23.-24.05.2022
23.-24.05.2022
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Kinder betreuen, Angehörige pflegen, Putzen: Care-Arbeit kann viele Formen annehmen, wird zumeist von Frauen übernommen, und ist für das Funktionieren von Gesellschaft unverzichtbar. Ein zweitägiger Workshop in der DASA in Dortmund widmete sich der Frage, welche Potenziale das Thema Care-Arbeit für Museen hat.
Dokumentation von Anna Jungmayr
Spätestens seit der Corona-Pandemie gibt es eine öffentliche Diskussion um die „Systemrelevanz“ von Care-Tätigkeiten. Gleichzeitig werden diese häufig abgewertet bzw. erst gar nicht als „Arbeit“ anerkannt, da sie im Sinne der kapitalistischen Verwertbarkeit nicht als „produktiv“ gelten. Dies spiegelt sich nicht nur in ihrer schlechten oder gänzlich fehlenden Entlohnung wieder, sondern auch in ihrer symbolischen Abwertung – so auch im Museum, wo Care-Arbeit häufig ungenügend oder gar nicht dargestellt wird. An diese Problematik knüpfte der Workshop Arbeit. Sorge. Museum. Konzepte von Care-Arbeit in Ausstellungen an, der von 23. bis 24. Mai 2022 in Dortmund stattfand. Der Workshop wurde von Eva Tropper (Museumsakademie Joanneum, Graz) und Christine Braunersreuther (Museologin und Kuratorin, Graz) in Kooperation mit der DASA Arbeitswelt Ausstellung (Dortmund) organisiert und widmete sich den Fragen nach Möglichkeiten des Ausstellens von Care-Arbeit im Museum und den spezifischen kuratorischen Herausforderungen des Themas. Es ging aber auch darum, inwiefern Kuratieren selbst als Care-Arbeit begriffen werden kann.
Den Auftakt des Workshops bildeten zwei Inputs von Sabine Kritter (Berlin) und Christine Braunersreuther: Anhand der Analyse von Ausstellungen über Arbeit umrissen sie den Themenkomplex der musealen Repräsentation von Arbeit allgemein – und Care-Arbeit spezifisch. Neben einem geführten Rundgang durch den kürzlich eröffneten Bereich Heilen und Pflegen in der Dauerausstellung der DASA Arbeitswelt mit den Kuratorinnen Katrin Petersen und Sarah-Louise Rehahn bildete die Präsentation rezenter Ausstellungen zum Themenkomplex Care-Arbeit einen zentralen Bestandteil des Workshops: Stefania Soraperra-Pitscheider (Frauenmuseum Hittisau) besprach am Beispiel der Ausstellung Pflege das Leben Potentiale kollaborativ-partizipativen Kuratierens. Christine Braunersreuther fokussierte in ihrer Präsentation von HILFSLINIEN – LINIJE POMOČI auf Herausforderungen bei der sensiblen Repräsentation von 24-Stunden-Betreuerinnen und ihrer Tätigkeit. Jorinde Splettstößer und Linnéa Meiners (Galerie im Turm, Berlin) zeigten anhand der Ausstellungsreihe MY WORKING WILL BE THE WORK diverse Möglichkeiten künstlerischer Auseinandersetzungen mit Care-Arbeit. Den Abschluss des Workshops bildete ein inspirierender Besuch des feministischen atelier automatique (Bochum) mit einem Input von Eva Busch.
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Care-Arbeit umfasst „bezahlte wie unbezahlte personenorientierte Versorgungsleistungen, die sich an den Bedürfnissen anderer Menschen oder der eigenen Person orientieren“.[1]
Im Gegensatz zu verwandten Begriffen (z.B. Reproduktionsarbeit) stehen bei Care-Arbeit Tätigkeiten im Fokus, in denen es um zwischenmenschliche Beziehungen geht. Wichtige Vordenker*innen für die gegenwärtigen Debatten um Care-Arbeit waren insbesondere marxistische Feministinnen der 1970er Jahre wie das International Feminist Collective (u.a. Silvia Federici, Selma James und Mariarosa Dalla Costa), das (unbezahlte) Reproduktionsarbeit mit der Kampagne „Wages for Housework!“ politisierte.[2]
Mit dieser Forderung wurde auf die Unterdrückung von Frauen in der kapitalistischen Produktionsweise aufmerksam gemacht und gleichzeitig auf die gesellschaftliche Notwendigkeit von Hausarbeit, respektive ihrer Neuorganisation, hingewiesen.
