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„Günter Brus. Ein irrer Wisch“ nimmt erstmals den Übergang des Aktionskünstlers zum Bild-Dichter in den Fokus

Graz, 06.05.2024

 

Mit der Ausstellung Ein irrer Wisch nimmt das BRUSEUM erstmals Brusʻ Übergang vom Aktionskünstler zum Bild-Dichter in den Fokus und zeigt anhand zahlreicher Werke, wie er die körperorientierte, autoaggressive Motivwelt seiner Aktionen in sein zeichnerisches Werk transferiert. Vor rund 50 Jahren entstanden, sind sie nicht immer leicht anzusehen, passen aber perfekt in unsere Zeit eines aufziehenden Neo-Biedermeier, hinter dessen Fassade des Anstands und der politischen Korrektheit die Untiefen des Menschlichen prächtig gedeihen und Chauvinismus und Rassismus an den Stammtischen wieder ein Stelldichein feiern.

Leiter des BRUSEUMS, Roman Grabner (Mitte) und die Geschäftsführung des Universalmuseum Joanneum Marko Mele und Josef Schrammel, Foto: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek

Im Herbst 1967 entwickelt Brus sein Konzept der Körperanalysen, bei dem er auf jegliches künstlerische Material verzichtet und ausschließlich mit dem eigenen Körper und seinen Flüssigkeiten arbeitet. Die Aggressionen, mit denen die Gesellschaft auf Brus reagiert, veranlassen den Künstler dazu, seine Aktionen als bewusste Provokation gegen den Staat und die Gesellschaft zu inszenieren. Als er am 7. Juni 1968 im Hörsaal 1 des neuen Institutsgebäudes der Wiener Universität im Rahmen der Veranstaltung „Kunst und Revolution“ eine seiner Körperanalysen durchführt, kommt es zum Skandal. Der Boulevard ergeht sich in denunzierenden Bezeichnungen und fordert die Verhaftung des Aktionisten, der als Rädelsführer ausgemacht wurde. Es kommt zur Anklage und Brus wird wegen „Herabwürdigung österreichischer Symbole“ und „Verletzung der Sittlichkeit und Schamhaftigkeit“ zur Höchststrafe von sechs Monaten „strengem Arrest“ verurteilt.

 

Tabubruch und Realismus als Strategie
Parallel zu dieser Neujustierung in seinen Aktionen wandelt sich auch sein zeichnerischer Stil. Der Strich, der bisher gleich einem Skalpell die Fasern des Körpers aufgeschnitten und sichtbar gemacht hat, dient nun einer Binnenzeichnung, die eine Plastizität und damit eine neue Form des Realismus evoziert. Als Reaktion auf die Repressalien, die er von Staat und Gesellschaft erfährt, schärft er die Ausrichtung stärker auf das Geschlechtliche, um damit das Provokationspotenzial zu erhöhen. Tabubruch und Realismus sind seine Strategie, um dem erlittenen Unrecht etwas entgegenzusetzen. Die Berufung gegen sein Urteil wird abgelehnt, doch zu diesem Zeitpunkt schreibt ihm Gerhard Rühm, dass in Berlin eine kleine Wohnung für ihn bereitsteht, und er fordert ihn auf, ihm nach West-Berlin zu folgen: „überleg nicht lang und komm her! […] scheiss doch auf österreich“!

"Es ist eine hohe Kunst, Kunst zu machen, die man nicht mehr unterrichten kann", Günter Brus. Foto: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek

Der Übergang vom Körper zum Textkörper
Vom Kohlkunstverlag in Frankfurt erhält Brus bereits Ende des Jahres 1969 den Auftrag, eine Dokumentation seiner Aktionen zu erstellen. Anfangs klebt er Fotos seiner Aktionen in das Buch und erläutert diese mit Texten, doch nach kurzer Zeit bricht er ab, denn er will nicht „als Verwalter der eigenen Vergangenheit“ fungieren. Er beginnt, die Erfahrungen seiner aktionistischen Zeit zeichnerisch aufzuarbeiten und spontan Texte dazu zu verfassen. Es ist ein letztes anarchisches Agieren gegen die diversen Institutionen der Macht wie etwa Kirche, Staat, Justiz oder Bundesheer, eine wütende Abrechnung mit allem, was die freie Entfaltungsmöglichkeit des Menschen einschränkt. Es entsteht der Text-Bild-Band Irrwisch, der den Übergang vom Körper zum Textkörper repräsentiert und mit dem letzten Kapitel über die Pfaueninsel bereits auf die späteren Bild-Dichtungen vorausweist.

