Biodiversität vor der Haustür

Die Biowissenschaften legen den Fokus ihrer Erzählung auf die Vielfalt des Lebens. Den Anfang macht die biologische Vielfalt „vor unserer Haustür“: Der aufgelassene Steinbruch Hauenstein, am Rande des Grazer Stadtbezirks Mariatrost, hat sich zu einem der reichhaltigsten Kleinräume der Steiermark entwickelt. Der Raum macht Lust, mit dem gesammelten Wissen hinauszugehen und das biologische Kleinod in natura zu studieren.

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Der Hauenstein – ein kleiner Hügel an der nordöstlichen Stadtgrenze von Graz

Biodiversität umfasst die gesamte Vielfalt an genetischen Varianten, Arten, Lebensräumen und Ökosystemen. Sie existiert naturgemäß nicht nur in tropischen Regenwäldern, sondern auch unmittelbar vor der Haustür. Ein Beispiel für ausgesprochen große Vielfalt ist der Hauenstein, ein kleiner Hügel an der nordöstlichen Stadtgrenze von Graz. In dem mittlerweile stillgelegten Steinbruchareal finden sich auf kleinstem Raum sehr unterschiedliche Lebensräume, die die Grundlage für eine reichhaltige Tier- und Pflanzenwelt bilden.

Der Hauenstein von seiner „besten Seite“

Felswand, darüber Laubmischwald, darunter Ruderalfläche und angrenzende Trockenwiese. Die Vielfalt und Vernetzung von Lebensräumen auf kleinstem Raum sowie das günstige Klima begründen ein reichhaltiges Pflanzen- und Tierleben.

Bildinformationen

Die Felswand – ein Extremlebensraum!

Felswände sind die eindrucksvollsten Reste des ehemaligen Abbaugeländes. Einst wie heute sind sie extreme Lebensräume und werden nur von wenigen Spezialisten aus der Pflanzen- und Tierwelt besiedelt. Besonders einschränkend ist der fehlende Raum. Dazu kommen stark wechselnde Umweltbedingungen: Wasser haltender Boden ist kaum vorhanden und die starke Sonneneinstrahlung führt zu großen tageszeitlichen Temperaturschwankungen.

Es überwiegen kleinwüchsige Pflanzen, die mit ihren Wurzeln tief in Nischen, Ritzen und Spalten eindringen. Haare oder trockene Blattreste schützen vor Verdunstung, fleischige Blätter dienen der Wasserspeicherung. Kleintiere konzentrieren sich auf die bewachsenen Felspartien, können aber auch glatte und überhängende Wände besiedeln. Mauereidechsen heizen sich auf den warmen Felsen auf, um Betriebstemperatur und damit maximale Aktivität zu entfalten, und Ameisenlöwen errichten an sandigen, regengeschützten Stellen ihre Trichterfallen.

Aber auch größere Tiere sind in der Felswand unterwegs: Regelmäßig taucht ein Gamsbock auf, der – oft bewegungslos verharrend – sein Umfeld beobachtet. Möglicherweise stammt er vom Plabutsch oder aus der Schöcklregion, wo bodenständige Waldgämsen vorkommen. Gamsböcke leben im Unterschied zu den Geißen und Jungtieren als Einzelgänger und ziehen weit umher.

Die Sohle des ehemaligen Steinbruchs: Hotspot der Artenvielfalt oder unattraktive „Gstättn“?

Der Felswand vorgelagert erstreckt sich eine ausgedehnte, ebene Ruderalfläche. Sie ist durch Anschüttung von Steinen und Schutt entstanden, war anfangs mit wenig Feinerde und Humus bedeckt und daher nur spärlich bewachsen. An diese Verhältnisse sind zahlreiche Pioniere aus der Pflanzen- und Tierwelt eng angepasst. So ist die Sal-Weide aufgrund ihres Sonnenhungers eine Besiedlerin der ersten Stunde. Dasselbe gilt für die Wärme und Trockenheit liebende Blauflügelige Ödlandschrecke. Sie ist nur gut getarnt, solange der Anteil unbewachsener sandiger Flächen hoch ist. Im Lauf der Zeit reichern sich durch abgestorbene Pflanzenreste und auch den Eintrag von atmosphärischem Stickstoff sukzessive Nährstoffe an.

Die Vegetation wird dichter, und allmählich werden seltene und an offene Böden gebundene Pflanzen- und Tierarten durch „Allerweltsarten“ verdrängt. Erste Gehölze treten auf. Der Eindruck einer ungepflegten und verwilderten „Gstättn“, wie derartige Ruderalflächen im Volksmund genannt werden, verstärkt sich.

