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Der Aktionskünstler Günter Brus ist am Samstag im Alter von 85 Jahren gestorben

 

Graz, am 11. Februar 2024

 

Günter Brus zählte nicht nur zu den bedeutendsten und radikalsten Künstler*innen Österreichs, sondern ist einer der wenigen österreichischen Künstler*innen, die internationale Kunstgeschichte geschrieben haben. Er gilt als Pionier der Body Art und hat sowohl mit seiner radikalen Körperkunst als auch mit seinen originären Zeichnungen Generationen von Künstler*innen weltweit beeinflusst.

Mit Günter Brus ist am Samstag nicht nur der letzte der Wiener Aktionisten gestorben, sondern ein ganz großer österreichischer Künstler, Foto: Universalmuseum Joanneum / J.J.Kucek

„Mit großer Trauer haben wir die Nachricht über das Ableben von Günter Brus empfangen. Einer der größten steirischen Künstler prägte durch seine Aktionen und sein zeichnerisches Schaffen eine Ära der österreichischen und internationalen Kunst. Seine Arbeiten inspirieren und begeistern die Besucher*innen des Bruseums in der Neuen Galerie in Graz seit seiner Eröffnung und wir werden dafür Sorge tragen, dass sein Werk niemals vergessen wird. Unser tiefes Mitgefühl gilt seiner Familie und Freunden. Möge er in Frieden ruhen“ so die Geschäftsführung des Universalmuseums Joanneum Marko Mele und Josef Schrammel.

 

"Günter Brus war eine der herausragenden Künstlerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, der mit seiner Kunst an die Grenzen gegangen ist und seinen Körper sprichwörtlich der Zerreissprobe ausgesetzt hat. Er hat bedingungslos für die Kunst gelebt und nie vor den Konsequenzen seiner Radikalität zurückgeschreckt. Er hat für die Kunstgeschichte Bleibendes geschaffen. Günter Brus war nicht nur rigoroser Aktionist, obsessiver Zeichner und spracherweiternder Dichter, sondern bis zuletzt ein heller Geist und politischer Mensch, der schmerzlich fehlen wird." so Roman Grabner, Leiter des BRUSEUM in Graz. 

 

Günter Brus hat mit seinen Aktionen ikonische Bilder geschaffen, die ins kollektive Bildgedächtnis eingegangen sind. Der schmächtige Körper, der im „Wiener Spaziergang“ weiß bemalt und von einer schwarzen Linie längs geteilt vom Heldenplatz Richtung Stephansplatz geht, um nach kurzer Zeit von einem Polizisten angehalten zu werden, steht paradigmatisch für die gesellschaftliche Situation des Nachkriegsösterreich. Die zuckende Linie symbolisiert die Verletzung, den Schnitt, die Wunde, die Gespaltenheit, das Aufbrechen des Selbst. Auch wenn man in Österreich dem Wendejahr 1968 gedenkt kommt man an Günter Brus nicht vorbei. Die so genannten Uni-Aktion ist der einzige relevante Beitrag Österreichs zu den weltweiten Protesten dieses Jahres. Dass dieser künstlerisch ausfiel und nicht politisch, lässt im Übrigen genauso auf die österreichische Gesellschaft schließen wie die Art des Protestes. Der österreichische Autor Peter Turrini gratulierte ihm Jahrzehnte später zu dieser „menschlichen und künstlerischen Großleistung“. „Es war das Schönste, was sie machen konnten.“

 

Günter Brus wird am 27. September 1938 als eines von fünf Kindern in Ardning in der Steiermark geboren. Sein Vater Alois führt mit mäßigem Erfolg einen Gemischtwarenhandel, seine Mutter Anna ist Hausfrau. Seine Kindheit verbringt Brus zunächst in Mureck und dann in Gießenberg bei Stainz. Schon früh entwickelt der Knabe ein ausgeprägtes Interesse für Kunst, Musik und Literatur. Eine Bekannte der Familie erkennt die zeichnerische Begabung des Jungen und überzeugt die Eltern, ihm eine künstlerische Ausbildung zu ermöglichen. Ab 1953 geht er in die Klasse für Gebrauchsgrafik an der Kunstgewerbeschule in Graz. Er übersiedelt nach Wien und besucht zunächst die Klasse für Gebrauchsgrafik bei Paul Kurt Schwarz und schließlich die Malereiklasse bei Eduard Bäumer, bricht aber beide Studien ab. Gemeinsam mit Alfons Schilling reist er nach Mallorca, wo er den abstrakten Expressionismus kennenlernt und seine ersten informellen Bilder entstehen. Die explosive Energie des Informel eröffnet ihm eine neue Perspektive, die starren Konventionen und den engen Rahmen des Tafelbildes aufzubrechen. Die Bewegung im Raum und das Agieren mit dem Körper beim Malprozess werden ihm immer wichtiger und es kommt zur entscheidenden Akzentverschiebung vom fertig gestellten Objekt zum ephemeren Geschehen. im November 1964 realisiert er seine erste Aktion, die er nach dem kroatischen Namen seiner Frau „Ana“ nennt.