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Die vergeschlechtlichte Dichotomisierung von Arbeit spiegelt sich auch im Museum wieder: Während etwa Stadt-, Arbeits-, oder Technikmuseen Care-Arbeit selten explizit zum Thema in Ausstellungen machen, ist Arbeit im Bereich von Industrie und Handwerk stark sichtbar. Im Sinne des feministischen Kuratierens ist es daher wichtig, Sorgearbeit aus der musealen Unsichtbarkeit zu holen, sie als fundamentale Grundlage für das Funktionieren von Gesellschaft zu benennen und ihre Abwertung zu kritisieren. Es geht aber auch um die Frage nach der Darstellbarkeit von Care-Arbeit vor dem Hintergrund der Lücken, die es im Hinblick auf materielle Überreste der Geschichte von Arbeit und Care-Arbeit in musealen Sammlungen gibt. Und es geht um Möglichkeiten des Sichtbarmachens der großen Diversität von Care-Tätigkeiten, ohne in eine Stereotypisierung bzw. eine Verfestigung von Geschlechterrollen zu verfallen.
Die Politikwissenschaftlerin Sabine Kritter, die zuletzt die Ausstellung Karl Marx und der Kapitalismus im Deutschen Historischen Museum kuratierte, stellte in ihrer Dissertation[3] Unterschiede zwischen der Darstellung historischer und gegenwärtiger Arbeit in Arbeitsmuseen fest: Historisch wird Arbeit mittels verschiedenster Objekte, die der Produktionssphäre zuzuordnen sind, als gesellschaftsstrukturierend dargestellt. Mit dieser Darstellung von Arbeit waren und sind Museen maßgeblich daran beteiligt, ein homogenes Sinnbild von Arbeit als körperlich schwere, männliche Industriearbeit zu prägen. Dabei wurden und werden nicht nur (in der Industrie) lohnarbeitende Frauen ignoriert, sondern auch Arbeiten, die außerhalb der Produktionssphäre angesiedelt sind.
Seit der Industrialisierung haben sich Strukturen und Inhalte von (Lohn-)Arbeit verändert: Die heutige Arbeitswelt zeichnet sich durch komplexe Netzwerke, kleinteilige Arbeitsteilung und Individualisierung aus. Die dinghafte Ebene der Industriearbeit (z.B. spezifisches Werkzeug oder Maschinen) hat etwa im Dienstleistungssektor keine eindeutigen Äquivalente. Für eine am Ausstellen von „Objekten“ geschulte kuratorische Praxis ist es schwierig, neuere Formen von Arbeit überhaupt zu visualisieren. Durch das Fehlen von Bildern gegenwärtiger Arbeit kommt es zu einer „Krise der Sichtbarmachung“ und somit zu dem Phänomen, das Kritter als „Imaginationskrise von Arbeit“ bezeichnet. Standen beim Ausstellen von historisch-industriellen Formen des Arbeitens Arbeitsbedingungen und Herstellungsprozesse im Fokus, so entsteht beim Ausstellen von Arbeit in der Gegenwart ein Vakuum, das oft durch die Präsentation von (industriell gefertigten) Waren gefüllt wird. Doch die reine Präsentation von Produkten macht nicht nur die Bedingungen ihrer Herstellung unsichtbar, sondern auch jene Arbeiten, die keine Produkte erzeugen – insbesondere personenbezogene, feminisierte Care-Arbeit. An die zukünftige Darstellung von Arbeit in Ausstellungen formulierte Kritter die Anforderung, insgesamt aktualisierte und diversifizierte Bilder von Arbeit zu entwickeln, und mehr Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Arbeit nach wie vor gesellschaftsstrukturierend wirkt.
Christine Braunersreuther knüpfte an diese Einführung mit einer Untersuchung der Spezifika der musealen Darstellung von Care-Arbeit an. In ihrer Analyse von fünf Ausstellungen bzw. Projekten zum Thema Arbeit orientierte sie sich an folgenden Fragestellungen, die nicht nur als nützliches Werkzeug für die Analyse, sondern auch als Leitlinie für das Kuratieren zukünftiger Ausstellungen dienen können: Wird in den betrachteten Ausstellungen Care als Arbeit dargestellt? Wie wird Care-Arbeit dargestellt? In welchem Umfang? Wo hätten Care- und Sorgethematiken Platz finden können und sollen?