Rundherum Wiesen

Im nahen Umfeld des Steinbruchareals liegen mehrere bunte Blumenwiesen. Je nährstoffärmer und trockener, desto bunter – diese Faustregel gilt auch hier. Fehlende Düngung und ein- bis zweifache jährliche Mahd sind die Voraussetzung für besonderen Artenreichtum. Wird intensiviert, so können viele Pflanzen- und Tierarten nicht mehr existieren, finden keine geeignete Nahrung oder werden von konkurrenzstärkeren Arten verdrängt. Wird extensiviert, also Mahd oder Beweidung über mehrere Jahre aufgegeben, so setzt rasch Verbuschung ein und aufkommender Vorwald beendet das florierende Wiesenleben.

Wälder prägen das Gesamtbild

Neben Felsen, Ruderalflächen und Wiesen prägen vor allem Wälder den Hauenstein. Meist stocken ausgedehnte Buchenmischwälder, die aufgrund ihres dichten Laubdaches nur wenige schattenverträgliche Sträucher und Kräuter in der unteren Etage zulassen. Lediglich vor dem Austrieb der Buche Anfang Mai, wenn die Sonnenstrahlen noch den Boden erreichen, zeigt sich eine Heerschar an Frühjahrsblühern wie Lärchensporn, Bärlauch oder Buschwindröschen.

Viele typische waldbewohnende Tierarten sind streng an Strukturen gebunden. So benötigt der Schwarzspecht Altbäume zur Anlage seiner Bruthöhlen, der Feuersalamander kleine Quellläufe, in denen er seine Larven ablegt, und zahlreiche Kleintiere eine dicke, feuchte Laubschicht. Am Waldrand, wo unterschiedliche Lebensräume aufeinandertreffen, ist die Artenvielfalt besonders hoch, im Inneren des Waldes nimmt sie jedoch deutlich ab.

Alles vernetzt!

Am Hauenstein bestehen zwischen Lebensräumen und Arten vielfältige Beeinflussungen, Wechselwirkungen und Abhängigkeiten. Spärlich bewachsene Bereiche der Ruderalfläche können etwa nur dann auf lange Sicht bestehen, wenn entweder der Mensch mit Maßnahmen eingreift oder die natürliche Dynamik mit dem Abbruch von Felspartien dazu beiträgt, nährstoffarme Flächen fortwährend neu zu schaffen. Ein Bewohner dieser Flächen, der Langbeinige Pillendreher, ist eine ausgesprochen wärmeliebende Art. Eine weitere Voraussetzung für sein Vorkommen ist das Vorhandensein von Schafdung, den er zur Ernährung und zur Entwicklung seiner Larven bevorzugt.

Herrschen zusätzlich auch gut vernetzte Lebensraumverhältnisse vor, wie das unmittelbare Nebeneinander beweideter und unbewirtschafteter Flächen, so entstehen – wie am Hauenstein – besonders günstige Bedingungen. Hochkomplex sind auch die Beziehungen zwischen Tieren und Pflanzen. Beispielsweise sind viele Insekten, wie Bienen und Schmetterlinge, auf ganz bestimmte Pflanzen als Nahrungsquelle, Schlafplatz oder Kinderstube angewiesen.

Artenreichtum: trotz oder wegen menschlicher Einflüsse?

Aus alten Erzählungen weiß man, dass die Südseite des Hauensteins einst von Gebüsch bestandenen Trockenwiesen geprägt war. Dieses naturnahe und mit Sicherheit artenreiche Ensemle wurde durch die Erschließung des Kalksteinbruchs fast völlig zerstört. Nach Aufgabe des Abbaus begann die Natur jedoch das Areal rasch zurückzuerobern, „Lebensräume aus zweiter Hand“ entwickelten sich. Pflanzen und Tiere drangen aus benachbarten Bereichen in das sich selbst überlassene Areal ein und sorgten für eine Renaissance der Artenvielfalt.

Insbesondere Wärme liebende und Trockenheit ertragende, in unserer Landschaft heute meist seltene und gefährdete Arten konnten sich hier wieder ausbreiten und längerfristig etablieren.

Die Entwicklung schreitet voran

So positiv sich die Biodiversität des Gebiets nach Auflassung des Kalksteinbruchs entwickelt hat, so rasch schreitet nun wiederum eine Entwertung voran. Offenlandarten werden seltener, nicht genutzte Flächen beginnen sukzessive zu verbuschen, und in Zukunft droht an ihre Stelle ein vergleichsweise artenarmes Waldökosystem zu treten. Mit menschlicher Hilfe können jedoch Zwischenstadien, etwa eine Wiese oder eine Ruderalfläche, durch „Biotop-Management“ in einem artenreichen Zustand erhalten werden. Hierzu erforderliche Planungsgrundlagen resultieren aus den eigenen Forschungsergebnissen. Als Maßnahmen kommen Mahd, Beweidung oder das gezielte Entfernen von aufkommenden Gehölzen infrage.