16.–17.03.2023
16.–17.03.2023
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Über 50 verschiedene Akteur*innen aus Museen, Kunst und Kultur kamen zusammen, um sich beim Workshop „Perspektiven der Öffnung. Diversität und Diskriminierungskritik im Museum“ auszutauschen, wie Museen zu Orten multiperspektivischer Geschichte ohne gesellschaftliche Ausschlüsse werden können.
Ein Bericht von Lisa Wonnebauer und Karoline Boehm.
Über 50 verschiedene Akteur*innen aus Museen, Kunst und Kultur kamen zusammen, um sich darüber auszutauschen, wie Museen zu Orten multiperspektivischer Geschichte ohne gesellschaftliche Ausschlüsse werden können. Der Museumsakademie-Workshop „Perspektiven der Öffnung. Diversität und Diskriminierungskritik im Museum“ im Nordico Stadtmuseum Linz (16.–17.03.2023) gab diversen Stimmen eine Bühne und inspirierte auf vielen Ebenen. Elisabeth Bernroitner, Ivana Pilić (D/Arts – Projektbüro für Diversität und urbanen Dialog) und Karoline Boehm (Museumsakademie Joanneum) kuratierten gemeinsam das Programm.
Aufs Neue wurde klar, dass eine Öffnung der Museen und kulturellen Institutionen eine komplexe, aber lohnende Aufgabe ist und nur dann funktionieren kann, wenn Personal, Programm und Publikum zusammen gedacht werden. Neben strategischen Ansätzen, kuratorischer Arbeit und vermittlerischer Praxis standen in der Veranstaltung insbesondere auch strukturelle Fragen wie Sammlungsstrategien und personelle Besetzung im Fokus. Nach Grußworten von Andrea Bina, Leiterin des Nordico Stadtmuseums Linz, startete die Veranstaltung mit einem Kennenlernen der Teilnehmenden. Neben dem durch D/Arts sorgfältig kuratierten Programm war es auch die Vielfalt der Erfahrungen und hochinteressierte Beteiligung der Teilnehmenden sowie ihr Austausch untereinander, die die Veranstaltung so besonders lebendig werden ließen.
Den Einstieg ins Thema gestaltete Künstlerin und Leiterin der WienWoche, Jelena Micić mit ihrer eindrucksvollen Keynote „On class matters – In search for contact zones in the museum“. Die Künstlerin und Kuratorin verknüpfte eine kulturanalytische Perspektive mit unterschiedlichen Perspektiven und symptomatischen Erfahrungen, die sie als Akteur*in des Feldes selbst innehat. In ihren Ausführungen zeigte sie einerseits gesellschaftliche Diskriminierungs- und Ausschlussmechanismen auf und analysierte andererseits den paradoxen Umgang mit ihnen im Ausstellungswesen und Museen. Letztere wurden von ihr als potenzielle Kontaktzonen betrachtet.
Entlang eigener künstlerischer Werke und Ausstellungen machte sie die Omnipräsenz von unterschiedlichen Privilegien sichtbar und zeigte variierende Rezeptionsweisen je nach biografisch begründetem Wissen auf. Deutlich wurde insbesondere, wie eng fehlende Bürger*innenrechte (z. B. durch Migration), Geschlecht und Klasse miteinander in Verbindung stehen, sowie der große Einfluss ökonomischer Rahmenbedingungen auf das künstlerische Werk und seinen Erfolg. Und dass Klasse auch aktuell eine Schlüsselkategorie bildet, will man die Ausschlüsse des Museums verstehen und überwinden. Micić thematisierte durchaus selbstreflexiv, wie einseitig die Konditionen von Partizipation häufig bestimmt würden und welche Interaktionen und Verhaltensweisen daraus hervorgingen: „Conditioned Participation begins with self-censorship and self-exotization, where individuals are obliged to perform expectations that are acceptable to the dominant culture.“
Ein Stück weit offen, und dadurch besonders spannend, bleiben ihre Frage nach dem möglichen (Un-)Gehorsam jener (un)dankbaren Immigrant*in, die Micić als Denkfigur einführt, und die Frage nach dem Handlungsspielraum der Institution Museum.
Danach folgten drei Kurzimpulse zu zentralen Themen gegenwärtiger Diversitätsdiskurse, die eine Basis für anschließende Gruppendiskussionen bildeten.
