Zeughäuser wurden seit dem 15. Jahrhundert zur Lagerung von Waffen, Munition und Kriegsgerät in ganz Europa errichtet. Auch in der Steiermark wurden aus Angst vor kriegerischer Bedrohung und Einfällen von außen auf Basis einer Besteuerung im Jahr 1480, die auch die Truppenaushebung regeln sollte, Waffendepots angelegt. Zentral verwahrt wurden die mehr als 32.000 Kriegsgeräte im Bau des steirischen Landeszeughauses. 1642–1644 errichtete der Baumeister Anton Solar im Auftrag der steirischen Landstände das fünfstöckige, 52 Meter lange Gebäude im Zentrum der Stadt Graz. Heute ist das Zeughaus die größte originale Rüstkammer der Welt. Die einzigen künstlerischen Akzente am frühbarocken Rustikaportal in der Herrengasse sind die den steirischen Panther flankierenden Monumentalstatuen der antiken Gottheiten Mars (Krieg) und Minerva (Wehrhaftigkeit und Strategie).
Für das Jahr 2011 anlässlich des 200-jährigen Bestehens des Universalmuseums Joanneum wurde aus einem geladenen Wettbewerb, der sich mit dem immer noch existierenden Geschichtsbild von Graz als „Bollwerk gegen den (Süd) Osten“ und den Türken als seit damals eingesetzten Feind- und hochstilisierten Bedrohungsbild beschäftigte, die Arbeit des in Berlin lebenden deutsch-türkischen Künstlers Nasan Tur zur Realisierung ausgewählt.
Ausgehend von Stereotypen, also eingelernten Vorurteilen mit festen Vorstellungsklischees und dem kollektiven Unbewussten, das durch solche Stereotype gespeist und geprägt wird, entwickelte Nasan Tur, basierend auf dem klassischen Skulpturenbegriff, Bronzefigur auf Sockel, eine erweiterte Ausdrucksform: Im Wissen darüber, dass Geschichte konstruiert wird, entwarf er die Figur des unbekannten Ritters, dessen eigene Geschichte und Herkunft ebenso wie sein Wirken und Sein geheimnisvoll erscheinen, als Figur völlig neu. Somit soll nicht nur Geschichte neu gedacht, Vergangenheit neu erfunden und der Mensch in seiner jeweiligen Einzigartigkeit neu gesehen und definiert, es soll auch eine Sensibilität im Umgang mit unserer Zeit möglich werden.
In zwei Bronzeabgüssen des Künstlers, einmal als schlafende Figur und ein zweites Mal als Standbild, lediglich bekleidet oder „geschützt“ durch den Abguss eines Helms, eines Brustpanzers und, am Standbild, eines Schwertes, Abgüsse von Spielzeugrüstungsteilen, die als Shop-Artikel aus Karton im Zeughaus zum Verkauf angeboten werden, werden Individualität ebenso wie Anonymität, Aussetzen der eigenen Persönlichkeit und völlige Schutzlosigkeit thematisiert. So ist der auf dem Dach des Zeughauses schlafende Ritter jedem Angriff ausgeliefert, gleichzeitig schützt er durch seine ständige und gewaltlose Präsenz.
Als Standbild wird der klassischen heroischen Bronzeskulptur einerseits entsprochen, in der Verdeckung des Gesichtes aber die Identität des Dargestellten verunklärt und die Verletzlichkeit des Geistes angesprochen. In der schutzlosen Nacktheit des Dargestellten erscheint auch das Schwert weniger als Waffe, denn als Verweis auf die Verletzlichkeit des Körpers. Ursprünglich befand sich dieser Ritter in der Griesgasse auf dem rechten Murufer. Abgelegt wurde die Armierung, der Helm, das Schwert, der Brustpanzer und das Schild in einer Bedeutungsambivalenz zwischen Zeichen des Verschwindens, der Entwaffnung und als entmenschlichtes Relikt als Zeugnis von Gewalt. Diese Skulptur stand ursprünglich auf dem Schlossberg beim Türkenbrunnen. Kein überdimensioniertes Monumentaldenkmal, nicht Machtdemonstration oder Überlegenheit strebt diese Arbeit an, vielmehr interessiert sie das Unheroische und die Verletzlichkeit des Menschen.
Parallel dazu suchte Nasan Tur Kontakt zu jenen, die noch ohne historisches Bewusstsein neue Geschichte schreiben. Er suchte Kinder, die neue Möglichkeiten für die Existenz, das Dasein und das Verbleiben des unbekannten Ritters zu Geschichten formulieren, neu erzählen und damit Geschichte neu schreiben. Zusammengefasst wurden einige dieser Geschichten in einem Buch. Als permanente Skulpturen am Dach des Landeszeughaus sowie in dessen Ausstellungsräumen mögen diese ihre Wirkung mit der Intention, sich mit Grenzen, Kriegen oder der Schaffung von Feindbildern auseinanderzusetzen, als Mahnmal der Menschlichkeit nach außen tragen und zu neuen Legenden anregen. Denn Politik der Erinnerung ist kein Prozess der Vergangenheit, sondern ein Thema, das unsere Gegenwart und Zukunft betrifft. - Elisabeth Fiedler
Standort:
Herrengasse 18, 8010 Graz
47°04'11.2"N 15°26'23.7"E