27.-28.06.2024
27.-28.06.2024
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Feelings ... Nothing more than feelings: Mit Emotionen und der Frage, wie mit ihnen im Museumskontext umgegangen wird, setzten wir uns im Workshop "Große Gefühle. Museum und Emotion" auseinander, der in Kooperation mit dem Jüdischen Museum Wien am 27. und 28. Juni 2024 im Mozarthaus Wien stattfand.
Ein Bericht von Elisabeth Magesacher.
Neugier, (Vor-)Freude und ein Hauch von Panik kam auf, als ein Filmdreh in der Wiener Innenstadt den Zugang zum Veranstaltungsort kurzzeitig erschwerte: Der Morgen des ersten Workshoptages war von vielen Emotionen begleitet. Dass das Thema „Museum und Emotion“ die teilnehmenden Museumspraktiker*innen auf vielfältige Weise beschäftigte, wurde bereits bei der Vorstellungsrunde deutlich: „Emotionen vermitteln, ohne zu emotionalisieren“, „Wie können Menschen erreicht werden?“, „Mental Health im Museum“ waren einige der Wortmeldungen.
„Emotionen entstehen oft, bevor Menschen ins Museum gehen, und werden dann entweder erfüllt oder enttäuscht“: In der Einführung zur Veranstaltung thematisierten Teresa Mocharitsch vom Leitungsteam der Museumsakademie und die Direktorin des Jüdischen Museums Wien Barbara Staudinger die Allgegenwärtigkeit von Emotionen in der Gesellschaft und wie Museen mit diesen umgehen.
„Feel your way through decision making“, riet Marzia Varutti zu Beginn ihres Vortrags „Emotional engagements in museums through affective curatorship“ den Workshop-Teilnehmenden für ihre Arbeit im Museumsbereich. Wir agieren immer in einem emotionalen Netzwerk, dessen wir uns manchmal mehr, manchmal weniger bewusst seien. So veröffentlichte sie auch ein Toolkit for Caring Museums. In ihrer Präsentation erläuterte sie das Konzept des „affective curatorship“.
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Wie werden Emotionen als Vermittler genutzt oder aber missbraucht und zur Manipulation von Menschen eingesetzt? Mit diesen Fragen beschäftigte sich Sabine Winkler in ihrem Beitrag „Mood Swings und Mind Hops. Relationen zwischen Emotion und Ratio, Anmerkungen zu einer Ausstellung im MQ“. Im ersten Teil der Präsentation diskutierte sie drei Positionen der Ausstellung, während sie im zweiten Teil über die Verbindung des vermeintlichen Gegensatzes von Emotion und Ratio reflektierte.
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„Was verbindest du mit dem Begriff ‚jüdisch‘?“, fragte uns Hannah Landsmann am Nachmittag im Jüdischen Museum Wien und gab damit Einblicke in das Vermittlungsprogramm. Im Schaudepot des Museums in der Dorotheergasse und in weiteren Ausstellungsbereichen wie der Dauerausstellung „Unsere Stadt! Jüdisches Wien bis heute“ diskutierten wir während einer englischsprachigen Führung unter anderem Fragen wie: „Is it okay to show antisemitic objects in a Jewish museum, and if so: how?“, „Who is the ,we‘ in ,Our City‘?“ und „Is it okay to let the visitors invent stories around objects?“ In der Ausstellung „Who Cares? Jüdische Antworten auf Leid und Not“, in der Empathie und Hilfestellung thematisiert wurden, sollten wir uns ein Objekt für unser persönliches „Care-Paket“ aussuchen und fotografieren, was einen besonderen Blick auf die Ausstellung ermöglichte.