Die Untersuchung ergab, dass Care-Arbeit selten als Arbeit dargestellt wird – selbst in Projekten und Ausstellungen, die um eine diversifizierte Darstellung von Arbeitsverhältnissen bemüht sind. Ein Beispiel dafür ist das Filmprojekt Eine Einstellung zur Arbeit / Labour in a Single Shot: Antje Ehmann und Harun Farocki produzierten zwischen 2011 und 2014 in weltweit 15 Städten Kurzvideos zum Untersuchungsgegenstand „Arbeit“. Obwohl das Projekt eine sehr gute Ressource für die Visualisierung heutiger Arbeit darstellt, macht es deutlich, wie wenig Care-Arbeit im allgemeinen Arbeitsverständnis vorkommt: Zwar werden Care-Arbeiten thematisiert, explizit werden sie allerdings nur in etwa 20 von insgesamt 413 Filmen gezeigt. Erweitert um die implizite Thematisierung geht es in 45 Filmen um Care-Arbeit, etwa im Film „Maids Leaving“ (Rio de Janeiro, 2012), in dem Haus- und Kindermädchen (bis auf eine Ausnahme nur Frauen) zu sehen sind, die vor einer Gated Community – ihrem Arbeitsplatz – nach getaner Arbeit in den Bus einsteigen.
Wie lassen sich Bilder gegenwärtiger Care-Arbeit in Ausstellungen entwickeln, die Ungleichheit sichtbar machen, aber weder voyeuristisch noch stereotypisierend sind? Auf diese Frage gibt es nicht die richtige Antwort. In einem Aspekt waren sich die Workshopteilnehmer*innen jedoch einig: Es bedarf der Involvierung und des Blicks von Care-Arbeiterinnen selbst.
Wie eine solche Kollaboration aussehen kann, zeigt der 2021 eröffnete Ausstellungsbereich Heilen und Pflegen in der DASA Arbeitswelt. Ursprünglich als Bildungseinrichtung des deutschen Arbeitnehmer*innenschutzes eingerichtet, zielen die Ausstellungen der DASA vor allem darauf ab, Schüler*innen Einblicke in unterschiedliche Berufsfelder zu geben. Der neue Ausstellungsbereich Heilen und Pflegen machte erstmals explizit Care-Arbeitsfelder zum Thema und wurde unter anderem zusammen mit Pflegeschüler*innen kuratiert. Dabei kristallisierte sich deren Wunsch heraus, dass ihr Beruf in der Ausstellung „nicht wie in den Medien“ dargestellt wird, deren Fokus häufig auf Missständen in der Pflege liegt. Stattdessen wollten sie den Aspekt der Sinnstiftung als Motivation für die Berufswahl stärker thematisieren. Eine große Bedeutung kam also der symbolischen Aufwertung von Pflegeberufen sowie der Veranschaulichung spezifischer beruflicher Kompetenzen – etwa dem richtigen Heben oder Waschen von Personen – zu. Da sich die meisten Besucher*innengruppen in den einzelnen Ausstellungsbereichen in der DASA selten länger als zehn Minuten aufhalten, waren auch in diesem neuen Bereich schnell vermittelbare Leitobjekte und ein übersichtliches Design notwendig. Interaktive Stationen geben einen praxisnahen Einblick in Heil- und Pflegeberufe. Gestalterische Elemente wie große Schriftzüge von Verben (z. B. „pflegen“, „heilen“) sowie Detailfotos von Händen bei der Ausführung von Pflegearbeiten rücken konkrete Tätigkeiten in den Mittelpunkt und bieten die Möglichkeit, Stereotypisierungen – etwa in Bezug auf Geschlecht – zu vermeiden.
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Als weiteres Beispiel für partizipatives Kuratieren stellte Christine Braunersreuther die von ihr erarbeitete Ausstellung HILFSLINIEN – LINIJE POMOČI (Pavelhaus, Bad Radkersburg, 2020) vor: Diese widmete sich der 24-Stunden-Personenbetreuung in Österreich, die großteils auf Migrantinnen aus Osteuropa ausgelagert wird. Christine Braunersreuther, die dazu Interviews mit 24-Stunden-Betreuerinnen führte, interessierte sich vor allem für die Perspektive der Betreuerinnen auf ihren eigenen Arbeitsalltag. In den Interviews ging es jedoch nicht nur um die Kompetenzen, die die Care-Arbeiterinnen mitbringen müssen und um die Beschreibung ihrer Tätigkeiten, sondern auch um Herausforderungen im Umgang mit den Behörden und der Bürokratie sowie um die fehlende Privatsphäre am Arbeitsort. Um dem Wunsch der Interviewpartnerinnen nach Anonymität und Entpersonalisierung nachzukommen, aber gleichzeitig den persönlichen Charakter der individuell geschilderten Erfahrungen beizubehalten, ergab sich für die Ausstellung eine intensive Zusammenarbeit mit der Comiczeichnerin Tine Fetz. Über das Medium Zeichnung ließen sich sowohl die immateriellen Tätigkeiten von 24-Stunden-Betreuerinnen als auch komplexe Zusammenhänge wie Netzwerke von Arbeitsmigration grafisch darstellen.
