Claude Cahun (1894–1954)

Selbstdarstellungen

04.10. - 03.12.1997

Bildinformationen

Laufzeit

04.10. - 03.12.1997

Eröffnung

03.10.1997, 19 Uhr

Ort

Neue Galerie Graz

Kuratiert von

Dirk Snauwaert, Peter Weibel

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Über die
Ausstellung

Die Neue Galerie zeigt die bisher erste Ausstellung der Künstlerin und Schriftstellerin Claude Cahun (1894–1954), deren Werk von der Kunstgeschichte vollkommen verdrängt und vergessen wurde, das aber vor dem Hintergrund der gegenwärtigen "gender-discussion" neu bewertet werden muß.


Zusatzinformationen

In Zusammenarbeit mit Kunstverein München und Fotografische Sammlung, Museum Folkwang (Essen)

Neue Galerie Graz im Steirischen Herbst 1997 

Die Fotomontagen und inszenierten fotografischen Selbstdarstellungen Cahuns haben zentrale künstlerische Positionen der 80er Jahre wie auch strukturalistische und poststrukturalistische Subjekt-Theorien vorweggenommen. Cahun hat das Subjekt sprachlich begründet und als Sprachspiel definiert. Durch ein sich ständig bewegendes und veränderndes Selbst wollte Cahun das Geschlecht vieldeutig machen und der Dyade männlich/weiblich entkommen.

Statt sich mit dem anderen Geschlecht zu identifizieren, das immer noch der Logik der Dyade entspricht, sucht sie ein drittes, undefinierbares Geschlecht. Diese radikale Position hat sogar den surrealistischen Blick verstört. Denn auch die Ideale der Weiblichkeit der Surrealisten, deren Milieu Cahun nahestand, waren relativ konservativ. Allein die Analytikerin Joan Rivière hat in einem Text von 1929 erkannt, daß es keine wesenhafte Identität der Frau gibt, sondern eben die Konstruktionen und Maskeraden der Frau aufgrund der kulturellen Konditionierung "die Frau an sich" bilden. Deswegen schrieb Claude Cahun in ihrem Hauptwerk "Aveux non avenus" (1929-30): "Unter dieser Maske eine andere Maske. Ich werde nicht aufhören, all diese Gesichter abzuziehen." Diese Zeilen umrahmen eine Fotomontage, auf der einem einzigen Hals eine Reihe von Gesichtern entwachsen, die immer wieder Cahun in verschiedenen Masken darstellen. Die Folge von immer wieder anders geschminkten Augen, Wangen und Lippen betont die Künstlichkeit und Flexibilität eines einzigen Gesichts bzw. Geschlechts und artikuliert erstmals die postmoderne Position der Konstruierbarkeit von Identität.

Fotografin, Schriftstellerin, Journalistin, Schauspielerin, Aktivistin

Claude Cahun wurde am 25. Oktober 1894 als Lucy Schwob in Nantes geboren. Ihr Vater war der Herausgeber der Zeitung "Le Phare de la Loire", ihr Onkel der Schriftsteller Marcel Schwob. Ihr Großonkel Léon Cahun war ein bedeutender Orientalist und Autor. Mit 15 Jahren verliebte sie sich in ihre Stiefschwester Suzanne Malherbe, die sie ihr "anderes Ich" nannte und mit der sie ihr ganzes Leben zusammen blieb. Nach Studien in Oxford und an der Sorbonne zog Cahun mit ihrer Stiefschwester nach Paris, wo sie sich als Autorin etablierte. Seit 1914 beschäftigte sie sich mit fotografischen Selbstporträts in verschiedenen Masken, Kostümen, Make-ups. 1925 lernte sie Henri Michaux kennen, dem sie ihr Leben lang freundschaftlich verbunden blieb, und begann mit einer Serie von "Tableau-Fotografien" mit surrealen Arrangements von Objekten.

1930 erschien im Pariser Verlag Carrefour das autobiografische Buch "Aveux non avenus", mit Fotomontagen von ihr und Suzanne Malherbe alias Marcel Moore. 1932 trat sie der kommunistischen "Association des Ecrivains et Artistes Révolutionnaires" bei, wo sie André Breton und den Kreis der Surrealisten kennenlernte. Ein Jahr später verließ sie nach dem Ausschluß der Surrealisten die AEAR und publizierte 1934 das polemische Traktat "Les Paris sont ouverts", in dem sie die kreative Freiheit gegen die Kulturpolitik der Kommunisten verteidigte. 1935/36 beteiligte sie sich an den Aktionen und Manifesten der "Contre Attaque"-Gruppe um Breton und Georges Bataille. 1937 erschien der Band "Le Coeur de Pic", mit Gedichten von Lise Deharmes und Illustrationen von Cahuns Tableau-Fotografien. Im selben Jahr übersiedelte sie mit Suzanne Malherbe nach La Rocquaise auf der Insel Jersey. 1940 besetzten die deutsche Armee Jersey. Cahun und Malherbe wurden in der Resistance aktiv und verteilten Flugzettel, Plakate und Manifeste. 1944 wurden sie von der Gestapo verhaftet und zum Tode verurteilt. 1945 wurden sie begnadigt, blieben jedoch bis zur Befreiung der Insel im Mai 1945 in Haft.

Während dieser Zeit wurde ein Großteil der künstlerischen Arbeiten zerstört. Cahun arbeitete weiterhin an ihren Selbstporträts und Texten, erholte sich jedoch physisch und psychisch nie vollständig von ihrem Gefängnisaufenthalt. Sie starb am 8. Dezember 1954 in Jersey.

Suzanne Malherbe alias Marcel Moore (1892–1972) war Grafikerin und Illustratorin von Büchern und Zeitschriften, die u.a. im Salon d'Automne ausstellte. Nach dem Tod von Claude Cahun zog sie nach Beaumont in Jersey, wo sie bis zu ihrem Tod lebte.Zur Ausstellung erschein ein Buch im Verlag Schirmer/Mosel in München mit Texten von Laura Cottingham, François Leperlier, Dirk Snauwaert und Peter Weibel (ca. 200 Seiten, 120 s/w-Abbildungen).

Zur Ausstellung erschein ein Buch im Verlag Schirmer/Mosel in München mit Texten von Laura Cottingham, François Leperlier, Dirk Snauwaert und Peter Weibel (ca. 200 Seiten, 120 s/w-Abbildungen).

Einblicke

Claude Cahun, um 1927 Courtesy Jersey Museums Service

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Claude Cahun, Selbstporträt, um 1919 Courtesy Jersey Museums Service

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Claude Cahun, Selbstporträt, um 1938 Courtesy Jersey Museums Service

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Claude Cahun, Selbstporträt, um 1929 Courtesy Jersey Museums Service

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