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Der zweite Workshoptag begann mit einer Reflexion über das bisher Gehörte und einer Gesprächsrunde mit Barbara Staudinger, die Hannes Sulzenbacher vertrat, der krankheitsbedingt leider nicht an der Veranstaltung teilnehmen konnte. Im Gespräch diskutierten wir offene Fragen und Verbindungen zwischen den einzelnen Beiträgen: Mit welchen Gefühlen sollen die Besucher*innen das Haus verlassen? Wie gehen wir mit unangenehmen Gefühlen der Besucher*innen um? Steht das Museum im Dilemma, da es vorwiegend angenehme Gefühle vermitteln möchte, damit dem Publikum der Museumsbesuch selbst in guter Erinnerung bleibt? Konsens herrschte darüber, dass wir die Emotionen der Besucher*innen weder steuern können noch möchten, sondern dass wir vielmehr Emotionen anbieten, die die Besucher*innen mitnehmen können.
Diskutiert wurde auch, inwieweit wir das Didaktische stärker mitdenken müssen, beispielsweise bei der Vermittlung von Geschichte (Stichwort: Waldheim) in jüdischen Museen. Welche Verantwortung hat ein Museum und welche Haltung nimmt es ein? Welche Nutzung durch bestimmte Personen möchten Museen dezidiert nicht? Als Beispiel diente hier Hitlers Geburtshaus, dessen Nutzung im Film „Wer hat Angst vor Braunau? Ein Haus und die Vergangenheit in uns“ (AT 2023, Regie: Günter Schwaiger), präsentiert bei der Diagonale 2024, thematisiert wurde. Ein weiteres erwähntes Beispiel war das sich in Auflösung befindende Dollfuß-Museum in Texingtal in Niederösterreich,[1] dessen Schließung schon seit Jahren gefordert wird.[2]
Unterstrichen wurde die zentrale Rolle von personalisierter Vermittlung im Museum. Vermittlung gelingt nicht auf reiner Objektebene „aus sich heraus“, sondern benötigt Vermittlungspersonen als Brücken. Außerdem wurde diskutiert, was das Museum zu einem gefühlt sicheren Ort macht: Wie kann ein Safe Space im Museum aussehen? Was braucht es, damit sich Besucher*innen wohl und geschützt fühlen?
[1] Siehe auch: noe.orf.at/stories/3229207/ (letzter Zugriff: 12.10.2024)
[2] Dies und die Emotionen, die das umstrittene „Museum“ auslöst, sind auch an den Kommentaren im Online-Diskussionsforum unter dem oben verlinkten Standard-Artikel sichtbar: Ein User schreibt: „Dass es überhaupt ein Museum für diesen XXX gibt, ist ein Wahnsinn!”, worauf ein anderer User antwortet: „Das ist kein Museum im eigentlichen Sinn, sondern eine Huldigungsstätte!” (Quelle: www.derstandard.at/story/3000000191940/umstrittenes-dollfuss-museum-in-texingtal-wird-binnen-fuenf-jahren-aufgeloest; letzter Zugriff: 12.10.2024)
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Barbara Staudinger thematisierte besonders Emotionen vor dem und im Jüdischen Museum, auch im Zusammenhang mit der aktuellen politischen Situation in Europa. So werden im frei zugänglichen „Schaufenster“ in der Dorotheergasse „Mini-Ausstellungen“ zu aktuellen Themen präsentiert, wie die Bilderserie „October 7th, 2023“ der Künstlerin Zoya Cherkassky-Nnadi. Das Format „Schaufenster“ soll eine Verbindung zwischen dem Museum und der Welt herstellen, wobei Emotionen erzeugt werden können.
Gefühle, so Staudinger, entstehen schon vor dem Ausstellungsbesuch, und sie werden manchmal enttäuscht: Besucher*innen bekommen etwas anderes, als sie erwartet hatten. Der Besuch des Jüdischen Museums werde von vielen Besucher*innen vor allem mit dem Holocaust in Verbindung gebracht: Zwar sei die Shoah in die Objektgeschichten eingeschrieben, dennoch sei das Jüdische Museum Wien kein Holocaust-Museum und es werden in jüdischen Museen nicht immer ausschließlich problematische Geschichten erzählt. Dies war auch Thema in der Ausstellung „100 Missverständnisse über und unter Juden“, die viele Emotionen und Diskussionen hervorgerufen hatte.