Hinsichtlich der Frage nach der Involvierung der Care-Arbeiterinnen in den weiteren kuratorischen Prozess zitierte Braunersreuther eine ihrer Interviewpartnerinnen: „Wir sind Betreuer*innen und machen unsere Arbeit – du bist Kuratorin, also mach‘ du deine Arbeit!“. Dieses Zitat steht sinnbildlich für die Anerkennung spezifischer beruflicher Kompetenzen. Es macht gleichzeitig die Grenzen partizipativer Projekte deutlich: Nicht jede*r hat Ressourcen, sich intensiv an Ausstellungsprozessen zu beteiligen – insbesondere, wenn die Beteiligung nicht entlohnt wird und die eigene Lohnarbeit zeitaufwändig ist.
Kollaboratives Kuratieren von Care-Arbeit bedeutet, sich mit den persönlichen und oft emotionalen Geschichten und Erfahrungen von Care-Arbeiter*innen sowie mit Formen von Diskriminierung auseinanderzusetzen. Dafür braucht es Vertrauen – und um dieses herzustellen, eine solidarische Haltung und Zeit für Prozesse. Somit befinden sich partizipative Ausstellungsprojekte zum Thema Care-Arbeit oft an einer Schnittstelle zur sozialen Arbeit sowie zum Aktivismus. In diesem Sinne kann Kuratieren als „kritische Praxis des Sorgetragens für künstlerische und soziopolitische Prozesse“[4] selbst als eine Form der Care-Arbeit verstanden werden.
Eine Herausforderung beim kollaborativen Kuratieren von Care-Arbeit sind unterschiedliche Begehren an die Ziele von Ausstellungen: Oft überwiegt bei Akteur*innen der Wunsch, ihre Tätigkeiten positiv zu besetzen und symbolisch aufzuwerten. Gleichzeitig soll aber auch die Kritik an Arbeitsbedingungen thematisiert werden. Bei der Gewichtung zwischen Aufwertung und Kritik ist u.a. zu berücksichtigen, dass die partizipierenden Personen Expert*innen für ihre Lebenswelt sind, jedoch nicht stellvertretend für ganze Berufsgruppen sprechen können. Die Frage „Wer spricht im Museum?“ ist also auch bei partizipativen Prozessen kritisch zu stellen.
Wie man ein Museum für vielfältige Sichtweisen öffnen kann, stellte Stefania Soraperra Pittscheider anhand der Praxis der „Projektschmiede“ im Frauenmuseum Hittisau vor: Bei der Vorbereitung neuer Ausstellungsprojekte finden Open Space-Beteiligungsabende statt, bei denen die relevanten Fragen zu einem Ausstellungsthema kollektiv erarbeitet werden. Dahinter steckt unter anderem auch ein gesellschaftspolitischer Auftrag, denn „jede Frau ändert sich, wenn sie erkennt, dass sie eine Geschichte hat.“[5]
Eine zentrale Frage des Workshops drehte sich um die Materialität der Objekte beim Ausstellen von Care-Arbeit. Während in volkskundlichen Ausstellungen Arbeits-Objekte aus dem 19. und beginnenden 20. Jahrhundert oft nostalgisch inszeniert werden, gibt es bei heutigen Care-Tätigkeiten selten Werkzeuge, die spezifisch für die jeweiligen Berufe sind – Waschlappen, Putzeimer, Mikrowellen und Bettzeug sind „alltäglich“ und in so gut wie allen Haushalten anzutreffen. Die Spezifik der Arbeit ergibt sich oft vielmehr aus der zwischenmenschlichen Dimension von Tätigkeiten wie zuhören, waschen, heben, füttern und sich unterhalten, die wiederum materiell schwer greifbar sind.
