Studenzen, eine ungefähr 700 Einwohner*innen zählende ehemalige Gemeinde im Bezirk Südoststeiermark, ca. 30 km östlich von Graz, liegt an der Landstraße 201, über die heute der Großteil des Berufs- und Warenverkehrs – täglich ca. 22.000 Autos und Lkws – führt. Unmittelbar an dieser Straße liegt auf Nr. 99 das in den 1970er-Jahren den Bedürfnissen der Familie entsprechend gebaute Heimathaus von Alfred Lenz. Seit 2007 verwendet Lenz das Nebengebäude als experimentelles Tonstudio, 2017 errichtete er ein an die Garage angeschlossenes Lagerzelt, um ein größeres Kunstproduktionsfeld für sich und andere zu schaffen.
Dieser sukzessiven Erweiterung des Möglichkeitsraums folgte 2021 das Projekt L201: Mit diesem Kunstprojekt verwandelte Lenz den rund 28 m2 großen Ein- und Ausfahrtsraum vor seinem Heimathaus in Studenzen – einen Nicht-Ort im urtypischen Sinn – in einen Ausstellungsraum. Dieser trat mit seiner Umgebung in direkte Konfrontation und zugleich Synergie. Eine semitransparente Struktur verband die viel befahrene Landstraße L201 mit der vermeintlichen Idylle des Einfamilienhauses und diente als Ausstellungsdisplay. Es wurden mehrere Ausstellungen mit der Beteiligung nationaler und internationaler Künstler*innen realisiert.
Die strategische Umwidmung von Orten, die nicht einmal als unbedeutend gelten, weil sie gar nicht als solche erkannt werden, interessiert Lenz. Anstatt Umgebung auszublenden, eine Mauer zum Schutz vor Lärm zu errichten, kreiert Lenz eine Struktur, die das Geschehen vor der Ein- und Ausfahrt miteinbezieht und öffnet einen Diskurs darüber, was Kunst sein kann. Die Grenzen von Architektur, Design, Nutzobjekt und Kunst werden überschritten, die Trennung von Privatem und Öffentlichem, Kunst und Leben hinterfragt.
Dementsprechend wurde 2022 der Kunstraum L201 weiterentwickelt und mit drei neuen Programmen bespielt. Die Thujen neben dem Kunstraum wurden entfernt und durch eine 8 Meter breite und 4 Meter hohe Gitterwand ersetzt. Somit wird diese Wand zur Werbefläche oder besser gesagt zum Gegenentwurf von Werbedisplays an stark frequentierten Straßen. Bespielt mit von Künstler*innen gestalteten Transparenten wird das Potenzial unzähliger vorbeifahrender Fahrzeuge genutzt, um künstlerische Botschaften zu vermitteln, ohne dabei kapitalistischen Anforderung entsprechen zu müssen.
2023 wird nun der Kunstraum bis zur gegenüberliegenden Straßenseite mittels einer von Hans Schabus gebauten treppenartigen Skulptur in Form einer Tribüne erweitert bzw. zusätzliches Umfeld erschlossen. Durch eine temporäre Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h auf der hoch frequentierten Durchzugsstraße als Zentrum werden Abgasausstoß verringert, Blick-, Aktions- und Konzentrationsachsen erschlossen, die privaten und öffentlichen Raum erneut befragen, aufeinander reagieren lassen und das dortige Geschehen im Dialog mit bewusst gesetzten einzigartigen Interventionen, Konzerten und Ausstellungen neu kontextualisiert.
Elisabeth Fiedler