Auch diskutierten wir über die Ausstellung „Die letzten Tage der Demokratie“ im Jüdischen Museum Wien. Als „leises Unbehagen“ beschrieb ein Workshopteilnehmer seine Emotionen in dieser Ausstellung und fragte: „Müssen wir schockieren und das Schockierende noch überbieten?“ Andere Teilnehmende wiederum berührte die Ausstellung emotional, auch durch die harte Sprache. „Ratten im Jüdischen Museum? Darf man das? Darf ein Museum so politisch sein?“ – diese Frage habe laut Staudinger auch das Museumsteam beschäftigt. Ihre Antwort: „Ein Museum ist ein politischer Ort und hat Verantwortung. Alles, was man in einem Museum tut, ist eine politische Aussage und wird auch von den Besucher*innen so gelesen.“
In diesem Workshop tauschten wir uns unter Anleitung von Teresa Mocharitsch in Kleingruppen im Format „Worldcafé“[1] zu den Überthemen „Besucher*innen“, „Öffentlichkeit“, „Objekte“ und „Institution“ aus. An einer weiteren Station wurde unter der Anleitung von Marco Veronesi über Historische Emotionsforschung am Beispiel des Digital Storytelling nachgedacht.
Zuerst wurden in einem Brainstorming Emotionen gesammelt, die man mit dem jeweiligen Überthema verbindet, dann wurden diese kontextualisiert und Strategien entwickelt. Diskutiert wurden hier unter anderem Aspekte wie „Vieldeutigkeit von Objekten“ und „Ehrlichkeit gegenüber Hierarchien“. Auch beschäftigten uns Fragen wie „Was ist das Interessante an diesem Objekt? – Können wir voraussetzen, dass die Besucher*innen dies wissen, oder wie können wir es vermitteln?“, „Gibt es Gefühle, die für alle Besucher*innen gleich funktionieren?“, „Hat es Sinn und Zweck, historische Emotionen darzustellen?“ Auch die belastenden Arbeitsbedingungen im musealen Umfeld mit befristeten Verträgen und hohem Arbeitspensum wurden thematisiert.
Als mögliche Strategien wurden unter anderem erarbeitet: „Emotionale Skills der Besucher*innen aktivieren und einbinden“, „Kontinuierliches Feedback einsammeln“, „Arbeitsbelastung im Museum thematisieren“ und „Arbeitsbedingungen verbessern: bessere Bezahlung, keine Befristungen“.
[1] Das World Café ist eine Diskussionsmethode, bei der sich die Teilnehmenden in Gruppen zu bestimmten Fragestellungen austauschen. Genauere Informationen zu diesem Format finden sich zum Beispiel hier oder hier.
Den Abschluss der Veranstaltung bildete Rainer Schimpf mit seinem Vortrag, in dem er konkret die Umsetzungen der Ausstellungen „Gier – Hass – Liebe. Die Emotionentrilogie im Haus der Geschichte Baden-Württemberg“ thematisierte.
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Rainer Schimpf spannte am konkreten Praxisbeispiel dreier Ausstellungen den Bogen zu den Fragen, die uns während des zweitägigen Workshops begleitet hatten und die wir in der gemeinsamen Abschlussdiskussion nochmals aufgriffen: Welche Gefühle möchten wir den Besucher*innen vermitteln? Möchten wir „zum Nachdenken anregen“, „irritieren“, „inspirieren“ oder „zum Handeln motivieren“? Wie können wir Besucher*innen auch bei schwierigen Themen abholen und wie gehen wir mit unangenehmen Gefühlen der Besucher*innen um? Die lebhaften Diskussionen zeigten das Potenzial und die Komplexität dieses Themas für das Museum, das Vermittler*innen, Kurator*innen, Szenograf*innen und Wissenschaftler*innen gleichermaßen beschäftigt.
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