Care-Arbeit lässt sich aber auch unabhängig vom „Originalobjekt“ und jenseits der visuellen Ebene ins Museum holen. Dies kann etwa über das Ermöglichen anderer sinnlicher Erfahrungen wie riechen, tasten oder hören geschehen – beispielsweise über Interviews von Care-Arbeiter*innen zum Anhören, oder die Möglichkeiten, Materialien anzufassen, die in ihrem Arbeitsalltag häufig verwendet werden. Eine wichtige Rolle kommt außerdem der Inszenierung zu: Durch das Schaffen von Atmosphäre kann die Emotionalität von Care-Themen verdeutlicht werden. Szenografie kann zudem historisch-materielle Leerstellen sichtbar machen. Eine weitere bewährte Möglichkeit, dies zu tun, liegt in der Miteinbeziehung künstlerischer Positionen. Stefania Soraperra-Pittscheider zeigte eindrücklich, wie (zeitgenössische) künstlerische Arbeiten kulturwissenschaftliche Ausstellungen bereichern können. Für die Ausstellung Pflege das Leben.Betreuung*Pflege*Sorgekultur (Frauenmuseum Hittisau, 2018), an der mehr als 100 Personen aus Pflege- und Betreuungseinrichtungen mitwirkten, erarbeitete die Konzeptkünstlerin Ines Agostinelli das Erinnerungslexikon Pflege: Aus Oral History-Interviews extrahierte sie persönliche Erinnerungen zum Thema Sorgen und Pflegen, die sie als Collage aus Ton- und Textdokumenten und skulpturalen Objekten im Raum arrangierte.
In derselben Ausstellung wurde auch Ebbe, eine Arbeit von Kirsten Helfrich gezeigt, die sich mit dem Thema Demenz und Altern auseinandersetzt. Die Installation bestand aus 800 mit Wasser gefüllten Gläsern. Mit der Zeit verdunstete das Wasser und hinterließ Kalkränder an den Gläsern – ein Symbol für die verblassenden und sich verflüchtigenden Erinnerungen.
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Auch die Kuratorinnen Jorinde Splettstößer und Linnéa Meiners veranschaulichten anhand von Beispielen aus der Ausstellungsreihe MY WORKING WILL BE THE WORK. On self/care, labour and solidarity (Galerie im Turm, Berlin 2020-2022), wie künstlerische Zugänge das Nachdenken über Care-Arbeit im Museum initiieren und unterstützen können. Die auf zwei Jahre angelegte Reihe mit insgesamt sechs Ausstellungen machte prekäres und unsichtbares Arbeiten im Kapitalismus sehr vielschichtig zum Thema. Als titelgebender Ausgangspunkt fungierte das Manifesto for Maintenance Art (1969) der feministischen Konzeptkünstlerin Mierle Ladermann Ukeles, die darin die Abwertung von „Maintenance“ (u. a. Pflegeaufgaben die meist prekär verrichtet werden) im Vergleich zu „künstlerischer Produktion“ kritisierte.
Mit einer kapitalismuskritischen Perspektive ging es in den einzelnen Arbeiten der Ausstellungsreihe beispielsweise um Arbeitskämpfe und -utopien, Körper- oder Beziehungsarbeit, aber auch um ganz konkrete (körperliche) Auswirkungen von Arbeit, etwa Erschöpfung. Die einzelnen Werke forderten traditionelle Vorstellungen und Bilder von „Arbeit“ durch unerwartete thematische Verknüpfungen heraus. Dabei war es explizites Ziel, einen Raum zum Nachdenken über die Organisation von Arbeit zu schaffen – sowohl im gegenwärtigen Kapitalismus als auch in utopischen Zukunftsvorstellungen.
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Um der Darstellung von historischen und gegenwärtigen Arbeits- und Lebensrealitäten gerecht zu werden, geht es nicht nur darum, feminisierte Arbeitsbereiche zu zeigen, sondern auch um einen Bruch mit geschlechtsspezifischen Rollenbildern in der musealen Repräsentation von Industriearbeit. Dies gelang etwa Valie Export mit der Videoinstallation Die un -endliche/ -ähnliche Melodie der Stränge (1998), die seit 2006 permanent in der Ausstellung working_world.net – Arbeiten und Leben in der Globalisierung im Museum Arbeitswelt Steyr zu sehen ist. Zwischen historischen Industriewerkzeugen werden hier auf 25 Bildschirmen ratternde Nähmaschinennadeln gezeigt. Damit wird monotone Textilarbeit sowohl als Teil von Industriearbeit verortet, zugleich aber auch als eigener Arbeitsbereich thematisiert.
