeln, auf Litfaßsäulen und in Zeitungen. Reklame arbeitete zunächst nicht mit überbordenden Versprechungen. Viel eher gab sie informierende Hinweise auf ein Geschäft und dessen Warensortiment.

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Definition: Reklame

„Reklāme (franz.), empfehlende Anzeige, bei der im Unterschied von der einfachen Annonce die Anwendung raffinierter Mittel zur Erweckung des öffentlichen Interesses wesentlich ist. Trotz der Ausschreitungen, welche sich in neuerer Zeit das Reklamewesen gestattet, und des Vorschubs, den es dem Schwindel leistet, ist es ein bedeutsames Kulturmoment unsrer Zeit, eine Macht, welche sowohl segensreich als auch verhängnisvoll auf den modernen Handel und Verkehr einwirkt […]“ (Meyers Konversationslexikon, Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885–1892, S. 712)

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Schaufenstergestaltung

Bereits früh wurde Schaufenstergestaltung professionell betrieben, es gab Anleitungen für die richtige Einrichtung und Dekoration. So empfahl der Werkbund-Anhänger Karl Ernst Osthaus, jedes Fenster durch einen klaren Rahmen zu definieren. Er plädierte dafür, reiche Ware vor neutralem Hintergrund zu präsentieren oder Neben- oder Unterordnung klar festzulegen. Er beschäftigte sich mit der optimalen Kombination von Dingen und der angemessenen Verwendung von Ständern, Tischen und Postamenten. Inbrünstig ereiferte er sich über die Benutzung der Ware als Stellage. „Gläser werden zusammengestellt, um eine Glasplatte zu tragen; eine Porzellanvase krönt das Ganze. Man wird Händlern, die so wenig Sinn für Funktion beweisen, auch im Leben jede Taktlosigkeit zutrauen dürfen!“ (Karl Ernst Osthaus, „Das Schaufenster“, in: Die Kunst in Industrie und Handel. Jahrbuch des Deutschen Werkbundes 1913, Jena 1913, S. 59–69)

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Typen von Schaufenstern

Um 1900 unterschied man mit dem Stapelfenster und dem szenischen Fenster grob zwei Schaufenster-Typen. In Graz dominierte das Stapelfenster: Eine Vielzahl gleichartiger Waren wurden eng an- und aufeinander liegend präsentiert. Unter bestmöglicher Raumausnutzung wurden Stoffe, Hosen oder Porzellangeschirre bis unter die Decke und an die Fensterscheiben aufgetürmt. Beim szenischen Fenster ging es weniger um das Demonstrieren von Fülle und Verfügbarkeit. Es sollte die Waren mit Atmosphären und Geschichten aufladen. Man zeigte die Produkte im Werdegang oder Gebrauch oder ließ sie zu Mitspielern fantastischer Geschichten werden, z. B. rund um Weihnachten.

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Auslage-Arrangeur

„Er dekoriert. Noch mehr. Er will den Spaziergängern Abwechslung und Unterhaltung bieten [...]. Flugs wird [das Schaufenster] unter seiner Hand zur kleinen Bühne, wo sich seine bildnerische Phantasie austobt. Seide ist dann nicht mehr Seide. Stiefel sind nicht mehr Stiefel, sondern Rohstoffe für seine höheren Zwecke. Er bildet aus schillernder Seide einen Wasserfall und errichtet aus Schuhen Pyramiden. Er baut einen Leuchtturm im Meer und ein vorüberfahrendes Schiff. Der Turm ist mit roten Servietten umwickelt, ein Vorsprung bildet eine Veranda am Turm, ebenfalls sehr sinnig aus Servietten gebildet, darauf eine Puppe steht mit einem Fernglas in der Hand. Sie sieht nach dem Schiffe aus.“ (Joseph August Lux, Das Schaufenster vom Standpunkt des Künstlers, in: Der Architekt 1903, S. 16)

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Schaufenster

Mit dem Schaufenster gewannen die Warenhäuser eine Bühne und ein monumentales Reklamemittel, um ihr Inneres als Versprechen nach außen zu tragen. Der Verkaufsraum war nur noch durch großflächige Scheiben vom Außenraum getrennt. Das vermittelte Durchlässigkeit und Durchgängigkeit, der Warenraum verschmolz nahezu mit dem Stadtkörper. Das Schaufenster schuf und steigerte Interesse durch künstliche Mittel. Es lockte und reizte die Begehrlichkeit. Es lud Ware mit Bedeutung auf. Dafür entstand um 1900 der Beruf des Dekorateurs.

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Stadt mitdefinieren

Das System Stadt entsteht unter wechselnden Bedingungen immer wieder neu. Im ausgehenden 19. Jahrhundert war das Warenhaus ein neuer, zusätzlicher Faktor für das städtische Leben. Seine imposante Architektur, die Schaufenster, Reklameaufschriften und seine Beleuchtung veränderten das Erscheinungsbild der Stadt. Das Warenhaus beeinflusste das Gehen und Stehen im räumlichen Umfeld. Es zog Menschen an und hinein. Durch Werbeaktionen, Ausstellungsaktivitäten und Serviceangebote konzentrierte es vorübergehend das Geschehen, um das Publikum dann an den öffentlichen Raum zurückzugeben.

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