Beschreibung:
Ostrakoden sind aquatische Invertebraten mit einer ubiquitären Verteilung, die häufig als Proxies für die Rekonstruktion von Klima- und Ökosystemänderungen dienen. Dennoch sind die Wechselbeziehungen zwischen phänotypischer Variabilität, geographischer Verbreitung, Umweltbedingungen und Reproduktionsmodi kaum verstanden. Wir schlagen deshalb vor, gekoppelte morphologisch-ökologische Analysen an rezenten neotropischen Cytheridella-Arten durchzuführen. Cytheridella ist eine häufige Ostrakodengattung in diversen Süßwasserhabitaten beider Amerikas mit einer geographischen Verbreitung von ~30°N bis ~30°S.
Das Projekt fokussiert (1) auf die gekoppelte Untersuchung der intraspezifischen morphologischen Variabilität der Weichkörper und der Hartteile sowie deren Wechselbeziehung mit ökologischen Parametern (z.B. Alkalinität, Lösungszusammensetzung, Temperatur) innerhalb und zwischen Populationen aus dem gesamten Verbreitungsgebiet. Quantitative Informationen über Änderungen der Carapax-Form sollen durch die Anwendung von ‚landmark' basierten morphometrischen Methoden gewonnen werden. (2) Die Erhebung eines umfangreichen ökologischen Datensatzes soll es ermöglichen artspezifische ökologische Toleranzen und mögliche lokale Adaptionen peripherer Populationen zu bestimmen. Darüber hinaus können wir anhand der geochemischen Zusammensetzung der kalkigen Ostrakodenklappen und den assoziierten Wasserchemiedaten (Haupt-, Spurenelemente, δ 18O und δ 13C) populations- und lokalitätsspezifische chemische Rahmenparameter definieren, insbesondere aber auch Sauerstoff– und Kohlenstoffisotopensignaturen bestimmen und mögliche Vitaleffekte erkennen. Damit wird ein wichtiger Beitrag zum Verständnis der Geochemie der Ostrakodenklappen geleistet. (3) Daraus resultierend können wir Cytheridella Morphotypen charakterisieren, ihre taxonomische Validität testen und ihre Verbreitung untersuchen.
Schließlich ermöglicht es dieser aktualistische Ansatz grundlegende Daten zu erhalten, die nachfolgend auf fossile Cytheridella Populationen angewendet werden können. Diese sind u.a. häufig in fluviatil-lakustrinen Ablagerungen eines riesigen Feuchtgebietes anzutreffen, das sich am Beginn des Miozäns (vor ~23 Millionen Jahren) in West-Amazonien entwickelte (‚Pebas See'). Da bisher aber nichts über die ökologischen Anforderungen oder die phylogenetischen Beziehungen dieser fossilen Taxa bekannt ist, soll der aktualistische Ansatz des vorliegenden Projektes die Möglichkeit schaffen neontologische Informationen besser mit paläontologischen zu verbinden.
Endbericht:
Ostrakoden sind mikroskopisch kleine Krebstiere mit 2 Schalen aus Kalzit, die in verschiedenen Ökosystemen (marin, Süßwasser, semi-terrestrisch) vorkommen. Sie gelten als ausgezeichnete Bioindikatoren für Umweltparameter und deren Veränderungen. Für ihre Taxonomie sind sowohl Merkmale des Weichkörpers als auch der Schalen wichtig, allerdings zeigen viele Ostrakodenschalen, vor allem von Süßwasser-Arten, nur wenige Merkmale. Um diese Problematik zu überwinden, haben wir Methoden der geometrischen Morphometrie angewendet. Dabei zeigte sich, dass die Verteilung dieser Merkmale ein geographisches Muster innerhalb einer Art ergibt und es war erstmals auch möglich kryptische morphologische Arten zu identifizieren.
Unsere Modell-Art, Cytheridella ilosvayi, ist über die gesamten Neotropen verbreitet und wir konnten sie von Südflorida, Mexiko (Yucatán), Panama, Kolumbien, bis Brasilien (Amazonien, Südbrasilien) untersuchen. Die Variation der Weichteilmorphologie wird durch ontogenetische und sexuelle Unterschiede bestimmt, die der Hartteile (basierend auf Generalized least-squares Procrustes Analysen) durch ontogenetische Allometrie, mit den größten Unterschieden zwischen dem letzten Juvenilstadium (A-1) und dem adulten Tier. Diese Analyse erbrachte auch die Erkennung von kryptischen Arten in Yucatán. Statistische Analysen unter Einbeziehung von Umweltparametern zeigen, dass Chlorid- und Sulfatkonzentrationen in Verbindung mit der Variabilität von Niederschlagsmengen die Entwicklung der Schalen durch Beeinflussung der Osmoregulation und Kalzifizierung steuern. Diese Parameter waren bisher unbekannte Steuerungsmechanismen für die Ökophänotypie von Ostrakoden. Die weite geographische Verbreitung der Art kann durch Vogeltransport erklärt werden, wobei das morphologische Verteilungsmuster mit den Flugbahnen von Wasservögeln gut übereinstimmt. Vogeltransport kann auch für den wiederholten Eintrag von C. ilosvayi in Yucatán verantwortlich gemacht werden und erklärt das sympatrische Vorkommen zweier Morphospezies.
Der Schalenchemismus bei Ostrakoden wird als wichtiger Informationsträger für Umweltparameter angesehen. Unsere Untersuchungen der stabilen Sauerstoff- und Kohlenstoffisotopen (δ 18O, δ 13C) an den Schalen in Verbindung mit physiko-chemischen Wasserparametern zeigen eine klare Korrelation von Schalenchemie und klimatischen Parametern (Niederschlag/Verdunstung, Eintrag von organischem und anorganischem Kohlenstoff, Temperatur). Als völlig neuen Ansatz konnten wir den Bildungszeitraum der Schalen von C. ilosvayi in S-Florida durch einen Vergleich der Isotopenwerte mit einer Zeitreihe von Wasserdaten und der Zusammensetzung von theoretischem Kalzit für den frühen Frühling errechnen.
FWF-Projekt P 26554
Laufzeit: 01.11.2013-30.11.2017
Leiter: W.E. Piller, Co-Leiter: M. Gross, Mitarbeiter: C. Wrozyna (Post-Doc), Juliane Meyer (Doktorandin)