"Ein österreichischer Akt", Foto: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek

Der Blick hat sich gewandelt
Die Einzelzeichnungen, die im Umkreis des Irrwisch entstehen, kann Brus 1971 in der Galerie Michael Werner ausstellen. Die realistischen Bleistiftzeichnungen mit ihrem spröden, teilweise fast unbeholfen wirkenden Strich kreisen um die Verletzungs- und Sexualthematik. Brus lässt keine Provokation aus, spannt seine Menschen in unmögliche Folterapparaturen und stellt die gesellschaftliche Bigotterie und Perversion an den Pranger. War es in den Aktionszeichnungen sein eigener Körper, der von Maschinen und Apparaten malträtiert, gefoltert und verstümmelt wurde, so sind es jetzt die Repräsentanten der österreichischen Gesellschaft, die „wichtel“, wie Muehl sie bezeichnet, die in zerstörerische Mechanismen und Strukturen eingespannt dargestellt werden. Der Blick hat sich gewandelt: von einer radikalen Introspektion mit einem sezierenden, suchenden Strich, der die Schichten der eigenen Einschränkungen freilegt, zur zynischen Außenansicht auf eine Gesellschaft, die ihrer Kontrollinstanzen nicht gewahr ist und der ihre Unterdrückung und Ohnmacht in realistischer Manier übersteigert vor Augen geführt wird. Die Präsentation wird wider Erwarten ein großer Erfolg und Michael Werner kann sämtliche Zeichnungen verkaufen.

 

Mit dem unerwartet verdienten Geld fliegt die Familie Brus drei Monate nach Andalusien. In Nerja, das aufgrund der langen Landzunge, die in den Atlantik ragt, auch „Balkon Europas“ genannt wird, entstehen expressive, teils romantische Zeichnungen mit Farbstift auf Papier. Diese neuen Zeichnungen sind eigentlich für seine zweite Ausstellung in Köln bei Michael Werner gedacht, doch der Galerist schickt Brus das rund 50 Blatt starke Konvolut mit dem Kommentar zurück, dass dieser „wohl in einer Krise“ sei. Der Künstler beginnt daraufhin, die DIN-A4 großen Zeichnungen auf Karton zu kleben und frei dazu zu schreiben. Es entsteht als 18. Box der Edition Hundertmark der Balkon Europas, der in seiner Verquickung von Bild und Text eine erste Frühform der Bild-Dichtung darstellt. In dieser Zeit, in der sich ein Umbruch in seinem Schaffen andeutet, dessen Richtung und Konsequenz Brus mehr erahnt, als dass er sie bereits erkennt, findet er in der Kombination von Schreiben und Zeichnen eine Perspektive, eine neue künstlerische Strategie, die sein Werk über die nächsten Jahrzehnte prägen wird.

 

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Günter Brus
Ein irrer Wisch


Eröffnung: 08.05.2024, 19 Uhr
Laufzeit: 09.05.‒06.10.2024
Kuratiert von Roman Grabner
BRUSEUM, Neue Galerie Graz
Joanneumsviertel, 8010 Graz
www.bruseum.at

 

Der Ausstellungsbesuch ist aufgrund von sensiblen Inhalten erst ab einem Alter von 18 Jahren gestattet.

 

Bildmaterial zum Download finden Sie unter folgendem Link: EIN IRRER WISCH

 

 

Veranstaltungshinweis: 

 

Ein Abend für Günter Brus
07.05.2024, 18:30 Uhr
Neue Galerie Graz, BRUSEUM

Anmeldung: neuegalerie@museum-joanneum.at

 

Die internationale Bedeutung von Günter Brus wird an diesem Abend von Theresia Niedermüller,  Sektionsleiterin Kunst und Kultur im Bundesministerium, Sandra Holasek, Landtagsabgeordnete und Kulturstadtrat Günter Riegler gewürdigt. Schauspieler Daniel Doujenis liest aus den humorvollen und bildgewaltigen Texten des steirischen Künstlers. Kolumnist Hans Rauscher rezensiert die Medienpersönlichkeit Günter Brus und BRUSEUM-Leiter Roman Grabner bemisst das Lebenswerk des Künstlers.

 

Musikalisch umrahmt wird der Abend vom Ensemble Schallfeld sowie von Cantando Admont und Mélange Orientale.

 

 

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Wir freuen uns auf Ihre Berichterstattung und stehen für Fragen gerne zur Verfügung!

 

 

Mit herzlichen Grüßen

 

Daniela Teuschler
+43/664/8017-9214, daniela.teuschler@museum-joanneum.at
Stephanie Liebmann
+43/664/8017-9213, stephanie.liebmann@museum-joanneum.at
Eva Sappl
+43/699/1780-9002, eva.sappl@museum-joanneum.at