Die Loopy Loonies sind ursprünglich eine Serie von kleinformatigen Zeichnungen, Grafit auf Papier, inspiriert von der weltweit bekannten US-amerikanischen Trickfilmreihe Looney Tunes und einem Rückblick auf ein Aufwachsen mit Saturday-morning cartoons. Zeitgenössische Comic- und Cartoondarstellungen fungierten für Andrea Scrima als Startpunkt, um visuell eingebettete Gewalt und unsere Reaktionen darauf zu erforschen; ihre Zeichnungen als Tool, das Dunkle und den Horror hinter der (so wahrgenommenen) lustigen Oberfläche zu hinterfragen – durchaus in Parallelen zu aktuellen soziopolitischen Entwicklungen.
Gleichzeitig werden die Zeichnungen für Scrima aber auch zu einem persönlichen Ventil, um sich über den Prozess des Zeichnens gewissen Dingen und Emotionen anzunähern und zuzuwenden, die sie nachhaltig innerlich aufwühlen, aber schwer artikulieren kann – wie dem Gefühl von Angst und (sprachlicher) Ohnmacht oder dem eigenen (emotionalen) Ausverhandeln bestimmter politischer Ereignisse. Das Zeichnen ist für sie ein Vertrauen in die eigenen Instinkte. Motivischer Werkbestandteil der Zeichnungen waren immer anthropomorphe Exklamationen: NO als Ausdruck von Ablehnung und Dissens, OWWW als Mitteilung von Schmerz oder EWWW als eine Reaktion von Ekel. So wichtig die moralkritischen Komponenten der Arbeiten sind, so essenziell ist es für Scrima aber auch zu zeigen, dass sie nicht nur dunkel sind, sie in eine Art von Heiterkeit und craziness einzuhüllen, die ein komisches bis komödiantisches Eigenleben haben. In diesem Sinne können die Loopy Loonies als eine Art künstlerischer – fast intimer – visueller Versuch und gleichzeitig moralisch-kritischer Rahmen gelesen werden, bestimmte Fragen in Bezug auf unsere Gesellschaft und sich selbst zu klären. Entstanden sind Zeichnungen, die ihr eigenes Vokabular an Formen und Ausdruck entwickeln, eine Art semantisches System, das in der Betrachtung eine Möglichkeit reflektierender Teilhabe ermöglicht.
Als Reaktion auf die aktuellen weltpolitischen Ereignisse – die Pandemie, Kriege und scheinbar ausweglose politische Eskalationen, Umweltkatastrophen und die zunehmende Spaltung der Gesellschaft – entstanden Texte, die Scrima ihren Zeichnungen als Dialogpartnerinnen gegenüberstellt. Sie entstanden aus dem unmittelbaren Gefühl einer Beinahe-Ohnmacht, des Fehlens einer Möglichkeit zu handeln und der Suche nach Sprache und Mitteln, sich produktiv am Diskurs zu beteiligen – als sprachliche Er- und Nachforschung dessen, was sich für Andrea Scrima beim Zeichnen natürlich und impulsiv artikulieren ließ. #1 NEIN SAGEN, #2 SPRECHBLASEN, #3 MITGEFÜHL, #4 AUUU, #5 EWWW, #6 PLATSCH und #7 AWWW setzen bei Komponenten von Scrimas Zeichnungen an und gehen darüber hinaus. Sie spannen einen Bogen von der Natur von Gefühlen wie auch sozial konditionierten Emotionen wie Ekel, Schmerz und Mitleid bis hin zur akuten medialen und politischen Instrumentalisierung und dem Missbrauch von Sprache und Konflikten – und einer dabei vorherrschenden obsessiven emotionalen Rhetorik. In ihren scharf beobachtenden Essays greift sie zudem auf Philosoph*innen und (politische) Theoretiker*innen wie Theodor W. Adorno, Judith Butler oder Hannah Arendt zurück. Auf Hannah Arendt, die versuchte, über politisches Denken und Handeln, Freiheit, Totalitarismus und das Böse „ohne Geländer" zu denken – auch wenn das bedeutete, "dahin zu denken, wo es wehtut“.
Andrea Scrimas Intervention lässt Raum und schafft gleichermaßen Anstöße zum Innehalten, Selbst-Denken, Sich-selbst-Reflektieren und (diskursiven) Weiterdenken. Etwa über gegenwärtige soziopolitische Ekstasen, Neurosen und das moralische Durcheinander der sogenannten Cancel Culture. Oder eben auch darüber und dorthin, wo es vielleicht schmerzt – die eigenen persönlichen Ambiguitäten. Wie ich gerade in Ferdinand von Schirachs Regen gelesen habe und so unterschreibe, kann eine offene Gesellschaft nur mit Ambivalenzen existieren. Die sie/es mitunter unaushaltbar und anstrengend machen, aber der Schlüssel zu Toleranz und Gleichstellung sind – über das Aushalten wie gemeinsame Ausverhandeln von Widersprüchen und Zulassen von Zwischentönen.
Das Kunsthaus Graz zeigt Loopy Loonies im Kontext von MIR*, drei überdimensionalen pinken Buchstaben und einem * mit einem großen Anliegen, die von 6. bis 20. Mai 2024 in einer gemeinsamen Aktion des HDA mit dem Kunsthaus Graz im Schaufenster des HDA am Südtiroler Platz zu sehen sind. MIR* will als symbolischer Redestab und Kooperationsprojekt von diversen Grazer Kulturinstitutionen und -initiativen einen Diskurs anregen: über „den Frieden“ und unser Zusammenleben in Zeiten globaler Polykrisen. Wie Andrea Scrima kürzlich so schön geschrieben hat: „Wir brauchen brauchbare Wörter“ und müssen in den Dialog gehen. Das verbindet beide Projekte miteinander: Sie sind ein Versuch der Rückeroberung so wichtiger Begriffe und Ausverhandlung von Fragen, die wir uns vermutlich gerade alle – auf individueller wie institutionelle Ebene – stellen: Was können wir heute eigentlich wirklich tun, wie auf multiple Krisen, auf Kriege reagieren?