Die Verknüpfung von Klasse und Migration stand auch im Beitrag des Philosophen und Ausstellungskurators Ljubomir Bratić im Mittelpunkt. Eine neue Dimension eröffnete sich hier, weil er das Thema auch aus einer historischen Perspektive beleuchtete und das für Museen so zentrale Thema der Sammlungsstrategie, -praxis und -politik anspricht. Bratić stellte jene in den Vordergrund, die – obwohl zahlreich vorhanden – in kulturellen Institutionen kaum sichtbar seien: 35 % der erwachsenen Bevölkerung in Wien, die nicht über ein Wahlrecht verfügen, oder 60 % aller Kinder, die 2023 in Wien eingeschult wurden. Sie alle seien Menschen mit Migrationsgeschichte. Genau diese Menschen würden aber in den mehrheitsgesellschaftlichen Kulturinstitutionen trotz geschichtsaktivistischer Forderungen und Aktionen seit den frühen 1990er-Jahren bislang kaum repräsentiert. Auf Basis dieser Thesen formulierte Bratić einen klaren Auftrag an Museen: Es gelte, Migrationsgeschichte zu sammeln und zu zeigen, jedoch immer mit zentraler Mitsprache von Menschen mit Migrationsbiografie. Ljubomir Bratić formulierte dies als zentrale Maßnahmen, um eklatante Lücken in der österreichischen Geschichtsschreibung schließen zu können. Als besonderer Erfolg in diesem Zusammenhang und wichtiger Ansprechpartner kann das MUSMIG (Museum der Migration) erwähnt werden, das aus dem seit Längerem betriebenen Archiv der Migration hervorgegangen ist. Ähnlich dem Queer Museum Vienna wartet auch das MUSMIG mit der Forderung nach einem eigenen, themenspezifischen Museum auf und hatte zuletzt im Volkskundemuseum Wien einen temporären Rahmen gefunden, um zentrale Themen einer transnationalen Stadtgesellschaft in den Raum zu bringen.
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Wilhelm Binder, Künstler und Mitglied des Vereins Queer Museum Vienna, gab anschließend Einblicke in die im Frühjahr 2023 noch sehr frische Geschichte des Museums beziehungsweise der „künstlerischen Geste der Behauptung, ein queeres Museum zu sein“. Er zeigte das Spannungsfeld zwischen der Starrheit der Institution Museum und der Dynamik des Begriffes Queerness auf. Im Vordergrund stand hierbei das sensible und selbstreflektierende Vorgehen, queere künstlerische Arbeiten, Kultur und Lebensweise zu musealisieren. Seit dem Zeitpunkt des Vortrages ist das Queer Museum Vienna mit zahlreichen Ausstellungen und Veranstaltungen sichtbar geworden und hat mittlerweile fixe Räume bezogen.
Die Kunstvermittlerin und Pädagogin Nadja Al-Masri-Gutternig gab in ihrem Impulsvortrag Einblicke in ihre gegenwärtige Arbeit als Leiterin des Prozesses „Barrierefreiheit und Inklusion“ im Salzburg Museum. Mit im Fokus steht hier die Erarbeitung von Ausstellungstexten in einfacher Sprache, interaktiven Deutschkursen im Museum, Rundgängen für Menschen mit Sehbeeinträchtigungen, aber auch Beratung in Sachen Orientierung, Raumgestaltung und -Möblierung in der Produktion von Ausstellungen. Sie stellte heraus, dass das Recht auf eine gleichberechtigte Teilnahme am kulturellen Leben in Österreich gesetzlich verankert sei, die Umsetzung im Museumsbereich jedoch vielfach an budgetären Engpässen oder der falschen Haltung scheitere. Nadja Al-Masri-Gutternig zeigte, mit welchen einfachen Mitteln Ausstellungen inklusiver gemacht werden können, welche Kooperationspartner*innen miteinbezogen werden sollten und dass mehr Inklusion und Barrierefreiheit einen Mehrwert für die gesamte Gesellschaft bringen.
In anschließenden Diskussionen bot sich in Kleingruppen Gelegenheit, Aspekte der Impulsvorträge zu vertiefen und weitere Fragen an die Referent*innen zu richten.
Am Ende des ersten Workshoptages standen Positionen und Projekte von Asma Aiad im Zentrum. In ihrem Vortrag gab die Konzeptkünstlerin und Aktivistin Einblick in das von ihr mitentwickelte Festival muslim*contemporary, sowie die Arbeit von Salam Oida. Der anschließende Coffee-Table-Talk, zwischen Ivana Pilić und Asma Aiad, stand unter dem Titel „Multiperspektivische Zugänge gestalten“. „Muslim*contemporary“ versteht sich als partizipatives Festival für zeitgenössische muslimische Kultur, das anhand verschiedener Formate wie Workshops, Diskussionsrunden, Lesungen und Konzerten den Stellenwert und die Vielfältigkeit muslimischer und muslimisch gelesener Menschen in Österreich reflektiert. Dieses Thema wird im musealen Kontext bis jetzt vernachlässigt, nimmt aber stetig an Relevanz und Wichtigkeit zu, was auch deutlich am großen Interesse aus dem gesamten deutschsprachigen Raum an dem in Wien, zunächst in der Akademie der bildenden Künste, veranstalteten Festival geschlussfolgert werden kann.
