Transformation und Translokation
Für diesen Ort wählt Erjautz vom Museum wegen Brüchigkeit und Wurmstich deakzessionierte, d. h. aus dem Museumsbestand ausgesonderte, hölzerne Pflüge aus vergangenen Jahrhunderten aus, um sie durch Transformation und Translokation neu zu schreiben und als von unsichtbaren Kräften bewegten Impuls über die lang gestreckte Begrenzungsmauer fungieren zu lassen. Die gegenseitige Bedingtheit von Raum und Zeit, aber auch deren Relativität, Sprunghaftigkeit und unterschiedliche Wahrnehmbarkeit wirken in vermeintlicher Zielgerichtetheit irritierend.
Beim Pflug, einer Legende nach um 3.700 v. Chr., also noch vor dem Rad, vom chinesischen Kaiser Shén Nong erfunden, handelt es sich um eine der ältesten Maschinen menschlicher Entwicklungsgeschichte. Die Verfremdung des Materials – es handelt sich um Aluminiumabgüsse der Originale – verunmöglicht nicht nur deren Handhabbarkeit, sie öffnet auch neue Impulse und Perspektiven. Fünf unterschiedliche Pflüge sind ihrer ursprünglichen Nutzungsbestimmung im wahrsten Sinne enthoben, scheinen sich als Kunstwerke zu verselbstständigen und zu entschwinden. Gleichzeitig wirkt hier die Zeit wie angehalten. Erjautz ermöglicht uns, den gedehnten Augenblick einer Zeitreise zu erleben, der wir selbst eingeschrieben sind, an die wir also Erinnerung gespeichert haben. In dieser Verbindung von Realität und Fiktion scheint die Schwerkraft überwunden und außer Kraft gesetzt zu sein. Durch die Positionierung der Pflüge in eine für die ihnen ursprünglich zugedachten Arbeiten konträre Situierung erhalten sie nicht nur eine neue Bedeutung und (Sinn)-Ebene, die Vertrautes und Geglaubtes aus den Angeln hebt.
Nicht als retardierendes Loblied auf die geschichtlich, politisch und ökologisch belastete Vergangenheit und Gegenwart der Erde versteht sich diese Arbeit. Als archaische Gegenstände aus dem landwirtschaftlichen Lebensalltag torpedieren sich die Pflüge und mit ihnen unsere Aufmerksamkeit und unser Interesse über das Heute hinaus. Unsere Wahrnehmung von Bekanntem wird infrage gestellt und zu Neuem herausgefordert. So bezieht uns Manfred Erjautz in den Prozess der Transformation, dem er die Pflüge unterzogen hat, mit ein und mutet uns das Denken des Ungewohnten oder scheinbar Unmöglichen zu. Manfred Erjautz meint dazu: „Wenn Gegenstände, im Gegensatz zu ihrer früheren Bestimmung, sich formieren und eine Pflugstaffel gründen. Die Metamorphose ihrer Stofflichkeit erwirken. Über den Ort ihres langjährigen Gewahrsams pflügen. Zeigt sich die Dingwelt als changierende Realität.“
Zum Künstler Manfred Erjautz
Manfred Erjautz wurde 1966 in Graz geboren, er studierte von 1985 bis 1990 an der Akademie der bildenden Künste Wien bei Bruno Gironcoli. Er erhielt 1992 das Chicago Stipendium, 1994 den Förderungspreis für bildende Kunst der Stadt Graz, 1995 das Staatsstipendium für bildende Kunst und 1999 den Otto Mauer-Preis. Er ist Mitglied der Wiener Secession und vom Forum Stadtpark. Manfred Erjautz lebt in Wien.
Die Arbeiten von Erjautz verhandeln die Erfahrungen des Individuums innerhalb sich ständig verflechtender und gegenseitig irritierender Bereiche wie Innen und Außen, Privat und Öffentlich, und unternehmen kompensatorische Versuche, eine Positionierung der eigenen Person in diesen Feldern zu etablieren und damit einer konstatierten Überforderung entgegenzustellen.
Durch das Verwischen und gleichzeitige Definieren räumlicher Grenzen, von Realem und Fiktivem thematisiert Manfred Erjautz die Transitorik gewohnter Situationen und Empfindungen und entlarvt diese als temporäre Übereinkünfte. Die Konfrontation mit den gleichermaßen lebensnahen wie -fernen Figuren führt auf eine Zwischenebene, welche die Kluft zwischen Privatem und Kollektivem erkennen lässt. Sein Universum gleicht simulierten Systemen – Mythologien und anderen Ersatzrealitäten –, welche die Mechanismen der Gesellschaft exemplarisch vor Augen führen.
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Manfred Erjautz
Pflugflug
Skulptur am Volkskundemuseum, Paulustorgasse 11, 8010 Graz
Informationen: Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark
www.kioer.at
Weitere Informationen sowie Bildmaterial finden Sie unter Pflugflug
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Daniela Teuschler +43/664/8017-9214, daniela.teuschler@museum-joanneum.at
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