Im Sommer 2023 verbrachte der in Melbourne/Australien geborene und in London lebende Künstler und Architekt Benjamin Reynolds (* 1984) einen Rechercheaufenthalt bei Manfred Mikl im Runddorf Zelting. Die um einen zentralen ovalen Dorfplatz angeordneten Häuser der südöstlichsten Gemeinde Österreichs entsprechen diesem in Österreich sehr seltenen Dorftyp.
In seinem Projekt Wanderhändlerweg setzt sich Reynolds mit der einst florierenden, heute beinahe verlorenen Tradition einer der ältesten Kulturpflanzen, dem Flachs, auseinander. Die langwierige und arbeitsintensive Kultivierung des Flachses war bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs auch in weiten Teilen der Steiermark, v. a. im Ennstal, aber auch in der Gegend rund um Bad Radkersburg, vorwiegend für den Eigengebrauch, verbreitet. Die Weiterverarbeitung des Flachses zu Leinentextilien stellte einen wesentlichen Anteil der lokalen Kultur und Wirtschaft dar. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts verdrängte die Baumwolle, später auch die Synthetikfaser, diese widerstandsfähige Kulturpflanze.
Reynolds’ Projekt versteht sich zudem als Auseinandersetzung mit der historischen Tradition des Wanderhändlers, der u. a. auch Stoffe aus Flachsleinen vertrieb. Diese fahrenden, meist weit gereisten „Hausierer“ legten viele Hundert Kilometer oft quer durch Europa zu Fuß zurück, um ihre Waren auch in abgelegene Siedlungen zu bringen. Mit diesen teils auch argwöhnisch beäugten Krämern ging auch ein wichtiger Wissens- und Kulturtransfer einher. Als kostengünstigere Konkurrenz zu den ansässigen Kaufleuten wurden ihnen bald massive Restriktionen entgegengesetzt, die sie zu umgehen suchten. Viele dieser reisenden Händler ließen sich aus wirtschaftlichen Gründen auf ihren Reisen nieder, was veranschaulicht, dass Migration kein neuzeitliches Phänomen ist.
Die Installation eines überdimensionierten, überdachten Wanderhändlerweges soll dieser mit der Region eng verwobenen Tradition des Wanderhändlers ein temporäres Zeichen setzen. In Zelting, im Grenzgebiet zwischen Österreich und Slowenien, erinnert dieser zudem an erste grenzüberschreitende Migrationsbewegungen. Durch die Einbettung der historischen Kulturpflanze Flachs, zum Teil aus dem Eigenanbau Mikls stammend, akzentuiert Reynolds einzelne Stellen der Installation als Reminiszenz seiner einst weit verbreiteten Kultivierung.