Beim anschließenden Round Table wurde über die Rolle von Kunst in gesellschaftlichen Transformationsprozessen diskutiert, über Intersektionalität, Pluralismus, die Wichtigkeit langfristiger und nachhaltig gedachter Projekte sowie über erstarrte Institutionen.
Der zweite und letzte Tag des Workshops startete mit einem etwas anderen Programmpunkt: „Embodied Knowledge: Innovative Haltungen entwickeln“ mit der Coachin Ivana Scharf. Im Gegensatz zu einer rationalen Herangehensweise an das Thema schlägt die von Ivana Scharf vorgestellte „Theorie U“ des Aktionsforschers C. Otto Scharmer die Bildung einer innovativen Haltung durch eine Öffnung des Denkens, Fühlens und Willens vor. Nach einem theoretischen Teil wurde ein weiterer Aspekt der „Theorie U“ umgesetzt: Das „Social Presencing Theater“, eine körperliche Visualisierungsmethode zur Sichtbarmachung festgefahrener Situationen. Die Feedbackrunde ergab, dass die unbewussten Bewegungen durch die anderen Teilnehmer*innen meist überraschend treffend analysiert und die dargestellten Probleme klar wahrgenommen werden konnten. Diskutiert wurde, inwieweit diese Übungen in den jeweiligen Institutionen mit Kolleg*innen umgesetzt werden könnten.
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Mit dem anschließenden Beitrag von Neda Hosseinyar und Denise Palmieri, zu diesem Zeitpunkt beide Co-Präsidentinnen der VbKÖ, richtete sich der Fokus auf die Wichtigkeit von Institutionen zur Stärkung marginalisierter Gruppen im Kunst- und Kulturbereich. Hosseinyar und Palmieri gaben Einblicke in die Geschichte und Gegenwart der bereits 1910 begründeten „Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs“ (VbKÖ). Besonders im Zentrum stand der sehr grundlegende Reformprozess, den die VbKÖ in jüngster Vergangenheit durchlaufen hat und den die beiden Referent*innen als Mitglieder des Vorstandes mitsteuerten. Beschrieben und diskutiert wurde, wie die veralteten und diskriminierenden Statuten und Strukturen des Vereins modernisiert wurden: Etwa durch die Etablierung eines Vorstandsgremiums und die Entwicklung eines Addendums zu den bestehenden Statuten. Dieses verankert nun offiziell die neue feministische, queere, antipatriarchale, antirassistische, antidiskriminierende Haltung des Vereins in deren Verordnung. Sehr deutlich wurde durch den Beitrag die große Notwendigkeit, sich neuen Diskursfeldern gegenüber nicht zu verschließen. Vielmehr gelte es ihnen produktiv zu begegnen, einen sicheren Rahmen für Veränderungen zu schaffen und Dynamik auch auf der Leitungsebene zuzulassen, um die Stärke der Organisationen überzeitlich zu sichern.
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Nach den vielfältigen und dichten Vorträgen und Diskussionen zu unterschiedlichsten Aspekten kritischer Diversitätspraxis und Fragen institutioneller Öffnung und Intervention lag der Fokus im letzten Block auf einem einzelnen Ausstellungsprojekt. Dank der großen Offenheit und Bereitschaft des Nordico-Stadtmuseums und seines Teams sowie von wichtigen Kultur- und Diskriminierungs-Expert*innen aus Linz war es möglich, nicht nur die fertige Ausstellung What the Fem*? Feministische Perspektiven 1950 bis heute zu analysieren, sondern auch die Genese des Ausstellungsprojektes selbst unter die Lupe zu nehmen.
In Gesprächen mit Chrislane Barros Bomfim da Silva vom Verein Japoo, Kim Carrington vom Verein das kollektiv, Sarah Feilmayr und Letitia Lehner von Mooi Design und Karin Schneider vom Nordico Stadtmuseum bot sich die Möglichkeit, an unterschiedlichen Sichtweisen, Erlebnissen und Beteiligungsformen ein und desselben Entstehungsprozesses teilzuhaben. Durch die Bereitschaft, über den Prozess der Ausstellungsproduktion zu sprechen, bot sich den Teilnehmenden ein äußerst spannendes Lehrstück für partizipative Museumsarbeit. Dass gut gemeint nicht immer gleich gut gemacht ist, welche Rolle Zeitpläne und eigene Positioniertheit spielen und wie unterschiedlich die Vorstellungen von einer ‚guten Ausstellung‘ sein können, wurde in vielfältiger Weise sichtbar.
Die Bereitschaft, nicht nur Konsens, sondern auch Dissens auszuhalten, zu artikulieren, Kritik zu hören und zu reflektieren, war auf allen Seiten bemerkenswert und ließ die Teilnehmenden erfüllt von neuen Perspektiven, Methoden und Ideen für die eigene Museumspraxis aus dem Workshop gehen.
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