Der gegebene Anlass zu dieser Ausstellung ist die EU-Präsidentschaft von Österreich im 2. Halbjahr 1998 im Kontext der geplanten EU-Osterweiterung. Der Inhalt dieser Ausstellung ist erstens der Versuch einer neuen Begriffsbestimmung von Kultur und zweitens einer neuen Kartographie der Moderne. Kultur entwickelt sich jenseits des geopolitischen und ethnischen Codes; sie wird geschaffen von Mitgliedern einer Gemeinschaft, die geographische, ethnische, sprachliche, politische, religiöse, staatliche, nationale Grenzen überschreitet.
Diese Ausstellung soll in Ansätzen die unbekannte Wirklichkeit der Kultur- und Geistesgeschichte von Österreich und Ungarn im 20. Jahrhundert vorstellen. Beide Länder haben trotz der politischen Destruktionen und Obstruktionen analytische Kunstrichtungen (wie Konstruktivismus, Kinetik, Op Art, Aktionismus, dekonstruktive Architektur) und Denkströmungen (wie Psychoanalyse, Sprachphilosophie, Spieltheorie, Kybernetik, Quantenphysik) begründet oder mitgetragen, die eigenständige, spezifische Beiträge zur Weltkultur bilden. Die Leistungen und Werke von ca. je 100 österreichischen und ungarischen KünstlerInnen und ebenso vielen WissenschaftlerInnen werden mosaikartig vernetzt und nach einem neuartigen methoden- und problemgeschichtlichen Modell der Verflechtung von Kunst und Wissenschaft präsentiert.
"Im Auftrag von Bundeskanzleramt, Sektion Kunst, Staatssekretär Dr. Peter Wittmann anläßlich der österreichischen Präsidentschaft im Rat der Europäischen Union
Wie Schiffer sind wir, die ihr Schiff auf offener See umbauen müssen, ohne es jemals in einem Dock zerlegen und aus besten Bestandteilen neu errichten zu können."
Otto Neurath, 1932
"Scientia sine arte nihil est;
ars sine scientia nihil est."
Jean Vignot, 1392
Kunst, Kultur und Wissenschaft werden in historischen Modellen als Entwicklungen innerhalb der Grenzen von Identitäten beschrieben. Aus einer geographischen, religiösen, sprachlichen, ethnischen, politischen und nationalen Einheit entstehe Kultur. Angesichts eines Europas, das im 20. Jahrhundert durch zwei Weltkriege zerrissen wurde, in dem Faschismus, Kommunismus, Nationalsozialismus einen ungeheuren Exodus der Intelligenz in alle Erdteile erzwangen, in dem Kultur im Namen eines Volkes oder eines Staates bis heute immer wieder zerschlagen und zerstört wird und das im Zeitalter des Postkolonialismus von einer globalen Migration geprägt ist, entlarven sich solche traditionellen Modelle von Kulturnationen als irrationale, irreale und reaktionäre Träume. In dieser Ausstellung wird ein neues Modell präsentiert: Kultur entwickelt sich jenseits des geopolitischen und ethnischen Codes; sie wird geschaffen von Mitgliedern einer Gemeinschaft, die geographische, ethnische, sprachliche, politische, religiöse, staatliche, nationale Grenzen überschreitet.
Österreich und Ungarn scheinen aufgrund ihrer gemeinsamen kakanischen Geschichte (Robert Musil nannte die kaiserlich-königliche Doppelmonarchie Österreich-Ungarn ironisch Kakanien) im Kulturbetrieb dazu verurteilt, Schauplatz lieblicher Illusionen, kitschiger Klischees und abgelaufener Geschichtsbilder im Dienste konservativer bis obskurer Ideologien zu sein. Die meisten Bilder, die von Österreich und Ungarn entworfen werden, sind das Ergebnis eines kolonialen Blicks von außen, dem sich zum Teil diese Länder selbst schon unterworfen haben und der sie als Reich der Anekdoten und Kuriosa, als fröhliche Apokalypse beschreibt. Die ahistorische Bewußtseinsindustrie des Postfaschismus hat Zerrbilder von Österreich und Ungarn entworfen. Diese Ausstellung soll in Ansätzen die unbekannte Wirklichkeit der Kultur- und Geistesgeschichte von Österreich und Ungarn im 20. Jahrhundert vorstellen. Beide Länder haben trotz der politischen Destruktionen und Obstruktionen analytische Kunstrichtungen (wie Konstruktivismus, Kinetik, Op Art, Aktionismus, dekonstruktive Architektur) und Denkströmungen (wie Psychoanalyse, Sprachphilosophie, Spieltheorie, Kybernetik, Quantenphysik) begründet oder wesentlich mitgetragen, die eigenständige, spezifische Beiträge zur Weltkultur bilden. Die Leistungen und Werke von ca. je 100 österreichischen und ungarischen KünstlerInnen und ebensovielen WissenschaftlerInnen werden mosaikartig vernetzt und nach einem neuartigen methoden- und problemgeschichtlichen Modell der Verflechtung von Kunst und Wissenschaft (statt nach dem üblichen individual- und stilgeschichtlichem Modell) präsentiert.
Die in der Ausstellung skizzierte kakanische Kartographie der Kultur zeigt Wissenschaft und Kunst, die auch jenseits von Österreich und Ungarn entstanden sind, aber auch Kunst jenseits von Kunst, denn Kultur überschreitet nicht nur immer wieder die Grenzen eines Territoriums, einer Sprache, eines Staates, eines Volkes, einer Nation, einer Region, sondern als wissensproduzierendes System überschreitet Kultur auch immer wieder ihre eigenen Grenzen.
Diese stete Transgression der (historischen) Kunst und ihrer eigenen konsensualen Grenzen erzeugt die Dialektik der Avantgarde, jenes Motors der modernen Kunst, deren Entwicklung stets von legitimierenden Prozessen der Beobachtung und Selbstbeobachtung begleitet wird. Kunst und Wissenschaft versuchen in der Neuzeit, sich selbst analytisch zu begründen. Diese analytische Tendenz der radikalen Selbstuntersuchung in der Philosophie, der Wissenschaft und der Kunst, welche die Grenzen des Kunstbegriffs bis zur Selbstauflösung ständig erweitert, wird im Zitat von Otto Neurath metaphorisch ausgedrückt. Überschreitung von Kunst erweist sich als ein Grundprinzip der europäischen Kultur (der Moderne). Am Beispiel der gemeinsamen Kultur- und Geistesgeschichte von Österreich und Ungarn im 20. Jahrhundert, die sich besonders durch abstrahierende Methoden der Weltauffassung (in den Formalwissenschaften und -künsten) auszeichnet, werden jene europäischen Traditionslinien nachgezeichnet, die einer cartesianischen Rationalität, deren Begründungsdrang und der davon abgeleiteten Transparenz verpflichtet sind. Die analytische Beobachtung ihrer selbst gehört zum Begründungszusammenhang, zu den Kernkonstanten und zum Motor der Entwicklung der Moderne. In drei Achsen wird versucht, diesen analytischen Tendenzen des Projektes der Moderne nachzugehen.