 

Wird im Informel der Körper als Figuration ausgelöscht, um als sinnlich-dynamische Spur des Malenden im Malakt wieder auf die Leinwand zu finden, so werden in Aktionen wie „Selbstbemalung“ Körper und Gemälde, Maler und Gemaltes eins. Der weiße Kopf des Künstlers vor weißem Hintergrund wird von einer schwarzen Linie geteilt und mit scharfen Gegenständen wie Messer, Rasierklingen, Degen, Axt und Schere konfrontiert. Es sind Sinnbilder menschlicher Verletzlichkeit und unbewusster Ängste.

 

Im Lauf des Jahres 1967 entwickelt Brus sein Konzept der „Körperanalysen“, bei dem er elementare existenzielle Erfahrungen thematisiert. Brus verzichtet auf jegliches künstlerisches Material und agiert ausschließlich mit seinem Körper und dessen Funktionen: „Mein Körper ist die Absicht, mein Körper ist das Ereignis, mein Körper ist das Ergebnis. Am 7. Juni 1968 führt er im Hörsaal 1 der Wiener Universität im Rahmen der Veranstaltung „Kunst und Revolution“ eine seiner Körperanalysen durch. Es kommt zum Skandal und zur Anklage, in deren Folge Brus zur Höchststrafe von sechs Monaten „strengem Arrest“ verurteilt wird. „Herabwürdigung österreichischer Symbole“ und „Verletzung der Sittlichkeit und Schamhaftigkeit“ lauten die Begründungen. Er flieht nach West-Berlin, wo er die nächsten zehn Jahre verbringt und sein Werk eine entscheidende Wendung erfährt: aus dem Aktionisten wird der Bild-Dichter. Um seiner Tochter Diana willen kehrt er 1979 mit seiner Familie in die Steiermark zurück, wo er seither außerhalb von Graz lebte.

 

Spricht man von Günter Brus, so wird er meist mit dem Attribut „Wiener Aktionist“ versehen, doch der einst meistgeschmähte Österreicher hat nur sieben Jahre lang Aktionen durchgeführt, aber 60 Jahre lang kontinuierlich gezeichnet. Im Berlin der 1970er-Jahre gelingt ihm eine Erweiterung der Zeichnung durch die Verquickung von bildender Kunst und Literatur, mit denen er auch seine Zweifel an den Möglichkeiten des zweidimensionalen Bildes überwindet. Er begründet das Genre der „Bild-Dichtung“, die sich durch eine Synthese von Sprache und Bild auszeichnet, bei der sich die beiden Ausdrucksformen nicht bedingen, sondern ein dialektisches und kontrapunktisches Neben- und Miteinander führen. In obsessiven und intensiven Arbeitssitzungen fertigt er umfangreiche Bild-Text-Zyklen an, in denen er sich auch mit von ihm geschätzten Komponist*innen, Literat*innnen und Künstler*innen auseinandersetzt. Er wird eingeladen, Kostüme und Bühnenbilder u.a. für Gerhard Roth, Fritz von Herzmanovsky-Orlando, Leoš Janáček oder Arnold Schönberg zu entwerfen. Obwohl er seit den frühen 1980er-Jahren international Anerkennung erfährt und zahlreiche Ausstellungen erhält, bleibt er bodenständig.

 

Anfragen zu Professuren hat er ebenso dankend abgelehnt, wie die eine oder andere Teilnahme an einer internationalen Großausstellung, wenn ihm das Konzept oder die Ausrichtung nicht gepasst haben. Er ist seiner Haltung immer treu geblieben und hat sich für nichts und niemanden verbogen. Dass er auf der Biennale von Venedig nie in den österreichischen Pavillon eingeladen wurde, hat er mit einem Schulterzucken quittiert, wohl wissend wie die österreichische Kunstpolitik funktioniert. Die Verleihung des Großen Österreichischen Staatspreises 1996 war ihm jedoch ein gewisse Genugtuung. Seit damals haben sich die Ehrungen und Retrospektiven gehäuft, was ihn zu dem Wortspiel verleitet hat, dass er sich ausgezeichnet habe, denn nach rund 40.000 Zeichnungen stellte sich auch eine gewisse kreative Leere ein. 2008 wurde ihm mit dem BRUSEUM in Graz ein eigenes Museum gewidmet, das sich seither um die Erforschung, Bewahrung und Vermittlung seines Werks  kümmert. Was sich in den zahlreichen Publikationen zu seinem Schaffen jedoch nicht findet, ist die private Seite des Künstlers, ist der ausgesprochene Familienmensch Brus. In seiner Frau Anna, die seit 1961 nicht von seiner Seite gewichen ist, hat er sich in seiner Schüchternheit und Unsicherheit durch alle Höhen und Tiefen des Lebens aufgehoben gefühlt. Sie war nicht nur seine Geliebte und Managerin, sondern seine engste Vertraute, sein essenzieller Rückhalt und seine wichtigste Kritikerin. Für seine Tochter Diana hat er nicht nur eigene Märchen, Rätsel und Spiele erfunden, sondern die beiden haben über die Jahre hindurch eine  eigene Sprache miteinander entwickelt.

 

Mit Günter Brus ist am Samstag nicht nur der letzte der Wiener Aktionisten gestorben, sondern ein ganz großer österreichischer Künstler. Seine furchtlose Kompromisslosigkeit, seine klare und unveräußerliche Haltung und seine unabdingbare Radikalität haben ein herausragendes und vorbildliches Werk hervorgebracht. Er wird schmerzlich vermisst werden.

 

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Mit herzlichen Grüßen

 

Daniela Teuschler
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