Die Kulturarbeiterin und Kuratorin Eva Busch präsentierte mit der von ihr und Madhusree Dutta kuratierten Ausstellung: GEISTER, SPUREN, ECHOS: ARBEITEN IN SCHICHTEN (Academyspace Köln, 2018) ein weiteres Beispiel einer Gegengeschichte zum Thema Arbeit: Ausgangspunkt war die Fraueninitiative Heinrichshütte, die 1987 in Hattingen gegen die Schließung des lokalen Stahlwerks protestierte. Mehrere Künstler*innen setzten sich mit dem historischen Material der Initiative auseinander und präsentierten die Ergebnisse ihrer künstlerischen Forschung im Rahmen dreier aufeinanderfolgender und ineinandergreifender Ausstellungen. Diese thematisierten nicht nur die gegenwärtige Relevanz des spezifischen Arbeitskampfes, sondern auch andere Formen feministischen Widerstands in Bezug auf Arbeit. Nachdem das Ruhrgebiet massiv mit der Geschichte von männlicher Industriearbeit im Verbindung gebracht und in diesem Sinne repräsentiert wird, stellten die Ausstellungen eine Herausforderung hegemonialer Darstellungen von Industriearbeit und Arbeitskämpfen dar.
Auch die dezentrale Schaufensterausstellung Under feminist construction – Feminismus und Arbeit, die anlässlich des feministischen Kampftages am 8. März 2021 vom atelier automatique initiiert wurde, gab dem Hinterfragen traditioneller Vorstellungen von Arbeit öffentlich Raum – konkret in elf Bochumer Schaufenstern, die von 55 Künstler*innen und Kollektiven eines aktiven feministischen Netzwerks aus dem Ruhrgebiet bespielt wurden.
Im abschließenden Panel reflektierten wir mit Eva Busch – ausgehend von der Praxis im atelier automatique – die Frage nach der Aufteilung und Anerkennung von Care-Arbeit in den jeweiligen Institutionen. Dabei ging es beispielsweise um das Putzen von Arbeitsräumen, um emotionale Arbeit innerhalb von Teams oder die Frage nach Wertschätzung in Arbeitsprozessen.
Zusammenfassend wurde also auf mehreren Ebenen über Care-Arbeit diskutiert und eine Vielzahl an Möglichkeiten des Ausstellens der damit verbundenen Tätigkeiten präsentiert. Unter den Teilnehmer*innen gab es weitgehende Einigkeit über die Notwendigkeit, Arbeit im Museum neu zu denken und Care-Arbeit als grundlegend für das Funktionieren von Gesellschaft sichtbar zu machen. Von institutioneller Seite braucht es dafür die Bereitschaft, sich inhaltlich tiefergehend mit Care-Arbeit zu beschäftigen – etwa durch themenspezifische Ausstellungen, das Hinterfragen bereits bestehender Ausstellungen (über Arbeit) oder die thematische Erweiterung von Sammlungen. Außerdem braucht es Zeit und Geld für (partizipative) Prozesse, um neuen Perspektiven Raum zu geben.
Wie die Corona-Krise und demografische Veränderungen erahnen lassen, wird das Thema noch lange aktuell bleiben und sollte daher von Museen verstärkt aufgegriffen werden, wenn diese ihrem Vermittlungs- und Bildungsauftrag gerecht werden und gesellschaftspolitisch relevant sein wollen.
[1] Definition nach Maria Rerrich: Rerrich, Maria S.: Care und Gerechtigkeit. Perspektiven der Gestaltbarkeit eines unsichtbaren Arbeitsbereichs. In: Apitzsch, Ursula / Schmidbaur, Marianne – Hg. (2010): Care und Migration. Die Ent-Sorgung menschlicher Reproduktionsarbeit entlang von Geschlechter- und Armutsgrenzen. Opladen & Farmington Hills – Barbara Budrich 2010, S. 78
[2] Zu Wages for Housework, z.B.: Silvia Federici: Aufstand aus der Küche. Reproduktionsarbeit im globalen Kapitalismus und die unvollendete feministische Revolution. Münster, edition assemblage 2012; Silvia Federici: Wages for Housework. The New York Committee 1972–1977: History, Theory, Documents, Autonomedia 2017.
[3] Erscheint im September 2022: Sabine Kritter, Arbeit ausstellen: Das Ruhr Museum und das Chicago History Museum (Veröffentlichungen des Instituts für soziale Bewegungen, Schriftenreihe A: Darstellungen), Essen 2022.
[4] Sascia Bailer, zitiert nach Christine Braunersreuther
[5] Gerda Lerner, zitiert von Stefania Soraperra Pittscheider
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