Kulturelles Erbe (englisch: national heritage) ist eine Auszeichnung. Sie bedeutet Verantwortung, aber auch (nationale) Identität. Sie steht für einen wertvollen Besitz, der im übertragenen Sinne „uns“ allen gehört.
Plamen Dejanoffs Einzelausstellung im Kunsthaus Graz zeigt fast ausschließlich neue, kunsthandwerklich präzise recherchierte Arbeiten, die einem gemeinsamen europäischen Kulturerbe und dessen Formen der Repräsentation nachgehen. Der österreichisch-bulgarische Künstler, bekannt geworden mit Arbeiten appropriierender Identitäten und Autorschaften, greift für Heritage Project auf seine persönliche Geschichte eines paneuropäischen Lebens zurück. Er stellt anhand des Familienerbes – postkommunistisch an die Familie zurückgefallen – die Frage nach der Lesbarkeit der Form. Gemeinsam mit einer Vielzahl von internationalen Spezialist*innen schafft er eigenständige skulpturale Arbeiten an der Schnittstelle zwischen Kunst und Handwerk, zwischen Repräsentation und Funktion. Als skulpturale Architekturzitate erzählen sie im Ausstellungsraum Geschichten ihrer Herkunft, ihrer repräsentativen Kraft sowie des Transfers und der ästhetischen Qualität von handwerklichem Wissen.
Die aus Architekturfragmenten – Fußböden, Dachkonstruktionen, Fenster, Türen etc. – in höchster handwerklicher Präzision entwickelten Objekte sind Zeugen von heute fast in Vergessenheit geratenen Techniken. Die ausgeführten Arbeiten verbinden zeitgenössische Kunst und Fragen der Entstehung, des Austauschs, Transfers und der Verknüpfung von handwerklichem Wissen für die Bedeutung des kulturellen Erbes.
Die gezeigten Arbeiten bauen auf den langfristig angelegten Werkzyklen Foundation Requirements und The Bronze House auf und entwickeln diese konsequent weiter. Sie alle eint der geografische Bezugspunkt Veliko Tarnovo/Arbanassi in Bulgarien, wo sich die der Familie des Künstlers restituierten historischen Gebäude aus dem 15. bis 19. Jahrhundert befinden. Fünf von ihnen hat Dejanoff gemeinsam mit ca. 18.000 historischen Dokumenten, 2.000 Büchern und 190 Werken zeitgenössischer Kunst in die Plamen Dejanoff Foundation eingebracht, deren Ziel es ist, zeitgenössische Kunst im kulturellen Bewusstsein Bulgariens zu verankern und eine neue Wertschätzung für das reiche kulturelle Erbe zu generieren. Die eigens für die Ausstellung in Graz entstandenen Werke – über 100 Objekte wurden für die Ausstellung in ganz Europa gesammelt, überarbeitet und adaptiert – sind als Grundstock einer sozialen Skulptur in seiner Heimatstadt Veliko Tarnovo gedacht.
Nach der Auslegeordnung des modularen Systems im Kunsthaus Graz kommen sie nach Bulgarien, wo sie architektonische Funktion übernehmen können. Sie werden Teil des vom Künstler initiierten und gemeinsam mit dem Kunsthaus Graz konzipierten bildhauerischen Projekts einer lebenden Skulptur bzw. eines Kulturforums. Das Haus am historischen Marktplatz von Veliko Tarnovo wird 2024, nach der Ausstellung in Graz, als skulpturaler Wissensraum eröffnet und danach mit den teils eingebauten, teils ausgestellten Werken – gleichermaßen als Kunstobjekten und funktionalen Architekturfragmenten – vervollständigt. Als neuer Ort für Kunst im Herzen von Veliko Tarnovo schafft The Heritage Project feat. Kunsthaus Graz eine sichtbare Präsenz zeitgenössischer Kunst in der auch vom internationalen Kunstbetrieb vernachlässigten europäischen Peripherie.
Dass neben der sozialen Skulptur mit zugehörigem Café als erster Anlaufstelle am historischen Marktplatz von Veliko Tarnovo in weiterer Folge auch die Gründung eines Museums zum Andenken an den Fußballer Trifon Ivanov gehört, ist konsequent mit der Idee der Konstruktion und der Förderung von nationaler Identität verbunden. Der herausragende Fußballer Ivanov, der mit Dejanoff in Veliko Tarnovo in die Klasse ging, steht für den verblüffenden Aufstieg der bulgarischen Nationalmannschaft 1994, der das Land erstmals für eine breite Bevölkerungsschicht auf die internationale Landkarte setzte. Für das zukünftige Museum hat Dejanoff eine große Sammlung von Fanartikeln angelegt, die ebenso wie eine Vielzahl von Buchcovern das Bild seiner Heimat Bulgarien spiegelt.
Heritage Project ist also ein bildhauerisches Langzeitprojekt, das sich der Konstruktion von Identität aus verschiedenen Perspektiven widmet. Es verpflichtet sich dabei konsequent bildhauerisch dem Handwerk und seinem intrinsischen Wissen, das verloren zu gehen und vergessen zu werden droht. Im Sinne einer Ästhetik der Moderne ist jedes bearbeitete Objekt in seiner eigenständigen Qualität und seinem Wert erkennbar. Als selbstbewusste, nachhaltige und begehrenswerte Manifestationen einer translokalen europäischen Baukultur manifestieren sich diese Objekte als nachhaltiges Kulturerbe „für alle“.